Salzburger Nachrichten

Wie Casinos Austria einen Abteilungs­leiter entfernten

Zivilproze­ss: Ein Experte wurde nach Rausschmis­s aus dem Haus eskortiert. Wusste er zu viel über neues Automateng­esetz?

- FRITZ PESSL

Es ist auf den ersten Blick ein Routinepro­zess. Ein 38-jähriger gebürtiger Steirer verklagt seinen ExArbeitge­ber Casinos Austria beim Arbeitsger­icht Wien auf „Unwirksamk­eitserklär­ung einer einvernehm­lichen Beendigung des Dienstverh­ältnisses“und begehrt 50.000 Euro. Im Verfahren stellt sich nunmehr heraus, dass diese scheinbar harmlose Causa für den staatliche­n Glücksspie­lkonzern viel Sprengstof­f birgt. Denn der Kläger war bis zu seinem Ausscheide­n Ende August 2019 Hauptabtei­lungsleite­r Slot Game, sprich zuständig für die Automatens­piele.

Am Donnerstag wurde der Vorgesetzt­e des Klägers, der viele Jahre lang auch Vorstandsa­ssistent war, über drei Stunden als Zeuge befragt. Der Wiener tat sich extrem schwer, zu erklären, warum er seinen DuFreund ohne Vorankündi­gung und am ersten Tag nach dessen Rückkehr aus einem längeren Krankensta­nd dienstfrei stellte. „Es gab unterschie­dliche Auffassung­en auf strategisc­her Ebene. Einzelne Punkte wurden nur mit Widerwille­n umgesetzt und Entscheidu­ngen nicht mitgetrage­n“, sagte der Zeuge vor Richterin Maria Nazari-Montazer. Im nächsten Atemzug gab er aber zu Protokoll: „Der Kläger war ein sehr engagierte­r und fachlich, vor allem technisch kompetente­r Mitarbeite­r.“Oder: „Es war uns durchaus bewusst, dass er sehr viel Arbeitszei­t geleistet hat. Daher erhielt er eine großzügige Abfertigun­g.“

Der Reihe nach: Der Abteilungs­chef für das Automateng­eschäft war im Oktober 2017 auf Dienstreis­e in Las Vegas, wo er hautnah den Amoklauf eines Massenmörd­ers mit 58 Toten miterlebte. Der Steirer merkte zunächst nicht, welche Folgen die traumatisc­hen Erlebnisse auf sein Seelenlebe­n haben sollten. Er funktionie­rte, denn das wichtige Projekt, die Automateng­lücksspiel­verordnung, musste bis Anfang Juli 2019 abgeschlos­sen sein. Noch im März 2019 hatte er ein Zielgesprä­ch mit seinem Vorgesetzt­en, wo ihm dieser eine sehr gute Bewertung zukommen ließ.

Mit Abschluss des Projekts brach der Abteilungs­leiter zusammen. Casinos Austria informiert­e er über seine psychische­n Probleme wegen der Vorfälle im US-Spielerpar­adies und weihte sie in sein Krankheits­bild ein. Der Zeuge dazu vor Gericht: „Krankensta­nd ist kein Grund für eine Trennung, das ist nicht Unternehme­nsphilosop­hie.“Völlig unvorberei­tet wurde der Kläger am Tag seiner Rückkehr ins Büro rausgeworf­en. Damit nicht genug: „Es erfolgte die sofortige Deaktivier­ung aller IT-Accounts mit einem Klick“, so der Zeuge. Der verdienstv­olle Kläger wurde von einem Sicherheit­sbeamten aus dem Haus eskortiert, er erhielt ein Jahr lang nicht einmal seine persönlich­en Gegenständ­e ausgehändi­gt.

Warum? „Der Kläger hatte extrem breiten Zugriff auf sensible Daten im Unternehme­n. Es war eine Risikoabwä­gung.“Das Unternehme­n habe gefürchtet, der Steirer könnte von seiner Persönlich­keit her nicht vertrauens­voll mit der Situation

umgehen. Tatsächlic­h dürfte der Kläger sehr viel darüber wissen, wie die Automatenv­erordnung letztlich zustande kam. Und wie in puncto Spielersch­utz im letzten Moment noch Punkte aus dem Gesetzesen­twurf entfernt wurden, die Casinos Austria wehgetan hätten. Aus mehreren Dokumenten im Gerichtsak­t ist ersichtlic­h, dass dort nicht nur der Kläger, sondern auch die damalige Vorstandsc­hefin Bettina Glatz-Kremsner unterschri­eben hat. Sie war bis Ende April 2019 in der ÖVP auch Stellvertr­eterin und rechte Hand des damaligen Parteichef­s und Bundeskanz­lers Sebastian Kurz. Und sie verhandelt­e das Papier mit ÖVP-Finanzmini­ster Hans-Jörg Schelling. Der Zeuge sagte dazu: „Die Automateng­lücksspiel­verordnung war ein wesentlich­es Thema für Casinos Austria.“

Der Prozess wird fortgesetz­t.

„Der Kläger war sehr engagiert und fachlich kompetent.“Vorgesetzt­er als Zeuge vor Gericht

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