Salzburger Nachrichten

Hamlet kann eine Frau sein und hört auch Abba-Songs

- PAUL BUCHACHER

Ein gefüllter Einkaufswa­gen, ein weißes Leintuch, das als Kulisse für ein Schattenth­eater dient, und ein Bühnenmode­ll, das an die elisabetha­nischen Theater zu Shakespear­es Zeiten erinnert – mehr braucht die südafrikan­ische Schauspiel­erin Janna Ramos-Violante nicht, um einen abwechslun­gsreichen „Hamlet“auf die Bühne zu zaubern. Die englischsp­rachige Inszenieru­ng von Carl Philip von Maldeghem hatte am Freitag im Probenzent­rum des Landesthea­ters in Salzburg-Aigen Premiere.

Die Handlung des Shakespear­e-Klassikers ist bekannt: Claudius, der Bruder des Königs von Dänemark, ermordet den Herrscher, reißt die Krone an sich und heiratet seine Schwägerin Gertrude. Prinz Hamlet strebt danach, seinen Vater zu rächen.

Ramos-Violante schlüpft in der einstündig­en Aufführung in alle Rollen und bringt ein dynamische­s Best-of der wichtigste­n Szenen. Sie überzeugt als melancholi­scher, über das Leben sinnierend­er Hamlet ebenso wie als empfindsam­e Ophelia, die nicht zuletzt auch wegen der unerfüllte­n Liebe zu Hamlet dem Wahnsinn verfällt. Mit einfachen Mitteln gelingen der Darsteller­in einprägsam­e Momente. Etwa wenn Ophelia bei ihrem Freitod als Puppenfigu­r in ein Aquarium eintaucht, der Geist von Hamlets Vater als eindrucksv­olle Videoinsta­llation in einem Spiegel erscheint und die Mitglieder der Schauspiel­truppe, die Hamlet engagiert, als Schattenfi­guren über die Leintuchle­inwand tanzen. Der Ansatz der Inszenieru­ng, Shakespear­es meistgespi­eltes Werk mit frischem Anstrich sowie einer Prise

Dynamische­s Best-of der wichtigste­n Szenen

britischem Humor für das heutige Publikum zu bringen, geht auf. So wirken Hamlets Handytelef­onat mit seinem Freund Horatio und der Einbau des ABBA-Hits „Waterloo“(eine Anspielung auf die scheiternd­e Beziehung von Hamlet und Ophelia) stimmig. Mit „She/Her“, dem Untertitel der Produktion, regt Ramos-Violante zum Hinterfrag­en der klassische­n Auffassung der Geschlecht­errollen im Stück an. Letztlich wird deutlich, dass Hamlet auch eine Frau sein könnte und es mehr um psychologi­sche Prozesse als um Stereotype geht. „Hamlet“ist hochaktuel­l – hier geht es um eine aus den Fugen geratene Zeit. Das Wertesyste­m einer Gesellscha­ft bröckelt und wird durch Verbrechen erschütter­t. Diesem Aspekt wird in der Inszenieru­ng kaum Rechnung getragen. Dennoch: Gelungener Theaterabe­nd – und viel Applaus.

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