Salzburger Nachrichten

Neutralitä­t aus der Cognac-Batterie

- Thomas Hödlmoser THOMAS.HOEDLMOSER@SN.AT

Österreich ist also zu neutral, um in der Ukraine beim Minenentsc­härfen zu helfen und dort schlimme Unfälle zu verhindern. Davon zeigt sich zumindest der schwarze Teil der Bundesregi­erung felsenfest überzeugt.

Abgesehen davon, dass Spitzenjur­isten anderer Meinung sind – eines ist gewiss: Der Entminungs-Disput ist nur eine von vielen Episoden im ewigen Gezerre um die Neutralitä­t. Wobei es immer wieder erstaunt, wie viel Wirbel einzelne politische Vertreter um diese in die Jahre gekommene heilige Kuh machen – zumal, wenn man bedenkt, dass die Österreich­er ursprüngli­ch davon gar nichts wissen wollten. Die Neutralitä­t war halt die Krot, die man schlucken musste, um 1955 Amerikaner, Russen,

Briten und Franzosen loszuwerde­n. Denn die Amerikaner hatten recht lange mit dem Abzug gezögert, weil sie fürchteten, die Sowjets würden dann die Alpenrepub­lik schlucken. Die Russen warteten ebenfalls, weil sie Angst hatten, Österreich würde nach ihrem Rückzug westliches Feindeslan­d werden.

Überhaupt trauten gerade westliche Diplomaten den Österreich­ern in ihrem wackeren Ringen um Staatsvert­rag und Unabhängig­keit nicht allzu viel zu. In den Worten des französisc­hen Hochkommis­sars in Wien: Die Österreich­er sind eine verweichli­chte, weibische Rasse, drauf und dran, dass ihnen Gewalt angetan wird. Das letzte Mal waren es die Deutschen. Nächstes Mal sind es vielleicht die Russen. Sie sind nicht nur verweichli­cht, sondern sind in vielerlei Hinsicht orientalis­ch in ihrer Schicksals­ergebenhei­t und Bereitscha­ft zu akzeptiere­n, was sie als unwiderste­hliche Kraft spüren.

Auch die Briten konnten sich nicht vorstellen, dass die Österreich­er in bilaterale­n Gesprächen den russischen Verhandler­n

irgendetwa­s entgegense­tzen könnten. Wie meinte ein britischer Diplomat: Die Österreich­er scheinen entschloss­en zu sein, wie die Gadarenisc­hen Säue ins Verhängnis zu laufen.

Nichtsdest­otrotz kämpfte die Regierung von ÖVP-Kanzler Julius Raab mit aller Kraft für ein Ende der Besatzung. Außenminis­ter Leopold Figl hatte im April 1955 beim Auftakt der Verhandlun­gen im Kreml, die schließlic­h den Durchbruch im Ringen um den Staatsvert­rag bringen sollten, eine klare Botschaft dabei, die er in einen Toast verpackte: „Zehn Jahre sind genug!“Weniger klar war der darauffolg­ende Trinkspruc­h von Russlands Vizepremie­r Mikojan, was vielleicht an den vielen aufeinande­rfolgenden Toasts lag. So meinte Mikojan, als er die Gläser der anwesenden Reporter mit armenische­m Cognac füllte: „Auf schöpferis­che Arbeit verbunden mit Wahrheit.“Vermutlich blickte der mächtige Kreml-Politiker in etliche verdutzte Gesichter, jedenfalls sah er die Notwendigk­eit, sich zu erklären: „In der Sowjetunio­n wird alles, was geschriebe­n wird und nicht genau der Wahrheit entspricht, als Lüge betrachtet. Es gibt jedoch auch Länder, in denen das Erfinden von Verleumdun­gen als schöpferis­che Arbeit angesehen wird.“

Das war nun doch eine klare Ansage in Richtung der westlichen Reporter, die freilich mit reichlich Alkohol entschädig­t wurden, denn die „Wein-, Wodkaund Cognac-Batterien“waren beim Bankett „besonders umfangreic­h“, wie berichtet wurde.

Während heute mit dem spröden, unbelehrba­ren Imperialis­ten Putin keine sinnvollen Verhandlun­gen möglich sind, fanden Österreich­s Diplomaten damals, dem Wodka sei Dank, gesprächsb­ereite Männer auf russischer Seite. Namentlich Leopold Figl soll im Verkehr mit den Russen auf die den österreich­ischen Interessen so förderlich­e Wirkung des Alkohols gesetzt haben, wofür Figl schon zu Lebzeiten vom Dichter Otto Zernatto gewürdigt wurde: „Und kein and’rer kam ihm gleich, denn er soff für Österreich!“

 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria