Salzburger Nachrichten

Sex, Lügen und Eheproblem­e

In der Schweizer Erfolgskom­ödie „Die Nachbarn von oben“spielt Maximilian Simonische­k die Rolle eines „sexpositiv­en“Großmauls.

- GINI BRENNER „Die Nachbarn von oben“, Schweiz, 2023. Regie: Sabine Boss. Mit Maximilian Simonische­k, Ursina Lardi, Roeland Wiesnekker, Sarah Spale. Start: 2. 6.

Anna und Thomas (gespielt von Ursina Lardi und Roeland Wiesnekker) sind seit zwanzig Jahren verheirate­t. Anfangs war es große Leidenscha­ft – mittlerwei­le gehen sie einander vor allem leidenscha­ftlich auf die Nerven. Heute laufen sie dabei wieder zur Höchstform auf: Thomas, von Beruf Musiklehre­r an einem Konservato­rium, wollte eigentlich einen ruhigen Abend verbringen, doch Anna, eine Kinderbuch­autorin, hat, wie schon der Filmtitel verrät, „die Nachbarn von oben“zu einem kleinen Kennenlern­umtrunk eingeladen.

Längst überfällig, meint Anna, denn Lisa und Salvi (Sarah Spale und Maximilian Simonische­k) sind schon vor einiger Zeit eingezogen – bisher aber hauptsächl­ich durch ihre ständigen lauten Sexgeräusc­he aufgefalle­n und dadurch, dass sie immer so übertriebe­n fröhlich grüßen. Beides provoziert enorm: Sex haben Anna und Thomas schon lange nicht mehr wirklich, und mit der Fröhlichke­it ist es auch nicht weit her.

Trotzdem ist es Zeit, die beiden endlich auch einmal persönlich kennenzule­rnen, das gehört sich eben so unter zivilisier­ten Menschen. Als die vier dann gemeinsam in der Küche stehen, bei Häppchen („Häppli“auf Schwyzerdü­tsch) und Champagner, bleibt die Stimmung verkrampft, der Small Talk holpert etwas mühselig, auch wenn sich alle noch so um lockere Unverbindl­ichkeit bemühen. Vor allem Thomas fühlt sich merklich unwohl, und lässt das auch alle spüren – was Lisa, immerhin Soziologin und Autorin mehrerer Partnersch­aftsratgeb­er, nicht unkommenti­ert lässt. Schon bald kommt das Gespräch auf das laute Liebeslebe­n der neuen Nachbarn, die sich auch prompt als extrem „sexpositiv“outen. Recht hemmungsfr­ei erzählt der Feuerwehrm­ann Salvi von regelmäßig­en Swinger-Dates, und eigentlich wäre man heute Abend eh hauptsächl­ich aus einem Grunde hier: Wie wär’s mit einem gepflegten Partnertau­sch? Am liebsten gleich, Salvi hat eh Kondome dabei!

Das Thema, die Peinlichke­it und einige Gläser Wein zerstören endgültig Thomas’ brüchige Contenance, er wird ausfällig – zielsicher trifft er Annas wunde Punkte, keiner kennt sie schließlic­h so gut wie er. Doch sie will diesmal den Frust nicht runterschl­ucken. Ebenso gekonnt schlägt sie zurück: Direkt in die Weichteile, mitten in Thomas’ schlimmste Unsicherhe­iten …

Zwei Paare, ein Abend, bröckelnde Fassaden: Die kammerspie­lhafte Aufstellun­g dieser bittersüße­n Beziehungs­komödie ist nichts Neues und bringt, trotz des exotischen Idioms, auch keine überrasche­nden Erkenntnis­se. Doch die teilweise hinterfotz­ig bösen Dialoge im Drehbuch von Schauspiel­er und Autor Alexander Seibt machen „Die Nachbarn von oben“zum soliden Kinovergnü­gen,

bei dem längerfris­tig in Paarbezieh­ungen Gebundenen des Öfteren das Lachen im Hals steckenble­iben wird. Zu vertraut sind die Manöver, mit denen einander Anna und Thomas attackiere­n, gefangen im dicken Nebel des vorwurfsvo­llen „Warum machst du mich nicht mehr glücklich?“, festgefahr­en in der ewig unerfüllte­n Erwartungs­haltung, dass sich der andere endlich wieder so viel Mühe um einen macht wie früher, immer bereit für die nächste Enttäuschu­ng, wenn die eigenen Zeichen der Liebe nicht sofort erkannt und gefeiert werden. Und auch wenn der Schluss, so viel sei verraten, durchaus versöhnlic­h ist – wie in der Politik kann auch in der Liebe echte Veränderun­g nur durch Revolution erreicht werden.

Es ist übrigens ein berührende­r Zufall, dass dieser Film mit Max Simonische­k in einer Hauptrolle ausgerechn­et in dieser Woche startet: Der älteste Sohn des am Montag verstorben­en österreich­ischen Schauspiel­ers Peter Simonische­k kann hier sein großes Talent gut ausspielen. Es ist eine Freude, zuzusehen, wie er den feschen, sinnlichso­uveränen Salvi, der sich dennoch intellektu­ell immer unterlegen fühlt, treffsiche­r anlegt – auch deswegen, weil der 40-Jährige seinem Vater fast wie aus dem Gesicht geschnitte­n ist.

Vertraute Manöver und nötige Revolution­en

Film:

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Beim Small Talk: Ursina Lardi, Sarah Spale, Maximilian Simonische­k, Roeland Wiesnekker.

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