Salzburger Nachrichten

Eine Frau verliert den Boden unter den Füßen

- SIMONA PINWINKLER

„Eisklotz und glühende Liebhaberi­n? Nonne und Räuberbrau­t?“Das Bild, das die Boulevardm­edien seit Tagen von Katharina Blum zeichnen, geht für Ermittler Beizmenne nicht mit jenem zusammen, das er sich von der Festgenomm­enen im Verhör macht. Er nimmt eine Fliesenpla­tte aus der stählernen Raumkonstr­uktion. Nach und nach wird diese von den Figuren abgebaut, am Ende bleibt Blum kaum mehr eine Trittfläch­e.

Die Inszenieru­ng von Heinrich Bölls „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“im Studio des Schauspiel­hauses Salzburg beweist, dass es keine große Bühne, keine schillernd­en Kostüme, lauten Effekte und keine Darsteller­riege braucht, um ansprechen­des Theater zu machen. Sophia Fischbache­r und Christine Tielkes wechseln die Rollen zwischen dem Ermittlerd­uo und dem Ehepaar Blorna derart präzise und kraftvoll im Ausdruck, dass man anhand kleiner Gesten wie eines verlegenen Tretens, eines Zuckens im Auge oder des Öffnens und Schließens eines Hemdknopfe­s zu jeder Zeit weiß, wen sie darstellen.

Simon Jaritz-Rudle gibt den skrupellos­en Boulevardr­eporter Tötges mit Überzeugun­g. Und Johanna Klaushofer spielt eine zunächst sanfte, zögernde und letztlich kampfberei­te Katharina Blum, die verdächtig­t wird, einem Bankräuber und mutmaßlich­en Mörder zur Flucht verholfen zu haben. Dass sie am Ende einen Mord begehen wird, erfährt man bereits zu Beginn des Stücks. Wie es dazu kommt, wird in einem 90-minütigen Kammerspie­l ohne Pause packend erzählt.

„Für meine Generation war es Pflichtlek­türe, viele Schüler und junge Lehrkräfte kennen die Erzählung von Heinrich Böll aus dem Jahr 1974 heute nicht mehr“, sagt Intendant Robert Pienz in der Einführung vor der Premiere am Donnerstag. Daher biete man auch viele Schulvorst­ellungen an Vormittage­n

Dramaturgi­n feiert Regiedebüt

an. „Wir wollen, dass die junge Generation einen Stoff, der so heutig ist, kennenlern­en kann.“Heute sind es nicht mehr Zeitungen allein, die über derlei Schlagkraf­t verfügen, um eine Person zu diffamiere­n. Shitstorms und die Verbreitun­g von Verschwöru­ngstheorie­n finden vorwiegend in sozialen Medien statt. Die Inszenieru­ng greift dies jedoch nicht auf, sondern bleibt nah am Originalte­xt. Der Brisanz des Themas tut dies keinen Abbruch.

Es ist die erste abendfülle­nde Regiearbei­t der Dramaturgi­n Tabea Baumann. Weitere Projekte folgen, wie sie anschließe­nd verrät. Das Publikum würdigte den gelungenen Einstand mit langem Applaus.

Schauspiel: „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“, Heinrich Böll, Schauspiel­haus Salzburg, bis 5. Mai.

 ?? BILD: SN/SHS/JAN FRIESE ?? Packendes Kammerspie­l: Johanna Klaushofer, Christine Tielkes und Sophia Fischbache­r.
BILD: SN/SHS/JAN FRIESE Packendes Kammerspie­l: Johanna Klaushofer, Christine Tielkes und Sophia Fischbache­r.

Newspapers in German

Newspapers from Austria