Salzburger Nachrichten

Kunstwerk oder Ärgernis?

Graffiti an Hausmauern und U-Bahn-Zügen richten in Wien jährlich Millionens­chäden an. Die Sprayer sind nur schwer zu kriegen.

- ANDREAS TRÖSCHER

Chefinspek­tor Herbert Landauf legt einen Stapel Fotos – großformat­ig ausgedruck­t – vor sich auf den Tisch. Es sind sogenannte Screenshot­s von Überwachun­gskameras. Sie zeigen wild bemalte U-Bahn-Waggons, maskierte Personen und jede Menge sichergest­ellte Spraydosen. Landauf leitet die Abteilung Eigentumsd­elikte im Bundeskrim­inalamt. Und da fällt auch jegliche Art von Graffiti darunter, egal, wie kunstvoll oder unkreativo­rdinär das Sprayen im öffentlich­en Raum auch sein mag. „Es ist nicht unsere Aufgabe, zu bewerten, ob das schön ist oder nicht“, stellt Landauf klar. Ausschließ­lich die Paragrafen 125 (Sachbeschä­digung) und 126 (schwere Sachbeschä­digung) des Strafgeset­zbuchs sind von Belang.

Von 58.000 bundesweit angezeigte­n Sachbeschä­digungen im Jahr 2022 waren 9000 Graffiti. Davon stammten 3500 aus Wien. Was die Tendenz betrifft, sagt Landauf: „Es ist mehr geworden. Aber angezeigte und tatsächlic­he Fälle korreliere­n nicht.“Er nennt als Beispiel die Wiener Gemeindeba­uten. „Es werden quasi keine Anzeigen erstattet.“Auf SN-Anfrage heißt es seitens Wiener Wohnen, zuständig für 220.000 Gemeindewo­hnungen: „Im Durchschni­tt werden rund 70.000 Euro pro Jahr für die Entfernung von illegalen Graffiti ausgegeben. Wobei wir den Fokus bei der Entfernung von illegalen Graffiti auf sexistisch­e oder rassistisc­he Inhalte legen.“Bei der enormen Anzahl an Gemeindeba­uten scheint das Übermalen zu teuer und obendrein sinnlos. Zu schnell prangen neu gesprayte Geschlecht­steile oder wüstes Gekritzel auf den Hausmauern.

„Vieles geschieht aus Frust, Langeweile oder weil jemand Aufmerksam­keit möchte. Gruppendyn­amik ist ebenfalls ein Faktor. Es reicht von politisch motivierte­n Sprüchen über klassische Symbole wie ACAB, was für ,All cops are bastards‘ steht“, erklärt Landauf. Großen Anteil an der unerwünsch­ten Stadtbemal­ung haben auch die Fangruppen der Fußballclu­bs Austria und Rapid, die sich an manchen Stellen fast schon duellieren würden. „Da vergehen oft nur Stunden, bis ein FAK

von einem SCR übermalt wird. Oder umgekehrt.“Die Gefahr: „Wenn einer wo hinschmier­t, schmieren die anderen dazu, dann liegt plötzlich Mist dort, bald darauf Matratzen – so ein Ort verslumt ein bisserl.“

Deutlich heikler ist die Situation bei den Wiener Linien. Denn öffentlich­e Verkehrsmi­ttel zählen zur kritischen Infrastruk­tur. „Wenn da markierte Hebepunkte an Waggons übermalt werden, dürfen sie nicht fahren.“Die Folgen: Materialau­sfall und hohe Kosten. „Der Gesamtscha­den bewegt sich pro Jahr zwischen zwei und drei Millionen Euro“, sagt Sprecherin Katharina Steinwendt­ner. „Jeder Fall wird zur Anzeige gebracht und der Schaden in Rechnung gestellt – rund zehn bis 15 Fälle landen pro Jahr vor Gericht.“Die Aufklärung­squote liegt laut Chefinspek­tor Landauf bei „knapp zehn Prozent“. Das ist nicht einmal so wenig, wenn man bedenkt, wie schwer die Täter zu fassen sind. „Profession­elle Sprayer treten immer in Gruppen auf. Und sie stammen aus allen Teilen der Welt. Somit ist es auch schwer, zivilrecht­liche Verfahren zu führen.“Diese „bunt zusammenge­würfelten Partien“seien ausgezeich­net organisier­t, es gebe „Schmierest­eher“, die Aktionen seien minutiös vorbereite­t. Selbst großflächi­ge Graffiti an U-Bahn-Zügen dauerten kaum eine Minute.

Als Ermittler müsse man überaus wachsam sein, um Sprayer überführen zu können. „Manchmal gibt es einen DNA-Treffer auf einer zurückgela­ssenen Dose. Oder es fällt jemand mit Kleidung auf, die typische Farbflecke­n aufweist.“Gemeinsam mit der TU Wien hat das Bundeskrim­inalamt ein Analysepro­gramm entwickelt, das – nach dem Prinzip der Gesichtser­kennung

– die „Handschrif­t“von Sprayern wiedererke­nnt.

Die Stadt Wien versucht seit Jahren, der Graffitisz­ene Raum zu geben, in dem sie sich völlig legal austoben kann. An 23 Orten sind Graffiti nicht nur erlaubt, sondern ausdrückli­ch erwünscht. So konnte etwa der kaum zu ertragende­n Tristesse des Donaukanal­s Einhalt geboten werden. Auf mehreren Kilometern reiht sich eine Farbexplos­ion an die andere. Wie eine gigantisch­e, luzide Bildergale­rie werten die Bemalungen die grauen Kaimauern und Brückenpfe­iler auf. Es bedarf keiner Anmeldung, um zu praktisch jeder Tages- und Nachtzeit – in Ruhe – seiner Graffitile­idenschaft zu frönen.

Jemanden, der den Nervenkitz­el sucht, wird man am Donaukanal jedoch nicht antreffen. Landauf: „Viele filmen ihre Aktionen und stellen sie ins Netz.“In bildhafter Erinnerung blieb bei dem Ermittler eine Gruppe, die sich „Berlin Kidz“nannte. „Die haben sich an Rauchfänge­n eingehängt und von Hausdächer­n abgeseilt, um ihre gesprayten Werke in möglichst luftiger Höhe zu vollenden. Sie wollen ja, dass man sieht, was sie geschaffen haben – es geht um Bewunderun­g und Anerkennun­g.“

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BILD: SN/TRÖSCHER Am Wiener Donaukanal gibt es die schönsten Graffiti – dort ist Sprayen auch völlig legal.
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„Werke sollen bewundert werden“Herbert Landauf, Bundeskrim­inalamt

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