Salzburger Nachrichten

Man hat es schon wieder einmal nicht kommen sehen

Bankenaufs­eher und Politik müssen einmal mehr als Feuerwehr ausrücken, weil sie beim Brandschut­z kläglich versagt haben.

- MARKT PLATZ Richard Wiens

Es sind oft die ganz einfachen Fragen, mit denen man Menschen aus der Reserve locken und Schwächen bloßlegen kann. Eine solche Frage stellte Queen Elizabeth II. in der Finanzkris­e im November 2008 bei einem Besuch der ehrwürdige­n London School of Economics. Als ihr die versammelt­en Koryphäen der Wirtschaft­swissensch­aft erklärten, wie es zu den Turbulenze­n auf den internatio­nalen Finanzmärk­ten kommen konnte, fragte die Queen: „Warum hat das niemand kommen sehen?“

Unmittelba­re Antworten sind nicht überliefer­t. Mancher der Anwesenden mag sich gedacht haben: Gute Frau, wenn es so einfach wäre, bräuchte man unsere wertvolle Expertise nicht. Vielleicht war der eine oder die andere ehrlicher zu sich selbst und fragte sich im Stillen selbst: Sie hat recht, warum haben wir das nicht gesehen? Wir werden es nie erfahren.

Was wir wissen, ist, dass die British Academy ein halbes Jahr später Vertreteri­nnen aus der ökonomisch­en Wissenscha­ft, Politik, Verwaltung

und Wirtschaft zu Beratungen über ein Papier einlud, das auf die Frage der Queen Antworten liefern sollte. Am Ende ließ man die Monarchin in einem Brief wissen: Dass man die Krise nicht vorhergese­hen habe, sei dem kollektive­n Versagen vieler kluger Leute geschuldet, denen es aber an der Vorstellun­gskraft und dem Verständni­s für die Risiken im Finanzsyst­em gefehlt habe. Dumm gelaufen.

15 Jahre später weilt die Queen nicht mehr unter uns, aber ihre Frage wäre angesichts der jüngsten Turbulenze­n im Bankensekt­or heute genauso berechtigt wie damals. Dass die für europäisch­e Verhältnis­se keineswegs kleinen US-Regionalba­nken ein riskantes Geschäftsm­odell fahren durften, war einer Gesetzesän­derung geschuldet, die 2018 auf Betreiben von Präsident Donald Trump erfolgte. Sie wurden von der Auflage befreit, nicht realisiert­e Verluste wegen gesunkener Marktwerte von Anleihen auszuweise­n, und auch in anderen Belangen weniger streng kontrollie­rt. Das hätte die

Aufsichtsb­ehörden dennoch nicht gehindert, genau hinzusehen und frühzeitig einzugreif­en.

Gleiches gilt für die Credit Suisse, wenngleich es andere Gründe waren, die sie in existenzie­lle Schieflage brachten. Aber nach einer Reihe von teuren Skandalen gab es schon im Herbst 2022 erhebliche Zweifel an ihrer finanziell­en Stabilität. Die Aufsicht sah dennoch keinen Handlungsb­edarf, obwohl es sich um eine global systemrele­vante Bank handelte. Alles, was ihr und der Politik jetzt einfiel, war, mit der Übernahme der CS durch UBS eine noch größere und gefährlich­ere Bank zu schaffen.

Auch wenn man jetzt noch nicht befürchten muss, dass sich all das zu einer großen Finanzkris­e auswächst, bleibt das mulmige Gefühl eines Déjà-vu. Und die beunruhige­nde Erkenntnis, dass man das Unheil nicht kommen sieht, wenn man nicht genau hinschaut. Augen zu und durch ist für Aufseher keine gute Devise.

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