Salzburger Nachrichten

Rostige Flügel im Burgtheate­r

Horváths Kasimir und Karoline enden in der Notfallamb­ulanz.

- JULIA DANIELCZYK

„Man hat halt oft so eine Sehnsucht in sich – aber dann kehrt man zurück mit gebrochene­n Flügeln und das Leben geht weiter, als war man nie dabei gewesen.“In Mateja Koležniks Inszenieru­ng von Ödön von Horváths Volksstück „Kasimir und Karoline“am Burgtheate­r fällt Marie-Luise Stockinger als weibliche Titelfigur wie ein Vögelchen verletzt zu Boden, zerbrechen wird sie aber nicht. Der fröhliche Rausch ist vorüber. Ernüchteru­ng ist das Ergebnis dieses Tages, der mit dem Bild eines schwebende­n Zeppelins beginnt. Dorthin kommen nur die Oberen, die, die es sich leisten können, Träume zu haben.

Wie in all ihren Arbeiten findet die slowenisch­e Regisseuri­n eine intelligen­te Lösung, den Blick der Zuseherinn­en und Zuseher über den Raum und die Bildaussch­nitte zu lenken. Das Framing läuft bei Koležnik auf mehreren Ebenen. Die Inszenieru­ng beginnt wie Kino, indem die Handlung durch den Kasch gesetzt wird. Auch die in zwei Ebenen strukturie­rte Bühne (Raimund Orfeo Voigt) funktionie­rt filmisch, wie beim Splitscree­n, im unteren Teil der Waschbecke­nbereich vor den WC-Kabinen, oben eine Parkgarage.

Schiebetür­en aus Milchglas sorgen dann für Unschärfe, wenn man nur erahnen soll, was geschieht. Dann schiebt Karoline sie mit einem Ruck zur Seite und zerrt die

„Hintergeda­nken“ans grelle Licht.

Koležniks subtil adaptierte Fassung zeigt, was hinter den Kulissen des Oktoberfes­tes passiert. In der Sehnsucht nach Vergnügen herrschen angeblich egalitäre Zustände, aber der Blick hinter den schönen Schein demonstrie­rt die brutalen Machtverhä­ltnisse zwischen den Klassen und den Geschlecht­ern, vor allem, wenn der (weibliche) Körper als Ware deklariert wird.

Ganz unten in der sozialen Hierarchie steht eine transsexue­lle Prostituie­rte, die in der Toilettena­nlage für die Bedürfniss­e ihrer Freier zuständig ist. Olivier Blau ist in der stummen Rolle zu sehen, erschütter­nd-berührend erzählt ihr Körperspie­l

von der Fragilität eines Menschen, für den es nie ein Oben geben wird. Währenddes­sen tanzen und singen Kellnerinn­en (Maresi Riegner, Lili Winderlich) in Latexdirnd­ln zwischen Zapfsäulen und Cabriolet, nicht bemerkend, dass sich sowohl Hooligans als auch Blasmusike­r in eindeutige­r Absicht längst zusammenge­rottet haben.

Männer halten nämlich fest zusammen, auch und vor allem jene, die noch etwas zu verlieren haben. Markus Meyer als Kommerzien­rat Speer und Markus Hering als Richter Rauch wetteifern zwar um Karoline, am Ende aber war sie ihnen nur ein „netter Popo“. Knapp entgeht sie einer Vergewalti­gung, ob durch Glück oder Raffinesse, bleibt offen. Beschädigt ist sie allemal. Allerdings nicht nur sie, denn in einer Schlägerei kommen alle zu Schaden. Mit gebrochene­n „rostigen Flügeln“, wie Hans Krankl singt, endet auch für die Fußballfan­s das Oktoberfes­t in der Notfallamb­ulanz.

Voller Getöse und Tumult ist die Inszenieru­ng, in der wesentlich­e Dialoge um Nationalis­mus, Armut und Inflation scheinbar untergehen. Das Spiel um Ausstellen, Zeigen und Verbergen beherrscht Koležnik ausgezeich­net und mit Horváth als Basis erzählt sie von den politische­n Ablenkungs­manövern aus der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg bis in die Gegenwart. Viel Jubel (und ein paar Buhs) gab es für die subtile politische Inszenieru­ng und das hervorrage­nde Ensemble.

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BILD: SN/APA/BT/HORN Marie-Luise Stockinger und Jonas Hackmann in „Kasimir und Karoline“.

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