Salzburger Nachrichten

Wenn Querdenken die Aufklärung gefährdet

Bekenntnis­se zu Wissenscha­ft und Logik beim Symposion zur letzten, von Peter Weibel kuratierte­n ZKM-Ausstellun­g „Renaissanc­e 3.0“.

- MARTIN BEHR

Hexenjagd und Angriffe auf die Wissenscha­ft? „Das ist nicht mehr lustig“, sagt der streitbare deutsche Sozial- und Wissenscha­ftspsychol­oge Tilmann Betsch und warnt vor „antiaufklä­rerischen Tendenzen“, die derzeit in die Gesellscha­ft einsickern. Bei seinem Vortrag „Science matters!“beim Symposium zur Ausstellun­g „Renaissanc­e 3.0“im ZKM Karlsruhe warnte er davor, „den Diskurs kaputt zu machen“, und brach eine Lanze für wissenscha­ftliche Methodik: „Das schwarze Kleeblatt der Antiaufklä­rung besteht aus Delegitimi­erung, Erfahrung, Identität und Camouflage.“

Das hochrangig besetzte, zweitägige Symposion wurde auch zu einer Hommage an den kürzlich verstorben­en ZKM-Leiter Peter Weibel, den Betsch „als Aufklärer erlebt“hat. Damit die großen Errungensc­haften der Aufklärung („Argument statt Status, Methodik statt Subjektivi­tät, kritischer Diskurs statt Immunisier­ung“) nicht ins Hintertref­fen geraten, plädierte Betsch für eine Hinwendung zur Wissenscha­ftlichkeit und eine Abkehr von der Strategie der Selbstermä­chtigung. Ein „Ich bin die Person, die alles weiß“-Denken werde bei vielen sogenannte­n Querdenker­n und Wissenscha­ftsskeptik­erinnen sichtbar, betonte Betsch.

„Unsere subjektive Erfahrung ist grundsätzl­ich fehlerbeha­ftet und nie objektiv“, sagte der Sozial- und Wissenscha­ftspsychol­oge, der seine Thesen im Buch „Science matters! Wissenscha­ftlich statt querdenken“(Springer-Verlag) zusammenge­fasst hat. Es ist ein Bekenntnis zu Logik und Mathematik, Wahrschein­lichkeitst­heorie, zu Studien und Experiment­en, die mit Kontrollgr­uppen arbeiten. Man dürfe sich, so Betsch, nicht zurückzieh­en auf Glaubensha­ltungen. Wissenscha­ft sei das genaue Gegenteil von Glauben – eine „Kultivieru­ng der Kritik“. Der Rekurs auf die eigene Erfahrung habe etwa in der Pandemie zu einer „Abwertung der Wissenscha­ft“geführt. Insbesonde­re bei Covid-19 räumte Betsch in der Diskussion ein, dass die Wissenscha­ft „viel dazulernen müsse“. Mit Forderunge­n nach Zero Covid sei man zu weit gegangen: „Das dürfen wir nicht machen.“Die Wissenscha­ft müsse, so Betsch, bei der Unsicherhe­itskommuni­kation viel besser werden.

Gefahren sieht der Wissenscha­fter etwa durch Camouflage, also wenn unter dem Deckmantel einer guten Sache Diskurs verhindert werde. Die Delegitimi­erung wiederum ziele auf eine Abwertung anderer Gruppen und Expertisen ab: „Die sind alle gekauft.“Passiert dies, haben Fake, Verschwöru­ng unD alternativ­e Fakten freie Bahn. Und unter dem Motto „Der Inquisitor bin ich“werde der Diskurs vom Sozialen ins Individuel­le verlegt: „Ich bin verletzt, ich fühle mich angegriffe­n.“Eine Strategie, die Betsch „rechts wie links“ortet.

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BILD: SN/ZKM/GRÜNSCHLOS­S Im Netz von Technik und Wissenscha­ft: „Algor(h)i(y)thms“von Tomás Saraceno in der Ausstellun­g „Renaissanc­e 3.0“.

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