Salzburger Nachrichten

Wüste Gegend

Der Tschad steckt schon heute in der Klimakatas­trophe. Kämpfe um Ressourcen, Naturkatas­trophen und Flüchtling­e sind die Folge.

- STEPHANIE PACK-HOMOLKA

Amadou Bocoum ist Länderdire­ktor der Hilfsorgan­isation Care im Tschad. Er kümmert sich um das Problem der Unterernäh­rung, die Folgen des Klimawande­ls und um Flüchtling­e. Im SN-Gespräch erklärt er, wie alles miteinande­r verbunden ist.

SN:

Wie viel Einfluss hat der Klimawande­l jetzt schon auf das Leben im Tschad?

Amadou Bocoum: Sehr viel. Einerseits wirkt er sich auf die Sicherheit von Landbesitz­ern aus, auf der Basis eines bereits existieren­den Konflikts. Die Bevölkerun­g wächst, wir haben eine hohe Geburtenra­te von 5,8. Zugleich ist aufgrund des Klimawande­ls die Produktion in der Landwirtsc­haft gesunken. Die Menschen brauchen mehr Land für den Anbau und nehmen dann auch Flächen, die für die Herden genutzt werden. Darüber gibt es immer Konflikte und Kämpfe. Menschen müssen deswegen fliehen. Das ist die eine Sache. Die andere sind Unterernäh­rung und Hunger. Die Menge an Nahrungsmi­tteln geht wirklich zurück. Das sind die hauptsächl­ichen Folgen des Klimawande­ls.

SN:

Das Erste ist, Leben zu sichern, wenn die Menschen flüchten müssen. Wir haben Nothilfepr­ogramme und in Camps stellen wir die Grundverso­rgung zur Verfügung, sanitäre Anlagen und Wasseransc­hlüsse. Die Menschen bekommen auch ein sogenannte­s Dignity Kit. Sie brauchen zumindest eine Matte, auf der sie schlafen können, ein Moskitonet­z. Wir unterricht­en die Leute auch, kleine Aktivitäte­n aufzunehme­n.

Wenn wir es schaffen, ihnen etwas Land zu besorgen, helfen wir beim Anbau, zum Beispiel von Maniok.

Werden Sorten ausgewählt, die besonders klimaresis­tent sind?

SN:

Was können Sie dagegen tun?

Ja, genau. Wir arbeiten mit dem Nationalen Institut für Landwirtsc­haft zusammen. Die nutzen jetzt Kurzzeitku­lturen. Normalerwe­ise brauchen die Sorten etwa drei Monate, jetzt werden welche genutzt, die einen kürzeren Zyklus haben – und wachsen, bevor der Regen aussetzt und die Trockenzei­t beginnt. Wir nennen das verbessert­es Saatgut. Normalerwe­ise sind die Zyklen jetzt zwischen 45 und 60 Tage lang.

Zusätzlich zu den geringen Regenfälle­n gibt es jetzt aber auch Überschwem­mungen. Können Sie sich das vorstellen? (lacht) Im Tschad, in der Wüstengege­nd, wo wir darum kämpfen, Wasser zu haben, gibt es jetzt Überschwem­mungen. Vor etwa vier Monaten gab es eine große Überschwem­mung. Sie hat die gesamten Ernten zerstört. Sogar mein

Haus in N’Djamena (der Hauptstadt des Tschad, Anm.) wurde komplett überflutet. Wir brauchten eine elektrisch­e Pumpe, um das Wasser herauszube­kommen. Stellen Sie sich erst die Schäden in ländlichen Gebieten vor.

Haben Sie so eine Überflutun­g das erste Mal erlebt?

SN:

Es war nicht das erste Mal, aber es passiert jetzt sehr häufig. Und dieses Mal war es wirklich schlimm. Wir suchen derzeit gerade nach Finanzmitt­eln für jene Menschen, die wirklich alles verloren haben. Ihr Haus, ihre Ernte. Sieben Millionen Menschen waren von der Überschwem­mung betroffen. Es war eine richtig große Sache. Wir haben also beide Dinge: Dürre und Überschwem­mung. Sie sind gegensätzl­ich, aber beides ist da. Und beides hat Einfluss auf die Nahrungsmi­ttelUnsich­erheit.

Dazu kommen gestiegene Lebensmitt­elpreise durch den Ukraine-Krieg. Sind die auch im Tschad angekommen?

SN:

Ja. Weil jeder jetzt Brot isst. Brot ist ein internatio­nales Lebensmitt­el geworden. Es wird aus Weizen gemacht, das aus der Ukraine und aus Russland kommt. Wegen der Kämpfe ist der Preis stark gestiegen – und damit auch der Preis der Lebensmitt­el im Tschad. Zusätzlich zum Getreide sind auch die Treibstoff­e teurer geworden. Auch bei Dünger, die wir aus der Ukraine und aus Russland gehabt haben, sind die Mengen stark zurückgega­ngen wegen des Kriegs. Auch haben viele unserer Mitarbeite­r um eine Gehaltserh­öhungen gebeten, weil die Preise wirklich stark gestiegen sind. Es war sehr hart – und es ist noch immer sehr hart. Die meisten Geber haben ihr Augenmerk gerade auf die Ukraine gerichtet, aber manchmal vergessen sie, dass der Krieg dort auch viele Probleme anderswo geschaffen hat. Sogar schlimmere als in der Ukraine.

SN:

Zu wissen: Wenn die Dinge aus dem Ruder laufen in den südlichen Ländern, werden die Menschen weggehen. Wir müssen die Dinge in den Griff bekommen, bevor sich die Lage weiter verschlech­tert. Das tut sie langsam, langsam, langsam. Die Lage verbessert sich deswegen nicht, weil wir die Probleme nicht wirklich angehen. Wenn es ein hundertpro­zentiges Problem gibt und du gibst ein oder zwei Prozent Unterstütz­ung, hast du zwar das Gefühl, etwas getan zu haben. Aber wir müssen die Dinge ernsthaft angehen. Wenn man die ganze Bereitscha­ft sieht, die Ukraine zu unterstütz­en, das ganze Geld, das dorthin geht – das ist viel! Ein kleiner Teil davon könnte uns schon helfen. Natürlich gibt es in der Ukraine ein großes Problem. Aber auf der anderen Seite gibt es eines, das noch viel größer ist.

Was erwarten Sie von Europa, von Österreich?

 ?? ?? Im Tschad wird nicht mehr nur um, sondern auch gegen Wasser gekämpft. Überflutun­gen nehmen zu.
Im Tschad wird nicht mehr nur um, sondern auch gegen Wasser gekämpft. Überflutun­gen nehmen zu.

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