Schwung in der Hängepartie
Der Kompromiss zum US-Schuldenstreit steht – doch er muss noch zwei wichtige Hürden nehmen. Wer profitiert am Ende von dem Tanz am Abgrund?
Über Monate hat es so ausgesehen, als könnte eine Handvoll Politiker in den Vereinigten Staaten die Weltwirtschaft in den Abgrund reißen. Seit dem Wochenende aber ist Schwung in die zähe Debatte über ein Anheben der Schuldengrenze gekommen. Inzwischen mehren sich vorsichtig optimistische Zeichen dafür, dass Demokraten und Republikaner einen am Samstag vorgelegten Gesetzesentwurf bis 5. Juni durch alle Gremien bringen und damit die Zahlungsunfähigkeit der wichtigsten Volkswirtschaft der Welt abwenden.
Am Dienstagabend nahm das Vorhaben im Haushaltsausschuss des Kongresses eine erste Hürde. Dort ist es den hartnäckigen Gegnern unter den Republikanern nicht gelungen, intern die nötige Zahl an Blockierern zu finden: Zu zwei öffentlichen Kritikern wollte sich kein dritter gesellen. Stattdessen ist der Weg frei für eine Debatte in beiden Kammern des Kongresses.
Die Abstimmung in dem Ausschuss zeigt, dass die Chance auf ein schnelles Abnicken im Repräsentantenhaus groß ist. Dort haben die Republikaner mit 222 Abgeordneten eine knappe Mehrheit zu den 213 Sitzen der Demokraten. Der republikanische House-Führer Kevin McCarthy wird auf einige Dutzend Parteikollegen verzichten müssen, da sie manche Vorhaben kategorisch ablehnen, aber vermutlich werden viele Demokraten für das Paket stimmen. Optimisten hoffen, dass dies noch am Mittwochabend (Ortszeit), geschieht, sodass der Entwurf dann in den Senat gehen könnte. Dort haben die Demokraten eine knappe Mehrheit. Probleme könnten aber durch den Umfang
des Entwurfs entstehen, denn die Demokraten haben nun doch eine zunächst grundsätzliche Forderung aufgegeben. Sie wollten ursprünglich nur eine sogenannte „Clean Debt Ceiling“-Entscheidung erreichen, das „reine“Verhandeln über die höhere Schuldenobergrenze, ohne dabei Kürzungen bei geplanten Ausgaben besprechen zu müssen. Biden hat das aufgeweicht und nun liegt ein 99-seitiger Entwurf vor, der auch Zugeständnisse
bei manchen Projekten und Veränderungen bei staatlichen Hilfsprogrammen benennt.
Dadurch steigt die Unsicherheit bei den Abstimmungen, denn: Je mehr Einzelentscheidungen in einem Entwurf, desto mehr Abgeordnete beider Parteien könnten Gründe finden, ihn mit Blick auf die spezifischen Wünsche ihres Wahlkreises abzulehnen. Noch ist unklar, welche Seite am Ende die Einigung mehr für sich als Gewinn wird verkaufen können oder ob sich die Wähler überhaupt länger für diese verhinderte Krise interessieren.
Fest steht: Biden hat wichtige Vorhaben seiner ersten beiden Regierungsjahre in den Entwurf retten können. Nicht zurückgenommen würden geplante Ausgaben in Höhe von Hunderten Milliarden Dollar zur Infrastrukturverbesserung von kaputten Straßen und Brücken in den USA. Ein Projekt, von dem sich die Demokraten erhoffen, auch in ländlicheren Gegenden durch sichtbare Veränderungen im Alltag bei Wählern punkten zu können. Auch das teuerste Klimaschutzpaket in der Geschichte der Vereinigten Staaten bliebe unangetastet, genauso wie umfangreiche Hilfen beim Erlassen von Studiengebühren.
Schließlich gelang auch noch ein Kniff zu künftigen politischen Abläufen: Der aktuelle Gesetzesentwurf sieht vor, dass die Schuldenobergrenze für zwei Jahre automatisch angehoben würde – bis nach der Präsidentschaftswahl 2024 wäre damit das Thema vom Tisch.
Die Zugeständnisse an die Republikaner scheinen dabei auf den ersten Blick deutlich kleiner. Dazu zählen beispielsweise Streichungen von 20 Milliarden Dollar unter den vorgesehenen 80 Milliarden Dollar, mit denen das US-Finanzamt IRS mehr Kontrolleure anstellen sollte – ein Vorhaben, mit dem Demokraten Steuerbetrug einschränken wollten und von dem Republikaner behaupteten, es handle sich um Übergriffigkeit der Regierung. Zudem sollen Essensmarkenbezieher im Alter von 50 bis 54 Jahren künftig Mindestarbeitsanforderungen erfüllen, bevor sie diese staatliche Hilfe erhalten. Auch der grundsätzliche Mechanismus der Schuldenobergrenze bliebe erhalten und damit auch die Möglichkeit, dass die Oppositionspartei droht, nur dann einer Anhebung zuzustimmen, wenn gleichzeitig ihre Forderungen umgesetzt werden. Aktuell profitieren die Republikaner davon.
Erste Kommentare sehen Biden als Gewinner. In der „New York Times“schreibt Kolumnist Ezra Klein: „Mit Zahlungsausfall zu drohen, um einen solchen Deal zu erzielen, ist so, als würde man in einer Bank mit der Explosion einer Bombe drohen, wenn der Schalterangestellte nicht sofort 150 Dollar und eine Werbetasse rausrückt.“