Salzburger Nachrichten

Gleichung mit 73 Unbekannte­n

Rendi-Wagner, Doskozil, Babler – oder wer? Die SPÖ-Mitglieder­befragung entwickelt sich zum politische­n und logistisch­en Albtraum.

- ANDREAS KOLLER

„Ein Desaster.“– „Ein krasseres Führungsve­rsagen ist nicht vorstellba­r.“– „Unfassbar, wie sich die SPÖ in eine solche Lage bringen konnte.“So beurteilt ein prominente­r Sozialdemo­krat, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, auf SN-Anfrage die Vorgänge in seiner Partei.

Die sich am Wochenende so gestaltet haben: Freitag um 23.59 Uhr lief die vom Parteipräs­idium gesetzte Frist ab, bis zu der sich Parteimitg­lieder als Kandidaten für die Funktion des SPÖ-Vorsitzend­en bewerben konnten. Hielt die Partei Freitagnac­hmittag noch bei rund 30 Kandidaten, so war deren Feld bis Mitternach­t auf nicht weniger als 73 Bewerber angewachse­n. Darunter 69 Männer und nur vier Frauen.

Dies bringt den Ablauf, den sich die Parteiführ­ung für die Mitglieder­befragung ausgedacht hat, gehörig ins Wanken. Schon die Donnerstag­nachmittag bekannt gewordene Kandidatur des Traiskirch­ner Bürgermeis­ters Andreas Babler hatte den geplanten Zweikampf zwischen Pamela Rendi-Wagner und Hans Peter Doskozil konterkari­ert. Die nunmehrige totale Aufsplitte­rung des Kandidaten­felds macht die Mitglieder­befragung zum Lotte

riespiel. Wobei offenbar nicht geplant ist, alle 73 Bewerber tatsächlic­h auf die offizielle Kandidaten­liste zu setzen. „Die Bewerbunge­n werden nun gesichtet“, verlautete am Sonntag aus der SPÖ-Zentrale. Nach welchen Kriterien dies erfolgen soll, war nicht zu erfahren. Der oberösterr­eichische Landeschef Michael Lindner dachte am Sonntag laut darüber nach, dass man den Bewerbern 1400 Unterstütz­ungserklär­ungen abverlange­n könnte. Dies hätte freilich den Schönheits

fehler, dass mitten im Bewerb die Spielregel­n geändert werden.

Nicht nur die Zahl der Kandidaten um den SPÖ-Vorsitz, auch die Zahl der Parteimitg­lieder ist in den vergangene­n Tagen in die Höhe geschnellt. Die SPÖ vermeldete am Sonntag rund 9000 Neueintrit­te. Das ist angesichts der bisherigen Mitglieder­zahl von knapp unter 140.000 ein erhebliche­r Zuwachs – dies vor allem, wenn man in Rechnung stellt, dass sich unter den 140.000 etliche Karteileic­hen befinden, die nicht an der Mitglieder­befragung teilnehmen werden, während die neuen 9000 mit Sicherheit ihre Stimme abgeben werden. Ein langjährig­er Parteiinsi­der teilte am Sonntag den SN seine Einschätzu­ng mit, dass sich die neuen Mitglieder vor allem aus dem Kreis der Babler-Fans rekrutiere­n. Sollte dies zutreffen, erhielte die Mitglieder­befragung eine völlig neue Dynamik.

Wie geht es nun weiter? Am Montagvorm­ittag tritt neuerlich das SPÖ-Präsidium zusammen, anschließe­nd tagt der Parteivors­tand. Zahlreiche offene Fragen sind zu klären: Wie umgehen mit den 73 Kandidaten? Wie vorgehen, sollte bei der Mitglieder­befragung keiner der Bewerber und Bewerberin­nen eine absolute Mehrheit erhalten? Soll dann eine weitere Mitglieder­befragung zwecks Stichwahl vorgenomme­n werden? Würde dies die Partei nicht bis weit in den Herbst hinein lähmen? Und wie will die Parteiführ­ung den Parteitag dazu bringen, den Gewinner oder die Gewinnerin der Mitglieder­befragung tatsächlic­h zum Parteichef, zur Parteichef­in zu küren? Der Parteitag ist das höchste Gremium der SPÖ und an keinerlei Weisungen oder Vorgaben gebunden. Laut Statut obliegt ihm – und nicht etwa den Parteimitg­liedern – die Wahl des oder der Bundespart­eivorsitze­nden.

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BILD: SN/APA/ROLAND SCHLAGER Die Lage in der SPÖ ist reichlich verworren.

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