Wenn Querdenken die Aufklärung gefährdet
Bekenntnisse zu Wissenschaft und Logik beim Symposion zur letzten, von Peter Weibel kuratierten ZKM-Ausstellung „Renaissance 3.0“.
Hexenjagd und Angriffe auf die Wissenschaft? „Das ist nicht mehr lustig“, sagt der streitbare deutsche Sozial- und Wissenschaftspsychologe Tilmann Betsch und warnt vor „antiaufklärerischen Tendenzen“, die derzeit in die Gesellschaft einsickern. Bei seinem Vortrag „Science matters!“beim Symposium zur Ausstellung „Renaissance 3.0“im ZKM Karlsruhe warnte er davor, „den Diskurs kaputt zu machen“, und brach eine Lanze für wissenschaftliche Methodik: „Das schwarze Kleeblatt der Antiaufklärung besteht aus Delegitimierung, Erfahrung, Identität und Camouflage.“
Das hochrangig besetzte, zweitägige Symposion wurde auch zu einer Hommage an den kürzlich verstorbenen ZKM-Leiter Peter Weibel, den Betsch „als Aufklärer erlebt“hat. Damit die großen Errungenschaften der Aufklärung („Argument statt Status, Methodik statt Subjektivität, kritischer Diskurs statt Immunisierung“) nicht ins Hintertreffen geraten, plädierte Betsch für eine Hinwendung zur Wissenschaftlichkeit und eine Abkehr von der Strategie der Selbstermächtigung. Ein „Ich bin die Person, die alles weiß“-Denken werde bei vielen sogenannten Querdenkern und Wissenschaftsskeptikerinnen sichtbar, betonte Betsch.
„Unsere subjektive Erfahrung ist grundsätzlich fehlerbehaftet und nie objektiv“, sagte der Sozial- und Wissenschaftspsychologe, der seine Thesen im Buch „Science matters! Wissenschaftlich statt querdenken“(Springer-Verlag) zusammengefasst hat. Es ist ein Bekenntnis zu Logik und Mathematik, Wahrscheinlichkeitstheorie, zu Studien und Experimenten, die mit Kontrollgruppen arbeiten. Man dürfe sich, so Betsch, nicht zurückziehen auf Glaubenshaltungen. Wissenschaft sei das genaue Gegenteil von Glauben – eine „Kultivierung der Kritik“. Der Rekurs auf die eigene Erfahrung habe etwa in der Pandemie zu einer „Abwertung der Wissenschaft“geführt. Insbesondere bei Covid-19 räumte Betsch in der Diskussion ein, dass die Wissenschaft „viel dazulernen müsse“. Mit Forderungen nach Zero Covid sei man zu weit gegangen: „Das dürfen wir nicht machen.“Die Wissenschaft müsse, so Betsch, bei der Unsicherheitskommunikation viel besser werden.
Gefahren sieht der Wissenschafter etwa durch Camouflage, also wenn unter dem Deckmantel einer guten Sache Diskurs verhindert werde. Die Delegitimierung wiederum ziele auf eine Abwertung anderer Gruppen und Expertisen ab: „Die sind alle gekauft.“Passiert dies, haben Fake, Verschwörung unD alternative Fakten freie Bahn. Und unter dem Motto „Der Inquisitor bin ich“werde der Diskurs vom Sozialen ins Individuelle verlegt: „Ich bin verletzt, ich fühle mich angegriffen.“Eine Strategie, die Betsch „rechts wie links“ortet.