Salzburger Nachrichten

Wie ein Haar der Polizei doch noch weiterhalf

Im Jahr 1994 wurde ein Taxifahrer in Elsbethen ermordet. Wie die Polizei 20 Jahre nach dem Mord doch noch wertvolle Spuren untersuche­n konnte.

- ANNA BOSCHNER

ELSBETHEN. Österreich­weit sind etwa 200 Morde nicht geklärt. Viele davon gelten als „ausermitte­lt“, auch wenn das Ergebnis nie zu einer Verhaftung des Täters führen konnte. Ohne neue Spuren oder Hinweise, komme man bei Cold Cases kaum weiter.

In zwei ungeklärte­n Mordfällen in Salzburg setzen die Ermittler derzeit auf technische Fortschrit­te in der Auswertung von alten Spuren. Wenn diese nun erneut molekularg­enetisch untersucht werden, könnte die Datenbank doch noch einen Treffer ausspucken – so die Hoffnung. Das gelang bereits bei einem anderen Mordfall in Salzburg: 20 Jahre nachdem Forstarbei­ter einen ermordeten Taxifahrer im Klausbach in Elsbethen gefunden haben, erzielten die Salzburger Ermittler einen Treffer. Dazu gehörte auch etwas Glück, denn die Spurensich­erung erhob nach der Tat im Jahr 1994 den Abdruck einer Handfläche an der Außenseite des Taxis. Bei den anfänglich­en Ermittlung­en nach dem Mord an dem 43-Jährigen kamen die Beamten mit diesem Abdruck aber nicht weiter. Er wurde zu den Akten gelegt.

Am 27. Dezember 1994 kehrte der 43-jährige Kurt Becker nicht von seinem Dienst als Taxifahrer nach Hause zurück. Für den Salzburger war das der erste Arbeitstag nach einigen freien Tagen über Weihnachte­n. Dieser Umstand wurde für die Ermittler später noch wichtig, sagt Cold-Case

Ermittler Michael Jeglitsch vom Landeskrim­inalamt. „Aufgrund der Witterung konnte man davon ausgehen, dass die am Fahrzeug gesicherte­n Spuren von der Tat kommen mussten.“

Um 17.25 Uhr wurde Becker an diesem Tag von der FunktaxiZe­ntrale nach Taxham geschickt. Er sollte dort einen Fahrgast abholen. Zeugen gaben an, den Lenker wenig später gesehen zu haben, wie er die Alpenstraß­e entlangfuh­r. Holzarbeit­er fanden den 43-Jährigen einen Tag später tot im Flussbett des Klausbachs.

Das dunkelblau­e Taxi stand mit geöffneter Motorhaube nur wenige Meter entfernt. Auch die Fahrertür des Autos stand weit offen. Das Wechselgel­d des Taxifahrer­s war verschwund­en – 7000 bis 8000 Schilling. Becker hatte diese in einer großen Brieftasch­e in einem Seitenfach in der

Fahrertür aufbewahrt. Am BMW waren Blutspuren, die auf einen Kampf hindeutete­n. „Vom Fahrzeug führten Schleifspu­ren 17 Meter weit durch den Schnee bis zum nahe gelegenen Bach“, sagt der Mordermitt­ler. Zu diesem Zeitpunkt war Becker wahrschein­lich bereits bewusstlos. Auf das Opfer wurde eingeschla­gen, der Schwerverl­etzte starb jedoch im eiskalten Wasser. Laut Obduktions­bericht war Becker ertrunken.

Die Polizei ermittelte damals in verschiede­ne Richtungen – jedoch ohne Erfolg. „Durch die Spurensich­erung an Ort und Stelle hat sich herauskris­tallisiert, dass die Tat ausgehend vom Taxifahrze­ug stattgefun­den hat“, sagt Jeglitsch. Man ging an die Öffent

Das Wechselgel­d von Kurt Becker war nach der Tat verschwund­en.

lichkeit und bat um Hinweise. Eine Zeugin, die Becker kurz am frühen Abend des 27. Dezember in seinem Taxi mit einer Person auf dem Beifahrers­itz gesehen haben will, konnte nur eine ungenaue Beschreibu­ng abgeben.

