Rostige Flügel im Burgtheater
Horváths Kasimir und Karoline enden in der Notfallambulanz.
„Man hat halt oft so eine Sehnsucht in sich – aber dann kehrt man zurück mit gebrochenen Flügeln und das Leben geht weiter, als war man nie dabei gewesen.“In Mateja Koležniks Inszenierung von Ödön von Horváths Volksstück „Kasimir und Karoline“am Burgtheater fällt Marie-Luise Stockinger als weibliche Titelfigur wie ein Vögelchen verletzt zu Boden, zerbrechen wird sie aber nicht. Der fröhliche Rausch ist vorüber. Ernüchterung ist das Ergebnis dieses Tages, der mit dem Bild eines schwebenden Zeppelins beginnt. Dorthin kommen nur die Oberen, die, die es sich leisten können, Träume zu haben.
Wie in all ihren Arbeiten findet die slowenische Regisseurin eine intelligente Lösung, den Blick der Zuseherinnen und Zuseher über den Raum und die Bildausschnitte zu lenken. Das Framing läuft bei Koležnik auf mehreren Ebenen. Die Inszenierung beginnt wie Kino, indem die Handlung durch den Kasch gesetzt wird. Auch die in zwei Ebenen strukturierte Bühne (Raimund Orfeo Voigt) funktioniert filmisch, wie beim Splitscreen, im unteren Teil der Waschbeckenbereich vor den WC-Kabinen, oben eine Parkgarage.
Schiebetüren aus Milchglas sorgen dann für Unschärfe, wenn man nur erahnen soll, was geschieht. Dann schiebt Karoline sie mit einem Ruck zur Seite und zerrt die
„Hintergedanken“ans grelle Licht.
Koležniks subtil adaptierte Fassung zeigt, was hinter den Kulissen des Oktoberfestes passiert. In der Sehnsucht nach Vergnügen herrschen angeblich egalitäre Zustände, aber der Blick hinter den schönen Schein demonstriert die brutalen Machtverhältnisse zwischen den Klassen und den Geschlechtern, vor allem, wenn der (weibliche) Körper als Ware deklariert wird.
Ganz unten in der sozialen Hierarchie steht eine transsexuelle Prostituierte, die in der Toilettenanlage für die Bedürfnisse ihrer Freier zuständig ist. Olivier Blau ist in der stummen Rolle zu sehen, erschütternd-berührend erzählt ihr Körperspiel
von der Fragilität eines Menschen, für den es nie ein Oben geben wird. Währenddessen tanzen und singen Kellnerinnen (Maresi Riegner, Lili Winderlich) in Latexdirndln zwischen Zapfsäulen und Cabriolet, nicht bemerkend, dass sich sowohl Hooligans als auch Blasmusiker in eindeutiger Absicht längst zusammengerottet haben.
Männer halten nämlich fest zusammen, auch und vor allem jene, die noch etwas zu verlieren haben. Markus Meyer als Kommerzienrat Speer und Markus Hering als Richter Rauch wetteifern zwar um Karoline, am Ende aber war sie ihnen nur ein „netter Popo“. Knapp entgeht sie einer Vergewaltigung, ob durch Glück oder Raffinesse, bleibt offen. Beschädigt ist sie allemal. Allerdings nicht nur sie, denn in einer Schlägerei kommen alle zu Schaden. Mit gebrochenen „rostigen Flügeln“, wie Hans Krankl singt, endet auch für die Fußballfans das Oktoberfest in der Notfallambulanz.
Voller Getöse und Tumult ist die Inszenierung, in der wesentliche Dialoge um Nationalismus, Armut und Inflation scheinbar untergehen. Das Spiel um Ausstellen, Zeigen und Verbergen beherrscht Koležnik ausgezeichnet und mit Horváth als Basis erzählt sie von den politischen Ablenkungsmanövern aus der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg bis in die Gegenwart. Viel Jubel (und ein paar Buhs) gab es für die subtile politische Inszenierung und das hervorragende Ensemble.