Frittatensuppe im Beutel
Wer wird was? Diese für jegliches politische System zentrale Frage treibt zur Zeit die SPÖ um. In den italienischen Stadtstaaten – in Florenz oder Venedig etwa – wurde das Problem seinerzeit folgendermaßen gelöst: Die Namen aller Kandidaten wurden auf Kugeln geschrieben, die Kugeln wurden in einen Beutel gesteckt und dann wurde ein Waisenknabe gebeten, eine Kugel aus dem Beutel zu ziehen. Und der, dessen Namen darauf stand, der wurde es. Fertig.
Gleiche Chancen für alle – demokratischer geht’s nicht, möchte man meinen. Es gab da allerdings eine kleine, nicht ganz unwesentliche Einschränkung: Die Oligarchen der Stadt bestimmten nämlich davor, wer beutelfähig war. Also wessen Kugel überhaupt ins Sackerl kommen durfte und so erst die Chance bekam, in des Waisenknaben Finger zu geraten. Hm, damit schaut das demokratische Prozedere plötzlich nicht mehr ganz so demokratisch aus.
Und wie macht das die Sozialdemokratie? Die Oligarchen der SPÖ haben erstens sämtliche SPÖ-Mitglieder zu Waisenknaben erklärt. Und sie haben sich zweitens als lupenreine Demokraten erwiesen und in der Parteichef- und Spitzenkandidatenfrage alle Personen für beutelfähig erklärt, die irgendwo in der Gegend herumkugeln. Also mehr Demokratie geht wirklich nicht. Das ist eine kugelrunde Sache.
Ein weiteres heißes Debattenthema dieser Woche waren die Regierungsbildung in Niederösterreich und der Inhalt des dortigen Koalitionspakts. Dass die FPÖ bereits eingehobene Coronastrafen zurückzahlen möchte, hat auch das hiesige Purgatorium erheblich beunruhigt. Denn wenn das niederösterreichische Beispiel Schule machen sollte und in Hinkunft auch die zeitlichen Höllenstrafen zurückerstattet werden müssen, hört sich ja das ganze Fegefeuer auf. Wir protestieren aufs Energischste!
Protestiert wurde auch gegen den Passus im niederösterreichischen Koalitionspakt, wonach die Wirtshäuser nur noch dann eine Förderung des Landes bekommen sollen, wenn sie traditionell und regional kochen. Na, mehr haben die schwarz-blauen Hinterwäldler in
St. Pölten nicht gebraucht: Knüppel(um nicht zu sagen knödel-)dick prasselten die Proteste auf sie ein.
Der Hinweis, dass die seinerzeitige schwarz-grüne Koalition in Tirol genau die gleiche Förderungsrichtlinie mit dem Pochen auf traditionelle und regionale Speisen erlassen hat und es dort keinerlei Proteste gab, besänftigte (um nicht zu sagen: besenftigte) die kulinarischen Gemüter nicht. Denn wenn die Grünen etwas tun, ist es etwas anderes, als wenn die Blauen etwas tun. Das weiß jedes Kind. Quod licet Iovi, non licet bovi. Was dem Jupiter erlaubt ist, ist dem Rindvieh noch lange nicht erlaubt.
Aber apropos Rindvieh: Ist eine Rindsuppe mit Frittaten jetzt eine traditionelle und regionale Speise oder nicht? Das ist die entscheidende Frage.
Thomas Bernhard sagte Ja, denn er soll die Frittatensuppe als Triumph der Provinz bezeichnet und also im obigen Sinne als förderungswürdig erkannt haben. Dem könnte man entgegenhalten, dass die barbarische Sitte, eine völlig wehrlose Palatschinke brutal in Streifen zu zerschneiden und dann in heißer Suppe zu ertränken, namentlich auf ein italienisches Gericht namens Frittata zurückgeht. Welsche Sitten!
Wenn Frittatensuppe somit total urban und weltoffen ist, was ist dann wirklich traditionell und regional? Zu Ehren der blauen Regierungsbeteiligung in Niederösterreich haben wir in der „Germania“des Tacitus nachgeschlagen.
Dort steht: „Das Getränk der Germanen ist ein Gebräu aus Gerste und Weizen. Ihr Essen ist sehr einfach: wild wachsendes Obst, frisch erlegtes Wild oder auch Sauermilch.“– So weit die aktuellen Förderungsrichtlinien für Wirtshäuser.