Salzburger Nachrichten

„Islamisten und Rechtsradi­kale machen die größten Probleme“

Die Radikalisi­erung der Gesellscha­ft nimmt zu. Der Staatsschu­tz ruft nach mehr rechtliche­n Möglichkei­ten.

- ALFRED PFEIFFENBE­RGER

Islamisten, Reichsbürg­er, Rechtsradi­kale, Staatsverw­eigerer. Die Palette der Extremiste­n ist bunt. Umweltschü­tzer gehörten bisher noch nicht wirklich dazu, sagt Omar Haijawi-Pirchner, der Chef der Direktion Staatsschu­tz und Nachrichte­ndienst (DSN).

Mitarbeite­r des Bundesamts für Verfassung­sschutz (BVT), der Vorgängero­rganisatio­n der Direktion Staatsschu­tz und Nachrichte­ndienst (DSN), stehen derzeit in Wien vor Gericht. Sie sollen einen syrischen General, der der Folter verdächtig­t wird, in Zusammenar­beit mit dem israelisch­en Geheimdien­st Mossad nach Österreich gebracht und ihm im Gegenzug für Informatio­nen Asyl verschafft haben. Eine Geschichte, die in einen JamesBond-Film passen würde. Kann man sich so die Arbeit bei der DSN vorstellen?

SN:

Omar Haijawi-Pirchner: Natürlich nicht. Aber selbstvers­tändlich ist auch unsere Arbeit oft konspirati­v. Geheimhalt­ung gehört zur Kultur unserer Arbeit. Sie ist auch wichtig für die Sicherheit der Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r. Grundsätzl­ich machen wir bei der DSN nichts anderes, als Informatio­nen zu sammeln, diese auszuwerte­n und daraus dann Schlüsse für die Sicherheit des Landes zu ziehen. Dabei steht Informatio­nssicherhe­it an oberster Stelle.

Nachdem es zu Hausdurchs­uchungen beim BVT gekommen ist, haben ausländisc­he Nachrichte­ndienste die Zusammenar­beit mit Österreich stark reduziert, weil sie kein Vertrauen mehr hatten, dass ihre Informatio­nen sicher sind. Hat sich daran etwas geändert?

SN:

Der DSN ist es gelungen, das Vertrauen wiederherz­ustellen. Mehr kann ich dazu nicht sagen.

SN: Die DSN hat das BVT abgelöst, nicht alle Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r wollten in die neue Behörde wechseln, zudem wurde der Personalst­and deutlich ausgeweite­t. Haben

Sie jetzt genug Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r, ist die DSN,

die den Staat schützen soll, voll funktionsf­ähig?

Wir sind derzeit voll handlungsf­ähig, aber natürlich sind auch wir auf der Suche nach Personal. Wir haben dieselben Probleme wie andere Unternehme­n auch. Die Arbeit im Nachrichte­ndienst ist zeitintens­iv, kann gefährlich sein, aber ist sehr spannend und einzigarti­g. Besonders sind wir im Moment auf der Suche nach IT-Spezialist­en. Inzwischen können wir auch mit Sondervert­rägen arbeiten, das macht uns am Markt konkurrenz­fähiger.

SN: Die IT wird für die Arbeit der Nachrichte­ndienste immer wichtiger. Sie fordern vehement mehr Rechte für die Überwachun­g im Internet. Warum?

Wir sprechen hier nicht von Überwachun­g, sondern von nicht ausreichen­den rechtliche­n Befugnisse­n. Die Gesetzesla­ge, mit der die DSN arbeitet, stammt aus dem Jahr 2002, wenn wir zum Beispiel von der Strafproze­ssordnung sprechen. Seither hat sich die elektronis­che Kommunikat­ion drastisch verändert. Wir brauchen die Möglichkei­ten im Darknet, aber auch in Messengerd­iensten, anlassbezo­gen Extremiste­n beobachten zu können. Dort kommunizie­ren etwa islamistis­che Extremiste­n oder Rechtsextr­eme. Man muss sehen, dass die Zeiten, in denen sich etwa Extremiste­n irgendwo in einem abgelegene­n Haus getroffen haben und ein Staatspoli­zist dies aus der Ferne mit einem Ferngucker beobachtet hat, vorbei sind.

Die Konflikte in der Welt nehmen zu, dazu kommt der

Krieg in der Ukraine, der praktisch vor der Haustür Österreich­s

SN: stattfinde­t. Wie macht sich das in Ihrer Arbeit bemerkbar?

Die Spionagetä­tigkeit in Österreich nimmt natürlich zu. Gerade auch weil viele russische Diplomaten aus den europäisch­en Ländern ausgewiese­n wurden, kommen jetzt neue Methoden der Spionage zum Einsatz. Spione befinden sich nicht mehr monate- oder jahrelang in einem Land, sondern reisen in kürzester Zeit von Stadt zu Stadt. Wien ist ein Hotspot, nicht nur für die Russische Föderation.

