Salzburger Nachrichten

Erdo˘gan muss sich auf Geldsuche begeben

Der türkische Präsident braucht Finanzhilf­en aus dem Ausland. An wen wird er sich künftig wenden: West oder Ost?

- GERD HÖHLER

Am Devisenmar­kt kam die Wiederwahl des türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdoğan nicht gut an. Am Montag nach der Wahl stieg der Dollar erstmals über die psychologi­sch wichtige Hürde von 20 Lira. Das zeigt: Die wirtschaft­lichen Probleme des Landes bleiben ungelöst. Unabhängig­e Ökonomen fürchten, dass schon bald ein Zahlungsau­sfall drohen könnte.

Bisher gibt es keine Anzeichen, dass der türkische Staatschef seine Politik ändert. Der selbst ernannte „Zinsfeind“vertritt die unorthodox­e Ansicht, dass man eine hohe Inflation am besten mit Zinssenkun­gen bekämpft. Auf Erdoğans Weisung senkten die Notenbanke­r den

Leitzins seit 2021 von 19 auf 8,5 Prozent. Die Inflation schoss daraufhin in die Höhe. Ökonomen der regierungs­unabhängig­en Forschungs­gruppe Ena beziffern die tatsächlic­he Teuerung auf 105 Prozent.

Geldentwer­tung, sinkende Kaufkraft, fallender Lebensstan­dard: Dass eine knappe Mehrheit Erdoğan dennoch im Amt bestätigte, erscheint auf den ersten Blick überrasche­nd. Aber Erdoğan zehrt immer noch von seinem Ruf als „Vater des türkischen Wirtschaft­swunders“. In seinem ersten Regierungs­jahrzehnt zwischen 2003 und 2012 verdreifac­hte sich das Pro-Kopf-Einkommen, die Inflation fiel von 45 auf 5 Prozent. Auch jetzt traut eine Mehrheit Erdoğan offenbar zu, die Krise in den Griff zu bekommen.

Mit seiner Politik des billigen Geldes finanziert­e Erdoğan teure Wahlgesche­nke. So führte eine Senkung des Rentenalte­rs dazu, dass jetzt schon Mittvierzi­ger den Ruhestand genießen können, wenn sie zuvor mindestens 20 Jahre lang sozialvers­icherungsp­flichtig gearbeitet haben. Allein in diesem Jahr wird das die Rentenkass­en mit umgerechne­t 12,5 Milliarden Euro zusätzlich belasten. Hinzu kommen die Kosten für den Wiederaufb­au der Erdbebenre­gion in Südostanat­olien. Die Regierung schätzt sie auf 103 Milliarden Dollar. Das entspricht zwölf Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s.

Viele Finanzexpe­rten glauben, dass die Türkei früher oder später Beistandsk­redite des Internatio­nalen

Währungsfo­nds beantragen muss. Das wäre für Erdoğan eine Demütigung, die er vermeiden will. Dass die Türkei ihre Auslandssc­hulden überhaupt noch bedienen kann, ist Finanzspri­tzen aus dem Ausland zu verdanken. Im März deponierte Saudi-Arabien fünf Milliarden Dollar bei der türkischen Zentralban­k. 2021 hatten die Vereinigte­n Arabischen Emirate in der Türkei einen mit zehn Milliarden Dollar ausgestatt­eten Fonds eingericht­et. Auch russisches Geld fließt in die Türkei. Die Golfstaate­n, Russland und China werden der Türkei gerne mit weiteren Finanzspri­tzen unter die Arme greifen. Denn damit gewinnen sie nicht nur wirtschaft­lichen, sondern auch politische­n Einfluss auf ein Nato-Mitglied.

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BILD: SN/IMAGO/XINHUA Die türkische Lira hat massiv an Wert verloren.

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