Warum der Kosovo nicht zur Ruhe kommt
Die USA und die Europäische Union kämpften bisher vergeblich für einen dauerhaften Frieden.
Die Ausschreitungen mit rund 80 verletzten Nato-Soldaten und serbischen Zivilisten im Nordkosovo markieren den schlimmsten gewaltsamen Konflikt der vergangenen Jahre in dem kleinen Balkanland. Im Kosovo, der sich 2008 für unabhängig erklärte und vom Nachbarland Serbien nicht anerkannt wird, leben heute fast zwei Millionen Albaner, im eher ländlich geprägten Norden des Landes an der Grenze zu Serbien rund 50.000 Serben. Mit dem Staat Kosovo, der ehemaligen serbischen Provinz, wollen letztere nichts zu tun haben.
1. Wie kam es zum jüngsten Gewaltausbruch?
Hintergrund ist die Wahl albanischstämmiger Bürgermeister in mehrheitlich serbischen Gemeinden, nachdem die serbischen Amtsträger auf Geheiß Belgrads im April zurückgetreten waren. Der Rücktritt erfolgte, weil die Regierung in Pristina durchsetzen wollte, dass die Serben im Nordkosovo kosovarische Kfz-Kennzeichen verwenden
und keine serbischen. Die folgende Neuwahl wurde von serbischen Gemeindebürgern boykottiert. Militante Serben griffen die KosovoSonderpolizei an, die in Zvečan den neuen albanischstämmigen Bürgermeister ins Amt eskortierte. Die Nato-geführte Friedenstruppe KFOR, die mit UN-Mandat für Sicherheit sorgen soll, rückte ein, um die Gemeindeämter in Zvečan und zwei weiteren Orten zu schützen.
2. Was will die serbische Regierung?
Der Kosovo gehörte einst zu Serbien und Jugoslawien. Serbien betrachtet es als mythisches Zentrum des mittelalterlichen serbischen Reichs. Im Gefolge von Jugoslawiens Zerfall intervenierte die Nato 1999 mit Luftangriffen gegen Serbien, um Kriegsverbrechen serbischer Sicherheitskräfte gegen albanische Zivilisten im Kosovo zu stoppen. Das Land kam unter UN-Verwaltung und erklärte sich 2008 für unabhängig. Serbien erkannte dies nie an und beharrt auf der Rückgabe seiner ehemaligen Provinz. Im Norden des Landes, an der Grenze zu Serbien, befindet sich ein kompaktes serbisches Siedlungsgebiet.
3. Warum sind die Probleme nicht schon längst gelöst?
Die EU und die USA haben seit 1999 viel diplomatische Energie investiert. Die meisten westlichen Länder wie Deutschland, Großbritannien und die USA erkannten den Kosovo 2008 sofort an – fünf EU-Länder aber bis heute noch nicht: Spanien, Griechenland, Slowakei, Rumänien und Zypern. Das ist ein Manko der EU-Diplomatie. Serbien unter Präsident Aleksandar Vučić stützt sich auf Russland, das unter Wladimir Putin schon vor dem Ukraine-Krieg selten eine Gelegenheit
ausließ, um dem Westen geopolitisch zu schaden. Experten kritisieren, dass dem Westen eine Strategie fehlt – nicht nur für den Kosovo, sondern für die gesamte Region.
4. Wie reagierte der Westen auf die jüngste Eskalation?
Die Gewalt gegen die KFOR-Soldaten wurde einhellig abgelehnt. Davor hatten aber sowohl die USA als auch die EU die Regierung von Albin Kurti in Pristina gewarnt, albanischstämmige Bürgermeister in Gemeinden mit überwiegend serbischstämmiger Bevölkerung einzusetzen. Die USA haben nun auch eine erste Sanktion verhängt und den Kosovo von einer Militärübung ausgeschlossen. Das Land werde von dem gemeinsamen Manöver namens Defender 23 ausgeschlossen, an dem von April bis Juni 20 Länder teilnehmen, teilte der USBotschafter in Pristina, Jeffrey Hovenier, mit. „Die Maßnahmen der kosovarischen Regierung (...) haben diese Krisenatmosphäre im Norden geschaffen“, erklärte er.
5. Besteht die Gefahr, dass sich der Konflikt ausweitet?
Derzeit wohl nicht, obwohl der serbische Präsident Aleksandar Vučić wieder einmal die serbischen Streitkräfte in höchste Bereitschaft versetzt hat. Aber Beobachter erwarten nicht, dass der serbische Präsident eine offene Konfrontation mit der Nato im Kosovo wagt. Zugleich dient ihm die Spannung im Süden dazu, die Macht im eigenen Land stabil zu halten– auch im Licht der jüngsten Massenproteste in Belgrad gegen seine autoritäre Herrschaft. Und auch Russland nützt die Situation wieder aus und demonstriert: „Wir unterstützen Serbien und die Serben bedingungslos“, sagte Kremlsprecher Peskow.