Warum Frau Riess-Hahn eine Bank gründet
Ab sofort ist Wüstenrot auch eine Bank. Was das bringt und warum Bausparen in 100 Jahren noch modern sein wird, erklärt die Chefin.
Inflation, steigende Zinsen, Banken wie die UBS geraten in Probleme. Ist das ein gutes Umfeld für die Gründung einer neuen Bank?
SN:
Susanne Riess-Hahn: Bei uns ist es etwas anderes, wir komplettieren mit der Bank das Wüstenrot-Geschäftsmodell. Gerade in krisenhaften Zeiten ist Wüstenrot eine gute Adresse, weil die Leute weniger Wert auf schnelle Gewinne oder kreative Finanzideen legen, sondern auf Sicherheit achten. Jetzt ist Sicherheit das Um und Auf im Leben, auch in Finanzdingen. Deswegen glaube ich, dass es ein ganz richtiger und guter Zeitpunkt ist. Die Marke Wüstenrot hat nicht nur eine hohe Bekanntheit, sie steht vor allem für Vertrauen und Sicherheit.
SN: Die Bank soll eine gleichwertige Tochter sein wie die Versicherung?
Die Bausparkasse ist die Holding, darunter sind die Versicherung und die Bank. Die Idee ist, dass wir einem Kunden in seinem ganzen Finanzleben Produkte aus einem Haus anbieten können. Und dass er dafür immer einen Berater haben kann, wirklich physisch, keinen Chatbot oder Roboter, sondern wirklich einen Menschen. Und eine App am Handy, wo er all seine Finanzprodukte abgelegt hat, seine Konten, seine Versicherungsprodukte, seine Vorsorge, was immer. Das ist der große Mehrwert, dass er alles aus einer Hand haben kann.
SN: Der Kunde entscheidet, ob er online seine Bankgeschäfte macht, ob mit einem Berater oder auch einem virtuellen Berater, einem Avatar?
Also diesen Wunsch hab ich noch von keinem Kunden gehört (lacht).
Aber ja, der Kunde entscheidet, wie sehr er das digital machen will oder mit einem Berater – telefonisch, per Video oder in seiner Nähe auch persönlich. Wir haben Geschäftsstellen in den größeren Städten und an die 400 Außendienstmitarbeiter in ganz Österreich verteilt. Bei substanziellen Fragen gibt es immer eine Beratung mit echten Menschen. Was es nicht geben wird, sind Bankfilialen.
SN: Mit der Bank wird Wüstenrot zum ersten Allfinanzdienstleister, sagen Sie. Was ist mit Raiffeisen?
Da gibt es auch Versicherung und Bausparen, aber mit dem großen Unterschied, dass das eigene Unternehmen sind. Damit ist ein Aufwand verbunden, Kunden müssen sich neu registrieren und identifizieren. Und es gibt andere Berater. Das ist unser Vorteil, dass er hier nur mit einem Unternehmen in Kontakt tritt.
SN: Warum sind Allfinanzdienstleister hier so selten, während sie etwa in den Niederlanden mit ING oder ABN Amro durchaus üblich sind?
Das ist historisch gewachsen, hier gab es immer Banken und Versicherungen als getrennte Sektoren. Man hat entweder das eine oder das andere gemacht, es gab kaum Wechsel oder Cross-over. Die Bausparkasse Wüstenrot hat in den 1970er-Jahren eine Lebensversicherung gegründet, 2000 eine Sachversicherung, da waren wir schon ein Fast-Allfinanzdienstleister. Das wird jetzt komplettiert durch die Bank. Weil wir kein großer Konzern sind, können wir individueller auf Kunden eingehen. Bei manchen großen Finanzkonzernen spielt der Retailkunde nicht die erste Geige, wenn der Geschäftskunde ertragreicher ist. Bei uns steht er an erster Stelle.
SN: Das Wüstenrot-Kerngeschäft Bausparen verzeichnet einen Boom. Ist das ein Strohfeuer?
Der Boom hält an, wir haben im laufenden Jahr ein Plus bei Neuverträgen um 79 Prozent. Wüstenrot wird 2025 100 Jahre alt, da wurde die Bausparkasse in Salzburg gegründet. Über all die Jahre gab es Hochs und Tiefs, manchmal wurde das Bausparen totgesagt. Dass wir jetzt wieder eine Renaissance haben, zeigt für mich, dass unser Geschäftsmodell nachhaltig ist. In den vielen Jahren mit all den Verwerfungen, Weltkriegen, Rezessionen, Hochzinsphasen, Niedrigzinsphasen hat das Bausparen immer Bestand gehabt. Warum? Weil Wohnungseigentum so ein wichtiges Thema für die Menschen ist und weil Bausparen Sicherheit bietet. Bei uns gibt es eine Zinsobergrenze, die gerade in Zeiten steigender oder sehr hoher Zinsen eine Rolle spielt. Dazu gehört auch das Ansparen. Der Grundgedanke ist ja ein Solidarsparen, man spart an, damit man sich ein Eigentum schaffen kann, eine Vorsorge fürs Alter, ein wichtiger gesellschaftspolitischer Aspekt. Das Modell ist nachhaltig. Das Wort ist heute in aller Munde, wir haben das schon vor 100 Jahren gewusst.
SN: Ist das Modell in der jetzigen Form zukunftsfähig? Daran gab es immer wieder Zweifel.
Das Modell ist absolut zukunftsfähig. Auch, weil Bausparen immer darauf beruht hat, dass man 20 Prozent Eigenmittel braucht, um dann einen Kredit aufzunehmen. Das ist vom Grundsatz total richtig. Es gab Zeiten, als das keine Rolle spielte – und so sind wir 2008 in die Finanzkrise geschlittert. Es ist auch zukunftsfähig, weil man dabei keine Überraschungen erlebt. Beim Bausparen weiß man genau, was vereinbart ist. Jeder kann das berechnen, man weiß, in welcher Bandbreite man finanziert ist. Österreich ist auch ein Land der Sparer. Das hat in Zeiten der Unsicherheit noch einmal an Bedeutung gewonnen. Um das Geschäftsmodell mache ich mir keine Sorgen. Ich werde es nicht mehr erleben, aber das Bausparen wird auch noch den 150. und den 200. Geburtstag erleben.
SN: Bausparen galt einige Zeit als langweilig. Sind diese Zeiten also endgültig vorbei?
In finanziellen Dingen halte ich Langeweile für keinen Nachteil. Gerade in finanziellen Dingen ist Abenteuer oft kein guter Ratschlag, es sei denn, man ist Experte. Wir haben ein Produkt, das jeder versteht, das ist ein großer Vorteil.
Zur Person Susanne Riess-Hahn:
Nach dem Studium (Jus und BWL in Innsbruck) diverse politische Funktionen bis hin zur Vizekanzlerin (2000– 2003), seit Anfang 2004 Vorstandsvorsitzende Bausparkasse Wüstenrot.