Man hat es schon wieder einmal nicht kommen sehen
Bankenaufseher und Politik müssen einmal mehr als Feuerwehr ausrücken, weil sie beim Brandschutz kläglich versagt haben.
Es sind oft die ganz einfachen Fragen, mit denen man Menschen aus der Reserve locken und Schwächen bloßlegen kann. Eine solche Frage stellte Queen Elizabeth II. in der Finanzkrise im November 2008 bei einem Besuch der ehrwürdigen London School of Economics. Als ihr die versammelten Koryphäen der Wirtschaftswissenschaft erklärten, wie es zu den Turbulenzen auf den internationalen Finanzmärkten kommen konnte, fragte die Queen: „Warum hat das niemand kommen sehen?“
Unmittelbare Antworten sind nicht überliefert. Mancher der Anwesenden mag sich gedacht haben: Gute Frau, wenn es so einfach wäre, bräuchte man unsere wertvolle Expertise nicht. Vielleicht war der eine oder die andere ehrlicher zu sich selbst und fragte sich im Stillen selbst: Sie hat recht, warum haben wir das nicht gesehen? Wir werden es nie erfahren.
Was wir wissen, ist, dass die British Academy ein halbes Jahr später Vertreterinnen aus der ökonomischen Wissenschaft, Politik, Verwaltung
und Wirtschaft zu Beratungen über ein Papier einlud, das auf die Frage der Queen Antworten liefern sollte. Am Ende ließ man die Monarchin in einem Brief wissen: Dass man die Krise nicht vorhergesehen habe, sei dem kollektiven Versagen vieler kluger Leute geschuldet, denen es aber an der Vorstellungskraft und dem Verständnis für die Risiken im Finanzsystem gefehlt habe. Dumm gelaufen.
15 Jahre später weilt die Queen nicht mehr unter uns, aber ihre Frage wäre angesichts der jüngsten Turbulenzen im Bankensektor heute genauso berechtigt wie damals. Dass die für europäische Verhältnisse keineswegs kleinen US-Regionalbanken ein riskantes Geschäftsmodell fahren durften, war einer Gesetzesänderung geschuldet, die 2018 auf Betreiben von Präsident Donald Trump erfolgte. Sie wurden von der Auflage befreit, nicht realisierte Verluste wegen gesunkener Marktwerte von Anleihen auszuweisen, und auch in anderen Belangen weniger streng kontrolliert. Das hätte die
Aufsichtsbehörden dennoch nicht gehindert, genau hinzusehen und frühzeitig einzugreifen.
Gleiches gilt für die Credit Suisse, wenngleich es andere Gründe waren, die sie in existenzielle Schieflage brachten. Aber nach einer Reihe von teuren Skandalen gab es schon im Herbst 2022 erhebliche Zweifel an ihrer finanziellen Stabilität. Die Aufsicht sah dennoch keinen Handlungsbedarf, obwohl es sich um eine global systemrelevante Bank handelte. Alles, was ihr und der Politik jetzt einfiel, war, mit der Übernahme der CS durch UBS eine noch größere und gefährlichere Bank zu schaffen.
Auch wenn man jetzt noch nicht befürchten muss, dass sich all das zu einer großen Finanzkrise auswächst, bleibt das mulmige Gefühl eines Déjà-vu. Und die beunruhigende Erkenntnis, dass man das Unheil nicht kommen sieht, wenn man nicht genau hinschaut. Augen zu und durch ist für Aufseher keine gute Devise.