Wüste Gegend
Der Tschad steckt schon heute in der Klimakatastrophe. Kämpfe um Ressourcen, Naturkatastrophen und Flüchtlinge sind die Folge.
Amadou Bocoum ist Länderdirektor der Hilfsorganisation Care im Tschad. Er kümmert sich um das Problem der Unterernährung, die Folgen des Klimawandels und um Flüchtlinge. Im SN-Gespräch erklärt er, wie alles miteinander verbunden ist.
SN:
Wie viel Einfluss hat der Klimawandel jetzt schon auf das Leben im Tschad?
Amadou Bocoum: Sehr viel. Einerseits wirkt er sich auf die Sicherheit von Landbesitzern aus, auf der Basis eines bereits existierenden Konflikts. Die Bevölkerung wächst, wir haben eine hohe Geburtenrate von 5,8. Zugleich ist aufgrund des Klimawandels die Produktion in der Landwirtschaft gesunken. Die Menschen brauchen mehr Land für den Anbau und nehmen dann auch Flächen, die für die Herden genutzt werden. Darüber gibt es immer Konflikte und Kämpfe. Menschen müssen deswegen fliehen. Das ist die eine Sache. Die andere sind Unterernährung und Hunger. Die Menge an Nahrungsmitteln geht wirklich zurück. Das sind die hauptsächlichen Folgen des Klimawandels.
SN:
Das Erste ist, Leben zu sichern, wenn die Menschen flüchten müssen. Wir haben Nothilfeprogramme und in Camps stellen wir die Grundversorgung zur Verfügung, sanitäre Anlagen und Wasseranschlüsse. Die Menschen bekommen auch ein sogenanntes Dignity Kit. Sie brauchen zumindest eine Matte, auf der sie schlafen können, ein Moskitonetz. Wir unterrichten die Leute auch, kleine Aktivitäten aufzunehmen.
Wenn wir es schaffen, ihnen etwas Land zu besorgen, helfen wir beim Anbau, zum Beispiel von Maniok.
Werden Sorten ausgewählt, die besonders klimaresistent sind?
SN:
Was können Sie dagegen tun?
Ja, genau. Wir arbeiten mit dem Nationalen Institut für Landwirtschaft zusammen. Die nutzen jetzt Kurzzeitkulturen. Normalerweise brauchen die Sorten etwa drei Monate, jetzt werden welche genutzt, die einen kürzeren Zyklus haben – und wachsen, bevor der Regen aussetzt und die Trockenzeit beginnt. Wir nennen das verbessertes Saatgut. Normalerweise sind die Zyklen jetzt zwischen 45 und 60 Tage lang.
Zusätzlich zu den geringen Regenfällen gibt es jetzt aber auch Überschwemmungen. Können Sie sich das vorstellen? (lacht) Im Tschad, in der Wüstengegend, wo wir darum kämpfen, Wasser zu haben, gibt es jetzt Überschwemmungen. Vor etwa vier Monaten gab es eine große Überschwemmung. Sie hat die gesamten Ernten zerstört. Sogar mein
Haus in N’Djamena (der Hauptstadt des Tschad, Anm.) wurde komplett überflutet. Wir brauchten eine elektrische Pumpe, um das Wasser herauszubekommen. Stellen Sie sich erst die Schäden in ländlichen Gebieten vor.
Haben Sie so eine Überflutung das erste Mal erlebt?
SN:
Es war nicht das erste Mal, aber es passiert jetzt sehr häufig. Und dieses Mal war es wirklich schlimm. Wir suchen derzeit gerade nach Finanzmitteln für jene Menschen, die wirklich alles verloren haben. Ihr Haus, ihre Ernte. Sieben Millionen Menschen waren von der Überschwemmung betroffen. Es war eine richtig große Sache. Wir haben also beide Dinge: Dürre und Überschwemmung. Sie sind gegensätzlich, aber beides ist da. Und beides hat Einfluss auf die NahrungsmittelUnsicherheit.
Dazu kommen gestiegene Lebensmittelpreise durch den Ukraine-Krieg. Sind die auch im Tschad angekommen?
SN:
Ja. Weil jeder jetzt Brot isst. Brot ist ein internationales Lebensmittel geworden. Es wird aus Weizen gemacht, das aus der Ukraine und aus Russland kommt. Wegen der Kämpfe ist der Preis stark gestiegen – und damit auch der Preis der Lebensmittel im Tschad. Zusätzlich zum Getreide sind auch die Treibstoffe teurer geworden. Auch bei Dünger, die wir aus der Ukraine und aus Russland gehabt haben, sind die Mengen stark zurückgegangen wegen des Kriegs. Auch haben viele unserer Mitarbeiter um eine Gehaltserhöhungen gebeten, weil die Preise wirklich stark gestiegen sind. Es war sehr hart – und es ist noch immer sehr hart. Die meisten Geber haben ihr Augenmerk gerade auf die Ukraine gerichtet, aber manchmal vergessen sie, dass der Krieg dort auch viele Probleme anderswo geschaffen hat. Sogar schlimmere als in der Ukraine.
SN:
Zu wissen: Wenn die Dinge aus dem Ruder laufen in den südlichen Ländern, werden die Menschen weggehen. Wir müssen die Dinge in den Griff bekommen, bevor sich die Lage weiter verschlechtert. Das tut sie langsam, langsam, langsam. Die Lage verbessert sich deswegen nicht, weil wir die Probleme nicht wirklich angehen. Wenn es ein hundertprozentiges Problem gibt und du gibst ein oder zwei Prozent Unterstützung, hast du zwar das Gefühl, etwas getan zu haben. Aber wir müssen die Dinge ernsthaft angehen. Wenn man die ganze Bereitschaft sieht, die Ukraine zu unterstützen, das ganze Geld, das dorthin geht – das ist viel! Ein kleiner Teil davon könnte uns schon helfen. Natürlich gibt es in der Ukraine ein großes Problem. Aber auf der anderen Seite gibt es eines, das noch viel größer ist.