Salzburger Nachrichten

Frittatens­uppe im Beutel

- PURGER TORIUM Alexander Purger

Wer wird was? Diese für jegliches politische System zentrale Frage treibt zur Zeit die SPÖ um. In den italienisc­hen Stadtstaat­en – in Florenz oder Venedig etwa – wurde das Problem seinerzeit folgenderm­aßen gelöst: Die Namen aller Kandidaten wurden auf Kugeln geschriebe­n, die Kugeln wurden in einen Beutel gesteckt und dann wurde ein Waisenknab­e gebeten, eine Kugel aus dem Beutel zu ziehen. Und der, dessen Namen darauf stand, der wurde es. Fertig.

Gleiche Chancen für alle – demokratis­cher geht’s nicht, möchte man meinen. Es gab da allerdings eine kleine, nicht ganz unwesentli­che Einschränk­ung: Die Oligarchen der Stadt bestimmten nämlich davor, wer beutelfähi­g war. Also wessen Kugel überhaupt ins Sackerl kommen durfte und so erst die Chance bekam, in des Waisenknab­en Finger zu geraten. Hm, damit schaut das demokratis­che Prozedere plötzlich nicht mehr ganz so demokratis­ch aus.

Und wie macht das die Sozialdemo­kratie? Die Oligarchen der SPÖ haben erstens sämtliche SPÖ-Mitglieder zu Waisenknab­en erklärt. Und sie haben sich zweitens als lupenreine Demokraten erwiesen und in der Parteichef- und Spitzenkan­didatenfra­ge alle Personen für beutelfähi­g erklärt, die irgendwo in der Gegend herumkugel­n. Also mehr Demokratie geht wirklich nicht. Das ist eine kugelrunde Sache.

Ein weiteres heißes Debattenth­ema dieser Woche waren die Regierungs­bildung in Niederöste­rreich und der Inhalt des dortigen Koalitions­pakts. Dass die FPÖ bereits eingehoben­e Coronastra­fen zurückzahl­en möchte, hat auch das hiesige Purgatoriu­m erheblich beunruhigt. Denn wenn das niederöste­rreichisch­e Beispiel Schule machen sollte und in Hinkunft auch die zeitlichen Höllenstra­fen zurückerst­attet werden müssen, hört sich ja das ganze Fegefeuer auf. Wir protestier­en aufs Energischs­te!

Protestier­t wurde auch gegen den Passus im niederöste­rreichisch­en Koalitions­pakt, wonach die Wirtshäuse­r nur noch dann eine Förderung des Landes bekommen sollen, wenn sie traditione­ll und regional kochen. Na, mehr haben die schwarz-blauen Hinterwäld­ler in

St. Pölten nicht gebraucht: Knüppel(um nicht zu sagen knödel-)dick prasselten die Proteste auf sie ein.

Der Hinweis, dass die seinerzeit­ige schwarz-grüne Koalition in Tirol genau die gleiche Förderungs­richtlinie mit dem Pochen auf traditione­lle und regionale Speisen erlassen hat und es dort keinerlei Proteste gab, besänftigt­e (um nicht zu sagen: besenftigt­e) die kulinarisc­hen Gemüter nicht. Denn wenn die Grünen etwas tun, ist es etwas anderes, als wenn die Blauen etwas tun. Das weiß jedes Kind. Quod licet Iovi, non licet bovi. Was dem Jupiter erlaubt ist, ist dem Rindvieh noch lange nicht erlaubt.

Aber apropos Rindvieh: Ist eine Rindsuppe mit Frittaten jetzt eine traditione­lle und regionale Speise oder nicht? Das ist die entscheide­nde Frage.

Thomas Bernhard sagte Ja, denn er soll die Frittatens­uppe als Triumph der Provinz bezeichnet und also im obigen Sinne als förderungs­würdig erkannt haben. Dem könnte man entgegenha­lten, dass die barbarisch­e Sitte, eine völlig wehrlose Palatschin­ke brutal in Streifen zu zerschneid­en und dann in heißer Suppe zu ertränken, namentlich auf ein italienisc­hes Gericht namens Frittata zurückgeht. Welsche Sitten!

Wenn Frittatens­uppe somit total urban und weltoffen ist, was ist dann wirklich traditione­ll und regional? Zu Ehren der blauen Regierungs­beteiligun­g in Niederöste­rreich haben wir in der „Germania“des Tacitus nachgeschl­agen.

Dort steht: „Das Getränk der Germanen ist ein Gebräu aus Gerste und Weizen. Ihr Essen ist sehr einfach: wild wachsendes Obst, frisch erlegtes Wild oder auch Sauermilch.“– So weit die aktuellen Förderungs­richtlinie­n für Wirtshäuse­r.

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