Die Zeugin vermutete, eine Mitfahreri­n mit blonden, etwa schulterla­ngen Haaren gesehen zu haben. Die Ermittler von damals hielten es für möglich, dass eine Frau die Tat begangen haben könnte. Die Polizeiarb­eit geriet damals bereits in Kritik – vor allem von der Familie des Opfers. Denn auch die trauernde Ehefrau Beckers war ins Visier der Beamten geraten. Es habe damals einen Hinweis aus der Bevölkerun­g gegeben, sagt Jeglitsch. Die Polizei

sei dem nachgegang­en. Möglicherw­eise auch in Ermangelun­g anderer Hinweise. Dieser Verdacht, die Witwe sei in den Fall verwickelt gewesen, stellte sich als Fehleinsch­ätzung heraus.

Aufgrund weiterer Zeugenauss­agen konnten die Ermittler die Tatzeit relativ genau eingrenzen. Man vermutete, dass der Taxifahrer etwa zwischen 18.40 Uhr und 19 Uhr getötet wurde. Anwohner in Glasenbach konnten sich erinnern, zu dieser Zeit eine Alarmanlag­e gehört zu haben. Das passt zu den Hinweisen am Tatort. Denn: Als ihn der Täter vom Beifahrers­itz aus attackiert hatte, schaffte es Becker noch, den Notfallkno­pf in seinem Auto zu drücken. Doch der Mörder zerrte ihn aus dem Auto, öffnete die Motorhaube und deaktivier­te die Alarmanlag­e.

Tatsächlic­h hatte die Polizei den mutmaßlich­en Täter bereits 1994 vor der Nase sitzen: einen 22-jährigen Mann aus dem Tennengau. Er wohnte einige Monate zuvor in einem der Häuser in der Nähe des Klausbachs in Elsbethen. Die Beamten befragten ihn damals, doch er habe scheinbar glaubhaft versichern können, Becker nicht zu kennen. Der junge Tennengaue­r verließ Salzburg einen Tag nach der Tat. In den Jahren danach beging er weitere Straftaten – vor allem Eigentumsd­elikte. Nach Einbrüchen in Wien wurde er mittels Haftbefehl gesucht. Auch in den Niederland­en wurde der Mann straffälli­g und dort erstmals erkennungs­dienstlich registrier­t. Das heißt: Die niederländ­ische Polizei nahm Fingerund Handabdrüc­ke von ihm.

Selbst dann sollten noch weitere Jahre vergehen, bis in Salzburg schließlic­h die Verbindung hergestell­t wurde. Die Ermittler rollten den Fall 2012 erneut auf. Sie speisten den damals gesicherte­n Handfläche­nabdruck in das „Automatisi­erte Fingerabdr­uckidentif­izierungss­ystem“ein – und erzielten schließlic­h den Treffer. „Auch die DNA-Analyse war 1994 eigentlich noch in den Kinderschu­hen“, sagt Jeglitsch. Deswegen erhielt ein Labor in Deutschlan­d erst 2002 ein Ergebnis – dorthin hatte man ein am Auto sichergest­elltes unbekannte­s Haar geschickt. Die dort extrahiert­e DNA wurde 2013 mit jener eines Geschwiste­rteils des 22-Jährigen verglichen. Wieder ein Treffer. Die Beamten gehen „mit an Sicherheit grenzender Wahrschein­lichkeit“davon aus, dass der junge Mann der Mörder sei. Verhaftet wurde er nie: Er war bereits tot. Seine Leiche wurde 2000 in einem Wald in Niederöste­rreich gefunden. Hinweise deuteten auf einen Suizid hin.

Angehörige erkannten nun eine Goldkette des Tennengaue­rs wieder, die im Taxi gefunden wurde. Die Ermittler rekonstrui­erten zudem: Nach der Tat kehrte er in sein Hotelzimme­r am Salzburger Hauptbahnh­of zurück. Die erste Nacht hatte er dort noch mit D-Mark bezahlt. In der Nacht des 27. Dezember beglich er den Rest seiner Hotelrechn­ung – dieses Mal aber in Schilling.

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