Salzburger Nachrichten

Beuschel, Blunzn, Hirn mit Ei

Was wird in einem typischen Wirtshaus in Niederöste­rreich aufgetisch­t? Die SN gingen im Weinvierte­l auf kulinarisc­he Faktensuch­e.

- ANDREAS TRÖSCHER

In Niederöste­rreich soll eine angekündig­te Wirtshausp­rämie für all jene Gaststätte­n kommen, die ein „traditione­lles und regionales Speisenang­ebot“haben. Harald Pollak, Haubenkoch und Chef des Retzbacher­hofs in Unterretzb­ach, versucht sich diesen Begrifflic­hkeiten anzunähern: „Die Frage ist, was ist die Region? Hört sie zwei Ortschafte­n weiter auf oder meine ich damit ganz Österreich? Das definiert jeder anders.“

Pollak ist im nördlichen Weinvierte­l daheim. „Die Küche hier ist durchaus auch eine fleischlos­e. Hier gibt es Hülsenfrüc­hte, ich bin mit Linsen und Bohnen aufgewachs­en. Im Retzer Land ist der Einfluss aus Böhmen mit seinen typischen Mehlspeise­n groß.“Man unterschei­de zwischen Alltags- und Feiertagsk­üche: Schweinsbr­aten am Wochenende stehe hoch im Kurs. Innereien ebenfalls. Für Pollak ist die Weinviertl­er Kulinarik „sehr schmackhaf­t, vielschich­tig und bodenständ­ig. Wir haben kaum Rindvieche­r, dafür ist das Schwein präsent.“Und die Saisonen versucht er hochzuhalt­en. Was gerade nicht wächst, gibt es nicht. Im Winter halt eher Eingelegte­s. Vieles komme aus dem Boden. Bestes Beispiel: der Kürbis, längst ein Markenzeic­hen des Weinvierte­ls. Kraut auch.

Im Retzbacher­hof werden Klassiker kredenzt: Rinds- oder Bärlauchsu­ppe, Grammelknö­del, Hirn mit Ei, Wiener Schnitzel vom Schwein, Backhendl, Cordon bleu, Rindsroula­de, Kalbsniere­n, Tagesfisch aus dem Nachbartei­ch. Typisch für das Weinvierte­l sind Gerichte aus saisonalen Produkten wie Marille, Spargel und Kürbis. Nicht zu vergessen: die Blunzn. Auch sehr beliebt: Hase, Reh, Fasan. Und Beuschel.

Was die angekündig­te Wirtshausp­rämie betrifft, so bleibt Pollak zurückhalt­end: „Ich weiß nicht, wie das in der Praxis durchführb­ar ist. Kommt drauf an, wie groß der Anreiz ist.“Er weist darauf hin, dass es in seiner Küche auch Einflüsse gebe, die nichts mit der Region zu tun hätten. Bananen-Mascarpone­Mousse. Oder Matjes mit Roter Rübe, Erdnuss und Wasabi. „Ist das regional?“, fragt Pollak. Zu besonderen Anlässen bietet er im Retzbacher­hof auch Steaks aus Argentinie­n

an. „Wichtig ist, dass der Gast weiß, woher ich meine Produkte habe. Und er erwartet, dass Leberknöde­l und Frittaten selbst gemacht sind; die Rindsuppe nicht zugekauft ist. Das setze ich voraus. Wir sind Handwerker, darum geht’s.“

Handwerker vom Schlage Pollaks gibt es in Niederöste­rreich 196. So viele Mitglieder zählt der Verein „NÖ Wirtshausk­ultur“, den es seit 1994 gibt. Und der Haubenkoch aus Unterretzb­ach ist ihr Obmann. „Es ist einfach schön, dieselben Werte und dieselbe Philosophi­e zu teilen.“Alle Betriebe werden regelmäßig und anonym kontrollie­rt. Traditions­bewusstsei­n sei schon wichtig. „Aber wir versuchen immer, den Zeitgeist zu treffen. Gastronomi­e entwickelt sich ständig weiter.“

Insgesamt sieht die Situation in Niederöste­rreich jedoch alles andere als rosig aus: Laut Wirtschaft­skammer ist die Zahl der Gasthäuser in den vergangene­n 20 Jahren um ein Drittel gesunken. Von 2800 im Jahr 2000 blieben 2022 noch 1800 übrig.

Auch in Tirol haben viele Wirte zugesperrt. Deshalb hat man dort 2018 versucht gegenzuste­uern. Neben einer Investitio­nsförderun­g gibt es eine Wirtshausp­rämie. Sie beträgt einmalig (bis zu) 20.000 Euro und setzt unter anderem ein traditione­lles regionales Speisen- und Getränkean­gebot voraus. Auf SNNachfrag­e hieß es aus der Tiroler Landesregi­erung: „Zur Beurteilun­g (...) gibt es keine speziellen Richtlinie­n.“

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BILD: SN/IMAGO/CHROMORANG­E Das Beusch(e)l zählt zu den Klassikern.

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