„Ich verstehe den Aufschrei“
Heinz Faßmann plädiert für eine evidenzbasierte Politik. Was Schwarz-Blau in Niederösterreich bei Corona plant, fällt für ihn nicht darunter.
Heinz Faßmann war Bildungsminister und ist im Jahr 2022 wieder an die Akademie der Wissenschaften (ÖAW) zurückgekehrt. Was der ÖAW-Präsident zur Aufarbeitung der Pandemie sagt und wie er Wissenschaft stärken will.
SN: Der Aufschrei der Wissenschaft war groß, als SchwarzBlau in Niederösterreich kundtat, dass man etwa für die Coronaimpfung nicht mehr werben wird. Und indirekt führte das auch zur früheren Auflösung der Gecko-Kommission. Wie sehen Sie das Ganze als Schirmherr über die Wissenschaft?
Heinz Faßmann: Ich verstehe den Aufschrei. Man sieht täglich im Fernsehen Werbung für ein Mittel gegen Erektionsprobleme und eine seriöse Werbung für die Coronaimpfung sollte verboten werden? Das geht sich nicht aus. Es war sensationell, wie schnell eine wirkungsvolle Impfung entwickelt worden ist, die letztlich alle klinischen Tests bestanden hat. Und dafür eine öffentlich finanzierte Werbung zu verbieten, obwohl erwiesenermaßen Menschenleben damit gerettet werden? Für mich ist es nicht verständlich.
SN: Sind Sie enttäuscht, dass die ÖVP, die Sie als Bildungsminister einst geholt hat, nun derart einknickt vor der FPÖ?
Das ist eine innenpolitische Angelegenheit Niederösterreichs. Ich kann die Verhandlungen nicht beurteilen, weil ich nicht dabei war. Aber ich hätte dieses Kapitel im Arbeitsübereinkommen in dieser Art und Weise nicht akzeptiert. Und was mir noch auffällt: Es gibt Punkte, die längst abgehakt sind, etwa Deutsch im Pausenhof. Da gibt es einschlägige rechtliche Gutachten, dass das nicht durchsetzbar ist. Diese Forderung habe ich 2018 als Bildungsminister schon abgelehnt.
SN: Kann man Gräben zuschütten, indem man einer Partei, die nachweislich Fake News verbreitet hat, recht gibt?
Gräben zuschütten ist ein großes Wort. Ich glaube, man kann so etwas wie Verständnis erzielen dafür, wie schwierig die Situation während der Pandemie war. Aber Gräben zuschütten würde am Ende ja auch ein Vergeben beinhalten. Zurzeit ist das schwer möglich.
Bleibt in Niederösterreich nicht unterm Strich die Botschaft, alles sei schlecht gelaufen?
SN:
Ja, leider. Und das gerade in einem Bundesland, das besonders konsequente Coronamaßnahmen gesetzt hat, wenn ich an die Impfpflicht für die Neuaufnahmen im Landesdienst denke. Man sieht, wie pragmatisch Politik sein kann oder vielleicht auch sein muss.
SN: Die Wissenschaftsskepsis ist in Österreich groß. Auch bei den Klimaplänen von Kanzler Nehammer klingt eine gewisse Skepsis durch. Inwiefern ist das gefährlich?
Was die Wissenschaft kann, ist, gesichertes, überprüftes Wissen zu erarbeiten. Wenn man nicht einmal daran glauben möchte, dann gehen Leitlinien in der Gesellschaft verloren. Daher halte ich viel von einer evidenzbasierten Politik, einer Politik,
die auf wissenschaftlichen Fakten und Erkenntnissen aufbaut. Die Wissenschaft informiert, die Politik entscheidet. Diese klare Rollenteilung ist wichtig. Wissenschaft kann der Politik und der Gesellschaft Sicherheit vermitteln – und das ist eine gute Botschaft.
SN: Aber eine, die offenbar immer weniger gehört wird?
