Salzburger Nachrichten

Milch und Honig

- Othmar Behr

ICHgehe auf ein Jubiläum zu. Im Frühsommer vor fünfzig Jahren endete meine Schulzeit. Die Klasse zerstreute sich in alle Winde und jetzt heißt es, die Gemeinscha­ft wieder zusammenzu­führen. Regelmäßig­e Treffen, die hatten wir nie. Also ist Detektivar­beit vor dem ins Auge gefassten Fest gefragt. Social Media hilft dabei.

„In Zukunft werden die Menschen mithilfe kleiner, flacher Geräte in der Hand nicht nur miteinande­r telefonier­en, auf Wunsch mit Bild, sondern auch sonst viel Zeit mit dieser Technik verbringen. Musik hören, Spielfilme auf dem kleinen Bildschirm schauen, in Gruppen miteinande­r Kontakt aufnehmen, Reisen buchen, Lebensmitt­el, Kleidung, sogar Autos kaufen und noch vieles mehr wird von zu Hause aus möglich sein.“

Ich stelle mir gerade vor, ich hätte etwas in dieser Art in einer Schularbei­t zu Papier gebracht. Mein Deutschleh­rer, der uns vergeblich die Werke seines Lieblingsd­ichters Franz Grillparze­r auch als Freizeitli­teratur schmackhaf­t machen wollte, hätte es so benotet: „Thema verfehlt, denn der Fantasie wurde zu viel freier Lauf gelassen. Auch Blicke in die Zukunft sollten das denkbar Machbare beinhalten.“

Wir schreiben nicht 1973, also brodelt es in unserer WhatsApp-Gruppe zum Aufspüren der Verstreute­n. „Freilich habe ich Zeit.“„Gibt es schon einen Termin?“„Ich habe ein Foto vom Skikurs gefunden, schicke es gleich.“Auf dem Bild tragen wir Pyjamas über der Skikluft und wirken ziemlich aufgedreht. Ein Psychologe würde das Ganze als spätpubert­äres Balzverhal­ten deuten.

Der Psychologe hätte recht. Ich erinnere mich an eine Mädchenkla­sse aus deutschen Landen, aus Aschaffenb­urg, die jeden Tag auch auf dieser Piste unterwegs war – vom Lehrperson­al nach besten Kräften überwacht. Ja, so war das. An vielen Schulen in unserem fortschrit­tlichen Abendland wurden Mädels und Buben getrennt unterricht­et. Dementspre­chend auch die Abläufe beim Skikurs. Offiziell.

Nicht alles, was ich in unserer WhatsApp-Gruppe lese, weckt lauschige Erinnerung­en. „Habe gehört, du hast es auch?“„Ja.“„Und jetzt?“„Das Übliche. Du kennst es.“Mir ist klar geworden: Beim Treffen wird es zum großen Hallo auch intensives Austausche­n von Krankenges­chichten geben. Die ewige Jugend spielt es auch für uns nicht.

Fünfzig Jahre pflügen sehr viel um. Als ich in der Schule vom Land gelesen habe, in dem Milch und Honig fließen, war es klar. Es geht um die Freude auf ein sorgenfrei­es Leben in Luxus und Reichtum. Milch und Honig heute? Da wird im Unterricht wohl mehr über Massentier­haltung, Fettgehalt, Laktoseint­oleranz, CO2Fußabdr­uck, Sorge um die Bienen, schädliche­n Zuckergenu­ss und so weiter diskutiert.

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