Er untersucht, ob Dialekte aussterben
Sprechen Sie noch Tennengauerisch? – so werden oft Quizfragen betitelt. Fakt ist: Die Dialekte verändern sich. Die Universität Salzburg erforscht, wie stark.
Welche Dialekte gibt es in Österreich? Das wurde zuletzt vor gut 100 Jahren vollständig erhoben. Der Sprachwissenschafter Georg Wenker ließ damals einen Fragebogen an 50.000 Schulstandorte im Deutschen Kaiserreich und den benachbarten Ländern verschicken – in Kurrentschrift. Dieser wurde dann von den dortigen Lehrern ausgefüllt und zurückgeschickt.
Im Rahmen des Forschungsprojekts Deutsch in Österreich werden diese Daten aktualisiert. Einer der Beteiligten ist der Germanist Dominik Wallner. „Ich fahre zu den Menschen nach Hause und stelle ihnen verschiedene Fragen oder lasse sie Sätze vom Hochdeutschen in ihren Dialekt übersetzen. Wir suchen in jedem Ort eine ältere und eine jüngere Person.“Die Erhebung läuft noch bis Ende Mai. In Göming, Krispl, Scheffau, St. Martin am Tennengebirge, Dienten, St. Martin bei Lofer und Mariapfarr werden noch Mitwirkende gesucht. (Infos unter: WWW.DIOE.AT)
Die Schwierigkeit bestehe darin, dialektfeste Sprecherinnen und Sprecher zu finden, die wenig Kontakt zu anderen Sprachen oder Dialekten hätten und nicht im Tourismus oder in einer sprechenden Funktion (Bürgermeister) tätig seien. Ziel ist eine digitale basisdialektale Grundkarte Österreichs. „Hannes Scheutz hat schon viele Dialektatlanten erstellt und hat uns in unserer Arbeitsweise stark beeinflusst“, sagt Wallner.
Doch was ist eigentlich ein Basisdialekt? „Das ist die älteste kleinsträumige Varietät. Die Ebene, auf der man einen Großarler von einem Taxenbacher unterscheiden kann. Aber das löst sich zunehmend auf, zugunsten von großräumigeren Varietäten – sogenannten Regiolekten.“Irgendwann werde man vielleicht einen Pongauer nicht mehr so gut von einer Pinzgauerin unterscheiden können. Das habe mit der sozialen Funktion der Sprache zu tun: „Wenn sich die Sprechenden ändern, ändert sich auch die Sprache“, sagt Wallner. „Früher sind die Menschen oft nicht aus dem eigenen Tal hinausgekommen, sind nur acht Jahre in die Schule gegangen und hatten keinen Fernseher. Heute ist es ganz anders. Die sprachliche Realität bildet die soziale Realität ab“, beschreibt der 39-Jährige.
Das führe dazu, dass manche Dialekte ausstürben, zum Beispiel das von Scheutz untersuchte „Altsalzburgerisch“, das früher im Flachgau, in der Stadt Salzburg und im Rupertiwinkel (Bayern) gesprochen worden sei. Jetzt finde man es nur mehr bei der älteren Bevölkerung.
Ein Merkmal dieses Dialekts sei das Wort „spielen“, gesprochen: „spih’n“. Die jüngere Generation verwende bereits das aus Wien und Nieder- bzw. Oberösterreich kommende „spüh’n“. Innergebirg sei diese Form seit jeher gebräuchlich, aber sprachhistorisch anders zu erklären, sagt Wallner. Im Rupertiwinkel wiederum werde „spih’n“vom bayerischen „spuin“abgelöst.
Dennoch sagt Wallner: „Dialekt wird nie ganz verschwinden, weil er eine Funktion erfüllt, die die Hochsprache nicht abdecken kann.“Er nennt ein Beispiel aus seinem eigenen Leben. „Ich bin ein gebürtiger Pinzgauer und meine Erstsprache war der Dialekt. Das Standarddeutsch in der Schule war meine erste Fremdsprache. Wenn ich meine Buben tröste, dann sage ich nicht: ,Komm her, mein Kleiner, hast du dir wehgetan?‘, sondern ,Heitamannei, kimm her amoi‘ …“Der Dialekt sei also den Naheverhältnissen vorbehalten und das werde auch so bleiben.
Nicht zu unterschätzen sei allerdings das Prestige, das einer Sprache zuerkannt werde. Das sagt Stephan Elspaß, Professor für Linguistik am Fachbereich Germanistik der Uni Salzburg.
„Da erkennen wir innerhalb des Bundeslands Salzburg große Unterschiede.“Je urbaner, desto mehr Prestige habe das Hochdeutsche – „eine sehr suggestive Bezeichnung“, sagt Elspaß. Ein anderes Salzburger Forschungsprojekt untersuche die Verwendung von Dialekten und nichtdeutschen Sprachen im Schulunterricht. Die zwei Salzburger Projekte sind Teil des Großprojekts Deutsch in Österreich, das noch bis 2025 in Salzburg, Wien und Graz läuft und vom Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung mit 6,3 Millionen Euro gefördert wird.
Für die Wissenschaft sei es oft schwer abzugrenzen, wo ein Basisdialekt aufhöre und ein anderer beginne. Ein Grund dafür sei, dass Dialekte nicht verschriftlicht seien, sagt Elspaß. „Viele unserer Studierenden sagen, sie schreiben ihre Nachrichten am Handy im Dialekt. Sie schreiben so, wie sie glauben, dass sie sprechen.“Für manche Laute gebe es
auf einer herkömmlichen Tastatur gar keine Buchstaben oder Sonderzeichen. Ein Beispiel dafür ist die „L-Vokalisierung“, erklärt Wallner: „In Salzburg sagt man ,göd‘, aber das standardsprachliche ,ö‘ trifft diesen Laut nicht. In Tirol sagt man ,gelt‘ oder ,galt‘.“Nach solchen Merkmalen sucht der Germanist in seiner Erhebung. Ein anderes Beispiel sei die „A-Verdumpfung“– „Kotz“statt „Katze“.
Eine weitere Hürde ist, dass Dialekt situativ eingesetzt wird. „Wir haben Studierende gebeten, sich im Dialekt vorzustellen. Das hat niemand geschafft, denn auf der Uni spricht man nicht Dialekt.“Zu hören gewesen sei „ein Mischmasch“, ein Regiolekt.
Mit einem Schmunzeln schildert Wallner zudem, dass Dialektsprechende in manchen Situationen „die höchsten Register ziehen“würden. „Beim Thema Aufklärung greifen die Leute zu sehr förmlichen Formulierungen, Standardformen und Fremdwörtern.“
„Je urbaner eine Region, desto mehr Prestige hat Hochdeutsch.“Stephan Elspaß, Uni Salzburg (Bild: SN/PLUS)