Das kann man so nicht sagen. Es gibt widersprüchliche Befunde. Wir haben eine Befragung machen lassen. Ergebnis: 70 Prozent haben Vertrauen, 30 Prozent weniger. Das unterscheidet sich gar nicht signifikant zu Deutschland oder der Schweiz. Aber klarerweise wollen wir die 30 Prozent noch erreichen.
Die Pandemie löste auch eine Welle von Anfeindungen gegen Wissenschafter aus. Die ÖAW hat sogar eine eigene Beratungsstelle für Betroffene eingerichtet. Kommt das an?
SN:
Ja. Die Anlaufstelle „Science Care“ist mir persönlich wichtig. Denn wenn wir fordern, dass Wissenschafterinnen und Wissenschafter mit den Medien über ihre Arbeit sprechen – dann dürfen wir sie dann nicht alleinlassen, wenn einmal was schiefgeht oder das, was gesagt wurde, nicht als adäquat empfunden wurde. Denn was wir nicht wollen: dass sich Wissenschafter zurückziehen.
SN: Ihre Wünsche an die Politik?
Der Wissenschaftsminister legt Wert darauf, dass das Vertrauen in die Wissenschaft gestärkt wird. Das finde ich sehr wichtig und richtig. Wenn die Politik hingegen sagen würde: Vertraut der Wissenschaft – dann wäre das eher kontraproduktiv, da ohnehin der Verdacht besteht, die Wissenschaft sei eins mit den Eliten und der Politik. Die Wissenschaft muss eben selbst danach trachten, Vertrauen zu gewinnen. Und das Arbeiten gegen Fake News ist ja die immanente Aufgabe der Wissenschaft. Man hat ja auch erst einmal widerlegen müssen, dass die Erde eine Scheibe ist.
SN: Wie ist der Blick zurück auf Ihren eigenen Rollenwechsel
– von der Wissenschaft in die Politik? Sie waren als Minister immer für offene Schulen, der Rückblick gibt Ihnen recht.
Dennoch sage ich nicht mit Häme, ich habe immer schon recht gehabt. Denn ich weiß ganz genau, dass das Entscheiden damals eine wirklich hochkomplexe Sache war. Es geht ja immer um das Abwägen von Zielen. Ich wollte die Schulen offen halten, weil ich weiß, dass die Schule den Kindern und Jugendlichen so etwas wie Zeit- und Sinnstruktur vermittelt. Andere sagten aber: Die Schule ist ein idealer Umschlagplatz für die Verbreitung von Viren – was ja auch stimmt. Es gilt immer, den Ausgleich zu finden. Die Aufarbeitung ist jedenfalls ein laufender Prozess.
„Wissenschaft kann Sicherheit vermitteln.“Heinz Faßmann, ÖAW-Präsident
SN: Welche Lehren zieht die Wissenschaft?
Wir haben gemeinsam mit der deutschen Leopoldina die „Wiener Thesen“zur Gesellschafts- und Politikberatung erarbeitet. Zentrales Ergebnis: Die Wissenschaft soll informieren, Optionen aufzeigen, ja, auch warnen – aber sich nicht in die Rolle des Entscheiders drängen. Und umgekehrt sollen Politiker entscheiden, aber nicht wissenschaftliche Expertisen von sich geben – nach dem Motto „Was ist das beste Mittel gegen Viren?“, wie das ein prominenter Klubobmann praktiziert hat. Die Rollenverteilung wäre wichtig, in der Praxis kommt es aber immer wieder zum Rollentausch.
SN: Wie sehen Sie Ihre Zeit in der Politik im Rückblick?
Im Rückblick sieht man alles leichter. Auch die vielen und nicht immer sinnvollen Forderungen. Hat nicht gerade die FPÖ die vielen Plexiglasscheiben zwischen allen Kindern in der Schule gefordert? Aber so ist Politik. Für mich war es aber eine unglaublich interessante Zeit. Aber alles hat seine Zeit.