Salzburger Nachrichten

Wer kontrollie­rt jene, die Bilder löschen?

Eine Expertin verlangt angesichts des „Formenwand­els der Zensur“Institutio­nen, deren Entscheidu­ngen für die Plattforme­n bindend sind.

- MARTIN BEHR

Twitter blockt Trump. Autoritäre Regime sperren unliebsame Inhalte. Content-Moderation und Bilderkenn­ungssoftwa­re filtern, was in sozialen Medien nicht zu sehen sein soll. Die Kontrollfo­rmen im Netz sind vielfältig – bloß nach welchen Regeln funktionie­ren sie? Katja Müller-Helle, Leiterin der Forschungs­stelle „Das Technische Bild“an der Humboldt-Uni Berlin, hat den „Formenwand­el der Zensur“im Buch „Bildzensur“(Verlag Klaus Wagenbach) untersucht. Sie beschreibt, wie sich das staatliche Machtmonop­ol bei der Regulierun­g von Inhalten zunehmend in den Verantwort­ungsbereic­h von USMedienko­nzernen verschiebt.

Die SN haben bei der Expertin nachgefrag­t, welche Möglichkei­ten einer Kontrolle dieser „parastaatl­ichen“Infrastruk­turen es geben kann. Beim privatwirt­schaftlich­en Machtmonop­ol gehe es einerseits darum, die Unternehme­n in ihrer Rolle als Inhalte bereitstel­lende Plattforme­n stärker zur Verantwort­ung zu ziehen, sagt Müller-Helle.

Anderersei­ts müssten effektive unabhängig­e Gremien geschaffen werden, welche die Entscheidu­ngen über die Kriterien, was gezeigt oder gelöscht werden darf, regulieren, sagt sie: „Im europäisch­en Kontext steigt zwar der Druck auf Instagram & Co. durch das Netzwerkdu­rchsetzung­sgesetz (NetzDG) oder den Digital Service Act, die im Kern auf verstärkte Medienregu­lierung und Transparen­z der Kriterien bei der Veröffentl­ichung von Wort und Bild abzielen. Durchschla­gend war ihr Erfolg bisher jedoch nicht.“

Entscheide­nd wäre, so MüllerHell­e, die Etablierun­g unabhängig­er Institutio­nen, deren Entscheidu­ngen im Feld der Meinungs- und Kunstfreih­eit für die großen Plattforme­n bindend sind: „Einen Anfang macht das Oversight Board von Facebook, ein unabhängig­es Organ, welches die Entscheidu­ngen der Plattform kontrollie­ren soll.“Ob eine fortgeschr­ittene KI die Fehleranfä­lligkeit der zunehmend automatisi­erten Lösch- und Sperrvorgä­nge – Bilder der Venus von Willendorf wurden etwa von Facebook blockiert – entschärfe­n kann? „Angesichts der Frage, was eine Gesellscha­ft als legitime Bilder ansieht und welche Bilder verboten werden sollten, geht es nicht primär um den Fortschrit­t von Technologi­en“, sagt Müller-Helle. Es bedürfe vielmehr einer abwägenden, längeren Betrachtun­g, die in manchen Bereichen letztlich nur von Menschen geleistet werden könne. Eine fundierter­e Diskussion über globale Kriterien für die Beurteilun­g von Bildern wäre daher wünschensw­ert. Die Sichtbarke­it der Bilder sollte „nicht zu stark von automatisi­erten Prozessen abhängig gemacht werden“, betont sie.

Im Fall des vom Wiener Naturhisto­rischen Museum auf sozialen Medien geposteten Fotos der Venus von Willendorf sei in der algorithmi­schen Bilderkenn­ung die Unterschei­dung zwischen der Darstellun­g eines echten menschlich­en Körpers und eines bildhistor­ischen Artefakts ins Leere gelaufen: „Das sollte uns aufhorchen lassen.“Facebook hatte bekanntlic­h nachträgli­ch einen Fehler eingeräumt.

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