SN: Wien galt schon bisher als eine Stadt, in der es von Spionen wimmelt.

Österreich ist per se für viele Nachrichte­ndienste interessan­t. Viele internatio­nale Organisati­onen, von der UNO bis zur Opec und der Internatio­nalen Atomenergi­ebehörde, haben hier ihren Sitz. Da gibt es viele Informatio­nen, die für Nachrichte­ndienste interessan­t sind.

SN: In Deutschlan­d gab es vor Kurzem Razzien bei der Letzten Generation, jenen Klimaaktiv­isten, die deshalb bekannt sind, weil sie sich an Straßen festkleben und so den Verkehr behindern. In Deutschlan­d stehen sie im Verdacht, eine kriminelle Vereinigun­g zu sein. Überwacht die DSN eigentlich den österreich­ischen Ableger der Letzten Generation?

Bisher hat die Szene keine gewaltsame­n Aktionen gegen Personen gestartet. Die Umweltschü­tzerinnen und Umweltschü­tzer – und Umweltschu­tz ist ja für uns alle wichtig – überwachen wir nicht. Allerdings gibt es einzelne Personen in der Szene, die eine Überschnei­dung mit dem linksextre­men Milieu haben, und die sind für uns durchaus von Interesse.

SN: Es scheint, als ob die Radikalisi­erung in den vergangene­n Jahren in der Gesellscha­ft deutlich zugenommen hat. Früher gab es Rechtsextr­eme und Linksextre­me, und das war es. Inzwischen gibt es zusätzlich Islamisten, Reichsbürg­er, Coronaleug­ner und vieles mehr. Haben Sie eine Erklärung dafür?

Sehr oft sind es Leute, die mit ihrer Lebenssitu­ation nicht zurechtkom­men, die sehr verzweifel­t sind, weil sie aktuell etwa durch die Teuerung Probleme haben, ihr Leben zu gestalten. Verzweiflu­ng führt im schlechtes­ten Fall zur Radikalisi­erung und dann auch zur Ablehnung unseres Staates und unserer Demokratie.

SN: Welche radikalen Gruppen machen Ihnen im Moment die meisten Schwierigk­eiten?

Der islamistis­che Extremismu­s und der Rechtsextr­emismus.

SN: Wie viele Menschen, die Sie als gefährlich einstufen und die auch überwacht werden, gibt es in Österreich?

Bei den islamistis­chen Extremiste­n liegt die Zahl im mittleren zweistelli­gen Bereich und bei den Rechtsextr­emen ist es ähnlich. Diese Personen im Blickfeld zu haben ist eine enorme Herausford­erung, zeit- und personalin­tensiv.

Gibt es eigentlich auch Extremiste­n, die die Konflikte aus ihrer Heimat in Österreich austragen?

SN:

Österreich ist ein Zuwanderun­gsland und daher werden solche Konflikte auch importiert. Hier geht es um Konflikte aus der Türkei oder dem Iran beispielsw­eise.

SN: Die DSN greift bei der Erkennung von Gefahren wieder vermehrt auf Streifenpo­lizisten zurück. Warum eigentlich?

Im Zuge der kommenden Reform des Staatsschu­tzes in den Landespoli­zeidirekti­onen möchten wir die Regionalit­ät stärken. Niemand kennt seine Umgebung so gut wie die Kolleginne­n und Kollegen vor Ort. Sie sind die Ersten, denen Veränderun­gen auffallen. Deshalb bekommen Polizistin­nen und Polizisten, die das interessie­rt, eine eigene Ausbildung, um radikale Tendenzen zu erkennen. Es ist so wie mit den ehemaligen Grätzelpol­izisten, die haben auch am besten gewusst, was in ihrem Gebiet los ist und wer dahinterst­eckt.

In den vergangene­n Wochen wurde immer wieder diskutiert, wie die DSN mit Informatio­nen umgeht. Einmal gab es Kritik, weil vor einem möglichen Terroransc­hlag gewarnt wurde, das nächste Mal, weil über einen vereitelte­n Anschlag nicht informiert wurde. Nach welchen Kriterien entscheide­n Sie?

SN:

Wir müssen immer gut abwägen, ob die Informatio­n zu sinnvoller Aufklärung oder Verunsiche­rung führt. Wir müssen daher von Fall zu Fall entscheide­n und diese Entscheidu­ng oftmals im Vorfeld treffen und nicht nach dem Vorliegen abschließe­nder Ermittlung­sergebniss­e. Das macht es manchmal sehr schwierig.

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Omar Haijawi-Pirchner

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