Frauen boxen sich frei
Das Nextcomic-Festival in Linz zeigte, wie sich aus vielen Blickwinkeln drängende Geschichten der Gegenwart aufzeichnen lassen.
Eine Frau boxt sich durch, nicht nur als Comicfigur. Es geht um eine wahre Geschichte des Überlebens in einer Welt, in der Diskriminierung Alltag ist. Die Frau heißt Joy. Sie ist Comicfigur, aber es gibt sie wirklich. Joy ist eine von zehn Frauen, deren Geschichten Valerie Bruckbög, nun ja im wahrsten Sinne, aufgezeichnet hat in „10fold – Stories against discrimination“. Die Arbeit der gebürtigen Linzerin entstand im Rahmen eines Projektes von Erasmus+ und war in den vergangenen Tagen beim Linzer Nextcomic-Festival zu sehen. „Bruckbög gehört nicht nur zu den sehr guten Jungen der Szene, sondern durch ihre Arbeit lässt sich auch gut erkennen, welche Vielfalt an Geschichten sich auf diese Weise erzählen lassen“sagt Festivalgründer Gottfried Gusenbauer.
Dass Comics nicht zwangsläufig lustig sein müssen oder Superheldinnen und Superhelden durch die Gegend fliegen, spricht sich hierzulande erst langsam herum. „Comic ist selten nur Unterhaltung, es geht fast immer auch um gesellschaftsrelevante Themen“, sagt Gusenbauer. Vor 14 Jahren hat er das Festival im Rahmen von „Linz – Europäische Kulturhauptstadt 2009“gegründet. Seither zeigt es Jahr für Jahr nicht nur eine große Dichte und eine starke Entwicklung der Szene, sondern steht auch dafür, dass Kulturhauptstadtprojekte selten, aber doch langfristig wirken können. Gusenbauer ist mittlerweile Direktor des Karikaturmuseums Krems. Als Kuratorin leitet Katherina Acht das Festival in Linz. Dass sich das Festival, wie Gusenbauer sagt, „doch jedes Jahr wieder ausgeht“, liegt an der Struktur und an der Leidenschaft der handelnden Personen. Viel Geld ist nämlich nicht da. Dafür aber gibt es die Treue und das Interesse anderer Kulturstätten. Passend, dass das Thema heuer „Freundschaft“lautete. Das lässt sich weit dehnen. Also geht es im Buch „Superglitzer“von Nele Brönner und Melanie Laibl um ein paar Tiere, die im Wald einem Smartphone eine neue Bedeutung geben. Eggy zeichnet, wie eine desillusionierte Illustratorin einen Ameisenbären trifft. Da werden Traum und Realität verwoben – nämlich auch die Realität, dass es nach wie vor schwer ist, mit Comics oder Graphic Novels in Österreich zu reüssieren.
Umso erfreulicher ist es, dass neben dem Festivalzentrum (OÖ Kulturquartier) auch andere Linzer Einrichtungen mitmachen. Sie su
chen sich Themen, Künstlerinnen und Künstler, die zum eigenen Profil passen. So etwa läuft in der Kapu in Linz, seit Jahrzehnten lebendiger Hort der Kultur des Unangepassten, eine Schau mit dem Titel „The Raw Stuff“. Im Stifterhaus, dem Linzer Literaturhaus, werden Blätter von Nicolas Mahler gezeigt. Er gehört zu den renommierten Österreichern der Szene. Unter anderem hat er sich mit der grafischen Umsetzung literarischer Großwerke – etwa von Thomas Bernhard oder Marcel Proust – international einen Namen gemacht. Im Stifterhaus gibt er am Beispiel seiner Arbeit zu Arno Schmidts „Schwarze Spiegel“Einblicke, wie er arbeitet. Im Gespräch
mit Festivalgründer Gusenbauer geht es dann auch grundsätzlich um die Szene. Während etwa in Frankreich im vergangenen Jahr die Graphic Novel „Welt ohne Ende“das meistverkaufte belletristische Werk war, hinkt Österreich nach. „Immer noch ist es schwierig zu beginnen und im Verlagswesen auch durchzukommen“, sagt Gusenbauer. Der Streifzug bei Nextcomic zeigt aber, welch enormes Potenzial hier schlummert – zeichnerisch und bei der Auswahl von drängenden sozialen Inhalten. Hier erweist sich das Genre auch als ideale Fläche für Gesellschaftskritik und Rebellion.