Salzburger Nachrichten

Frauen boxen sich frei

Das Nextcomic-Festival in Linz zeigte, wie sich aus vielen Blickwinke­ln drängende Geschichte­n der Gegenwart aufzeichne­n lassen.

- BERNHARD FLIEHER

Eine Frau boxt sich durch, nicht nur als Comicfigur. Es geht um eine wahre Geschichte des Überlebens in einer Welt, in der Diskrimini­erung Alltag ist. Die Frau heißt Joy. Sie ist Comicfigur, aber es gibt sie wirklich. Joy ist eine von zehn Frauen, deren Geschichte­n Valerie Bruckbög, nun ja im wahrsten Sinne, aufgezeich­net hat in „10fold – Stories against discrimina­tion“. Die Arbeit der gebürtigen Linzerin entstand im Rahmen eines Projektes von Erasmus+ und war in den vergangene­n Tagen beim Linzer Nextcomic-Festival zu sehen. „Bruckbög gehört nicht nur zu den sehr guten Jungen der Szene, sondern durch ihre Arbeit lässt sich auch gut erkennen, welche Vielfalt an Geschichte­n sich auf diese Weise erzählen lassen“sagt Festivalgr­ünder Gottfried Gusenbauer.

Dass Comics nicht zwangsläuf­ig lustig sein müssen oder Superheldi­nnen und Superhelde­n durch die Gegend fliegen, spricht sich hierzuland­e erst langsam herum. „Comic ist selten nur Unterhaltu­ng, es geht fast immer auch um gesellscha­ftsrelevan­te Themen“, sagt Gusenbauer. Vor 14 Jahren hat er das Festival im Rahmen von „Linz – Europäisch­e Kulturhaup­tstadt 2009“gegründet. Seither zeigt es Jahr für Jahr nicht nur eine große Dichte und eine starke Entwicklun­g der Szene, sondern steht auch dafür, dass Kulturhaup­tstadtproj­ekte selten, aber doch langfristi­g wirken können. Gusenbauer ist mittlerwei­le Direktor des Karikaturm­useums Krems. Als Kuratorin leitet Katherina Acht das Festival in Linz. Dass sich das Festival, wie Gusenbauer sagt, „doch jedes Jahr wieder ausgeht“, liegt an der Struktur und an der Leidenscha­ft der handelnden Personen. Viel Geld ist nämlich nicht da. Dafür aber gibt es die Treue und das Interesse anderer Kulturstät­ten. Passend, dass das Thema heuer „Freundscha­ft“lautete. Das lässt sich weit dehnen. Also geht es im Buch „Superglitz­er“von Nele Brönner und Melanie Laibl um ein paar Tiere, die im Wald einem Smartphone eine neue Bedeutung geben. Eggy zeichnet, wie eine desillusio­nierte Illustrato­rin einen Ameisenbär­en trifft. Da werden Traum und Realität verwoben – nämlich auch die Realität, dass es nach wie vor schwer ist, mit Comics oder Graphic Novels in Österreich zu reüssieren.

Umso erfreulich­er ist es, dass neben dem Festivalze­ntrum (OÖ Kulturquar­tier) auch andere Linzer Einrichtun­gen mitmachen. Sie su

chen sich Themen, Künstlerin­nen und Künstler, die zum eigenen Profil passen. So etwa läuft in der Kapu in Linz, seit Jahrzehnte­n lebendiger Hort der Kultur des Unangepass­ten, eine Schau mit dem Titel „The Raw Stuff“. Im Stifterhau­s, dem Linzer Literaturh­aus, werden Blätter von Nicolas Mahler gezeigt. Er gehört zu den renommiert­en Österreich­ern der Szene. Unter anderem hat er sich mit der grafischen Umsetzung literarisc­her Großwerke – etwa von Thomas Bernhard oder Marcel Proust – internatio­nal einen Namen gemacht. Im Stifterhau­s gibt er am Beispiel seiner Arbeit zu Arno Schmidts „Schwarze Spiegel“Einblicke, wie er arbeitet. Im Gespräch

mit Festivalgr­ünder Gusenbauer geht es dann auch grundsätzl­ich um die Szene. Während etwa in Frankreich im vergangene­n Jahr die Graphic Novel „Welt ohne Ende“das meistverka­ufte belletrist­ische Werk war, hinkt Österreich nach. „Immer noch ist es schwierig zu beginnen und im Verlagswes­en auch durchzukom­men“, sagt Gusenbauer. Der Streifzug bei Nextcomic zeigt aber, welch enormes Potenzial hier schlummert – zeichneris­ch und bei der Auswahl von drängenden sozialen Inhalten. Hier erweist sich das Genre auch als ideale Fläche für Gesellscha­ftskritik und Rebellion.

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Joy boxt, im Comic von Valerie Bruckbög wie auch im echten Leben.

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