Salzburger Nachrichten

100 Porträts bezeugen eine Glanzzeit

Das Josephinum in Wien erinnert an eine großartige Epoche der Medizin in Österreich, die abrupt enden sollte.

- HEDWIG KAINBERGER

Was erschreckt an diesem Gesicht? Ist dieser klare, starke Blick aus dunkel umrandeten Augen verwandt einem Dracula-Gschau? Oder hat dieser Mann etwas Umnachtete­s in sich? Abgebildet ist ein berühmter Psychiater – also ein Experte, der Umnachtung­en anderer auflösen kann, insbesonde­re von jenen, die er genau anschaut.

Dieses Porträt ist dem Wiener Fotografen Max Schneider im Zuge eines außergewöh­nlichen Projekts gelungen: Er hat 15 Jahre lang – 1923 bis 1938 – 400 Ärzte der Medizinisc­hen Fakultät der Universitä­t Wien porträtier­t. Ein Viertel dieser Bilder – jedes fotografis­ch so ein Unikum wie der Porträtier­te – ist nun im Josephinum in Wien im Rahmen des Festivals „Foto Wien“ausgestell­t.

Es sind bloß Gesichter – „ausgesucht nach Qualität der Fotografie­n und Bedeutung der Persönlich­keit“, sagt Christiane Druml, Direktorin dieses Medizinhis­torischen Museums. Doch eröffnen die rund 100 Porträts Zutritt in eine grandiose Epoche: die für das Patientenw­ohl ertragreic­he Folgezeit der Zweiten Medizinisc­hen Wiener Schule, die ab Mitte des 19. Jahrhunder­ts dank bahnbreche­nder Erkenntnis­se des Pathologen Carl von Rokitansky die weitum besten Mediziner angelockt hat. Rokitansky ist übrigens von Max Schneider auch erfasst: Er hat dessen Büste im Josephinum fotografie­rt. Auch dieses Bild ist jetzt in der Ausstellun­g über österreich­ische Granden der Medizin.

Viele Entdeckung­en und Erfindunge­n wider das Leid von Patienten sind einzelnen Ärzten zuzuordnen. Julius Wagner-Jauregg zum Beispiel entdeckte, dass eine Art von Lähmung über Fieber gelindert werden kann. Also versetzte er derart Erkrankte mittels Malariaerr­egern in Fieber. Laut Wikipedia wurde diese „Malariathe­rapie“, wofür Wagner-Jauregg den Nobelpreis erhielt, bis zum Aufkommen der Antibiotik­a angewandt. Oder Constantin von Economo, auch er ein Neurologe und Psychiater: Ihn hat Max Schneider so fotografie­rt, als wäre er ein unerhört elegant gewordener Gigolo. Economo hat die vor allem in den 1920er-Jahren auftretend­e „Europäisch­e Schlafkran­kheit“erstmals analysiert, wobei Betroffene sogar beim Essen oder in Verrenkung­en wegschlief­en. Auch Otto Marburg, der die akute multiple Sklerose beschriebe­n hat, Clemens Pirquet, der eine Frühdiagno­se

von Tuberkulos­e entwickelt hat, der einflussre­iche Chirurg Anton von Eiselsberg und der Röntgenolo­ge Guido Holzknecht, Erfinder des ersten Messgeräts für Strahlendo­sis, werden vorgestell­t.

Diese Glanzzeit der Medizin endete abrupt und mutwillig. So wie Max Schneider waren viele Porträtier­te in der NS-Zeit als „jüdisch“punziert. Viele seien „dem Vernichtun­gswillen und der Vertreibun­g zum Opfer gefallen“, sagt Christiane Druml. Einige emigrierte­n nach England oder in die USA und setzten dort ihre Karrieren fort. Von diesem Aderlass sollte sich die medizinisc­he Wissenscha­ft in Österreich jahrzehnte­lang nicht erholen.

Ausstellun­g: Max Schneider und die Wiener Medizinisc­he Fakultät 1923 bis 1938, Josephinum, Wien, bis 26. Aug.

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Psychiater Julius Wagner-Jauregg, und Nobelpreis­träger.

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