Neutralität aus der Cognac-Batterie
Österreich ist also zu neutral, um in der Ukraine beim Minenentschärfen zu helfen und dort schlimme Unfälle zu verhindern. Davon zeigt sich zumindest der schwarze Teil der Bundesregierung felsenfest überzeugt.
Abgesehen davon, dass Spitzenjuristen anderer Meinung sind – eines ist gewiss: Der Entminungs-Disput ist nur eine von vielen Episoden im ewigen Gezerre um die Neutralität. Wobei es immer wieder erstaunt, wie viel Wirbel einzelne politische Vertreter um diese in die Jahre gekommene heilige Kuh machen – zumal, wenn man bedenkt, dass die Österreicher ursprünglich davon gar nichts wissen wollten. Die Neutralität war halt die Krot, die man schlucken musste, um 1955 Amerikaner, Russen,
Briten und Franzosen loszuwerden. Denn die Amerikaner hatten recht lange mit dem Abzug gezögert, weil sie fürchteten, die Sowjets würden dann die Alpenrepublik schlucken. Die Russen warteten ebenfalls, weil sie Angst hatten, Österreich würde nach ihrem Rückzug westliches Feindesland werden.
Überhaupt trauten gerade westliche Diplomaten den Österreichern in ihrem wackeren Ringen um Staatsvertrag und Unabhängigkeit nicht allzu viel zu. In den Worten des französischen Hochkommissars in Wien: Die Österreicher sind eine verweichlichte, weibische Rasse, drauf und dran, dass ihnen Gewalt angetan wird. Das letzte Mal waren es die Deutschen. Nächstes Mal sind es vielleicht die Russen. Sie sind nicht nur verweichlicht, sondern sind in vielerlei Hinsicht orientalisch in ihrer Schicksalsergebenheit und Bereitschaft zu akzeptieren, was sie als unwiderstehliche Kraft spüren.
Auch die Briten konnten sich nicht vorstellen, dass die Österreicher in bilateralen Gesprächen den russischen Verhandlern
irgendetwas entgegensetzen könnten. Wie meinte ein britischer Diplomat: Die Österreicher scheinen entschlossen zu sein, wie die Gadarenischen Säue ins Verhängnis zu laufen.
Nichtsdestotrotz kämpfte die Regierung von ÖVP-Kanzler Julius Raab mit aller Kraft für ein Ende der Besatzung. Außenminister Leopold Figl hatte im April 1955 beim Auftakt der Verhandlungen im Kreml, die schließlich den Durchbruch im Ringen um den Staatsvertrag bringen sollten, eine klare Botschaft dabei, die er in einen Toast verpackte: „Zehn Jahre sind genug!“Weniger klar war der darauffolgende Trinkspruch von Russlands Vizepremier Mikojan, was vielleicht an den vielen aufeinanderfolgenden Toasts lag. So meinte Mikojan, als er die Gläser der anwesenden Reporter mit armenischem Cognac füllte: „Auf schöpferische Arbeit verbunden mit Wahrheit.“Vermutlich blickte der mächtige Kreml-Politiker in etliche verdutzte Gesichter, jedenfalls sah er die Notwendigkeit, sich zu erklären: „In der Sowjetunion wird alles, was geschrieben wird und nicht genau der Wahrheit entspricht, als Lüge betrachtet. Es gibt jedoch auch Länder, in denen das Erfinden von Verleumdungen als schöpferische Arbeit angesehen wird.“
Das war nun doch eine klare Ansage in Richtung der westlichen Reporter, die freilich mit reichlich Alkohol entschädigt wurden, denn die „Wein-, Wodkaund Cognac-Batterien“waren beim Bankett „besonders umfangreich“, wie berichtet wurde.
Während heute mit dem spröden, unbelehrbaren Imperialisten Putin keine sinnvollen Verhandlungen möglich sind, fanden Österreichs Diplomaten damals, dem Wodka sei Dank, gesprächsbereite Männer auf russischer Seite. Namentlich Leopold Figl soll im Verkehr mit den Russen auf die den österreichischen Interessen so förderliche Wirkung des Alkohols gesetzt haben, wofür Figl schon zu Lebzeiten vom Dichter Otto Zernatto gewürdigt wurde: „Und kein and’rer kam ihm gleich, denn er soff für Österreich!“