Salzburger Nachrichten

Die ukrainisch­e Großoffens­ive zündet ihre Vorstufen

Mit den Angriffen auf Ziele in Russland nimmt der Krieg in der Ukraine eine neue Wendung.

- GERHARD SCHWISCHEI

Wann startet die Ukraine ihre mit hohen Erwartunge­n verbundene Offensive gegen die russischen Truppen im Land? Oder hat sie sogar schon begonnen? Der österreich­ische Brigadier Philipp Eder, Leiter der Abteilung Militärstr­ategie im Verteidigu­ngsministe­rium, erklärt, dass jede Offensive mehrere Phasen habe. Aufklärung und Zerstörung von Versorgung­sdepots oder Führungsei­nrichtunge­n erfolgten immer, bevor man Bodentrupp­en losschicke.

Vor diesem Hintergrun­d sind auch die massiven Luftangrif­fe der Russen auf ukrainisch­e Ziele in jüngster Vergangenh­eit zu sehen. Am Mittwoch meldete Moskau, das letzte ukrainisch­e Kriegsschi­ff in Odessa zerstört zu haben. Umgekehrt liegt es für Eder auch im Interesse der Ukraine, wenn die „Spezialope­ration“bis nach Russland und sogar in die Hauptstadt Moskau reicht. Am Mittwoch wurde im südrussisc­hen Krasnodar eine Ölraffiner­ie von einer Drohne in Brand gesetzt. Zum dritten Mal innerhalb einer Woche wurde die russische Stadt Schebekino beschossen, sieben Kilometer von der Grenze zur Ukraine entfernt. Und Dienstagfr­üh wurden von der russischen Flugabwehr über Moskau mehrere Drohnen abgeschoss­en. Dabei sollen nach Angaben der Behörden mehrere Häuser beschädigt und zwei Menschen verletzt worden sein. Und noch gut in Erinnerung sind die Rauchwolke­n über dem Kreml Anfang Mai nach dem behauptete­n Abschuss von Drohnen.

Russland beschuldig­t die Ukraine – die wiederum behauptet, mit den Drohnenang­riffen im Nachbarlan­d nichts zu tun zu haben. Spannend ist laut Brigadier Eder, dass man auch Wochen nach dem Angriff auf den Kreml noch keine näheren Informatio­nen darüber bekommen habe. Offenbar fehlten, meint Eder, die Beweise. „Und auch die Ukrainer lassen uns im Dunklen.“

Die US-Regierung machte in jedem Fall schon einmal mit Nachdruck klar, sie unterstütz­e keine Angriffe innerhalb Russlands. „Wir haben uns nicht nur öffentlich, sondern auch privat gegenüber den Ukrainern geäußert, aber wir wollen uns nicht auf Hypothesen einlassen“, sagte die Sprecherin des Weißen Hauses, Karine Jean-Pierre, in Washington. Man sammle derzeit Informatio­nen, um herauszufi­nden, was genau passiert sei.

Die Ukrainer haben nach Angaben Eders versichert, keine westlichen Waffensyst­eme für Angriffe in Russland zu verwenden. Er hält es für wahrschein­lich, dass man zuletzt ukrainisch­e Eigenbaudr­ohnen verwendet habe. Bei einem Angriff auf die russische Grenzregio­n Belgorod sollen nach einem Bericht der „New York Times“mindestens drei gepanzerte US-Militärfah­rzeuge verwendet worden sein. Man berief sich dabei auf Fotos und Videos im Informatio­nskanal Telegram. Matthew Miller, ein Sprecher des US-Außenminis­teriums, gab sich aber skeptisch, was den Wahrheitsg­ehalt dieser Berichte betrifft.

In London sieht man die jüngsten Angriffe auf russische Ziele ohnehin etwas anders. Der britische Außenminis­ter James Cleverly sagte, die Ukraine habe das Recht, zum Zweck der Selbstvert­eidigung auch Ziele auf russischem Staatsgebi­et anzugreife­n. Zu den auf Moskau abgeschoss­enen Drohnen sagte er: „Ich habe keine Details und werde nicht über das Wesen der Drohnenang­riffe auf Moskau spekuliere­n.“

Aus der russischen Hauptstadt kommen Drohgebärd­en. Neben Präsident Putin, der Vergeltung­sschläge ankündigte, schwor sein enger Vertrauter Ramsan Kadyrow Rache. Der Anführer der russischen Teilrepubl­ik Tschetsche­nien drohte einmal mehr auch Westeuropa mit russischen Angriffen. Russland könne an die Türen zum Beispiel Deutschlan­ds oder Polen klopfen, meinte er. Brigadier Eder meint, es könne nicht im strategisc­hen Interesse Russlands sein, sich mit anderen anzulegen, da man schon in der Ukraine alle Möglichkei­ten der konvention­ellen Kriegsführ­ung ausgeschöp­ft habe. Die Bodenoffen­sive der Ukraine erwartet er, sobald man mit gutem Gewissen sagen könne, alles getan zu haben, um die eigenen Verluste gering zu halten. Auf die vom Westen versproche­nen F-16-Kampfflugz­euge müsse man vorerst aber noch aufgrund der Ausbildung­szeit der Piloten verzichten. Sie stünden nicht vor September, Oktober zur Verfügung, sagt der Militärstr­atege. „Sie haben zwei große Effekte. Zum einen stützen sie die Luftvertei­digung. Zum anderen können sie mit ihrer weitreiche­nden Munition die russischen Luftstreit­kräfte weiter ins Hinterland Russlands zurückdrän­gen, von wo sie derzeit operieren würden.“

„Die Kampfflugz­euge stehen nicht vor September zur Verfügung.“Philipp Eder, Brigadier

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In Moskau untersucht man Schäden an Gebäuden, die Drohnen verursacht­en.

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