Die Solidarität hat Grenzen. Es sind jene der Ukraine.
Russland wird immer häufiger auf eigenem Staatsgebiet getroffen – was den Verbündeten der Ukraine nicht behagt.
An fast jede Waffenlieferung, die die Ukraine aus dem Westen erhalten hat, war eine Bedingung geknüpft: Die Waffen dürfen nur zur Verteidigung ukrainischen Territoriums eingesetzt werden, russisches Staatsgebiet ist tabu. Diese rote Linie war für die westlichen Verbündeten, allen voran die USA, von höchster Wichtigkeit: nur ja nicht zur Kriegspartei werden. Und dem Kreml keinen Anlass geben, das zu behaupten. Mit Fortschreiten des Krieges wurde die Linie Stück für Stück verschoben: Zu Beginn waren Kampfpanzer tabu, dann wurden sie geliefert. Inzwischen hat auch die Lieferung von Kampfjets grünes Licht bekommen.
Nun aber häufen sich die Vorfälle, bei denen der Krieg auf russisches Territorium überschwappt: Anfang Mai gingen zwei Drohnen über dem Kreml in Feuer auf, dann trugen russische proukrainische Kämpfer den Krieg in die russische Grenzregion Belgorod. Am Dienstag schwirrten Drohnen über Moskauer Wohngebiet. Am Mittwoch brannte eine russische Raffinerie nahe der Krim. Mutmaßliche Ursache: ein Drohnenangriff. Noch ist nicht klar, wer die Drohnen gesteuert hat. Kiew weist eine Beteiligung zurück. Der Takt aber erhöht sich und damit die Unsicherheit in der russischen Bevölkerung – und im Kreml. Müssen Einheiten zurückgezogen werden, um die eigenen Grenzen zu schützen? Auch die Verbündeten sind alarmiert. Die US-Regierung ließ umgehend ausrichten: „Wir unterstützen keine Angriffe innerhalb Russlands. Punkt.“Man sammle Informationen, um herauszufinden, was genau passiert sei.
Wer die Drohnen lenkt, ist die große Frage. Mindestens so groß ist jene, ob die Ukraine Russland angreifen darf. Und mit welchen Folgen? Völkerrechtlich betrachtet wären Angriffe der Ukraine auf Russland legal. Ein angegriffenes Land hat das Recht, Gewalt anzuwenden, um sich zu verteidigen. Es ist dabei nicht an die eigenen Landesgrenzen gebunden. So steht es in der Charta der Vereinten Nationen, Kapitel sieben, Artikel 51. Die Bedingungen: Die Verteidigungsangriffe dürfen nicht unverhältnismäßig sein und müssen das humanitäre Völkerrecht achten, also nicht auf Zivilisten abzielen. Der mit der Ukraine solidarische Westen hat aus Selbstschutz andere Regeln aufgestellt. Dass die Ukraine, die in diesem Monat mit so vielen Angriffen überzogen wurde wie seit Kriegsbeginn nicht mehr, zurückschlagen will, ist nachvollziehbar. Dies in Russland zu tun würde die Solidarität jedoch strapazieren bis sprengen.