Salzburger Nachrichten

Diagnose „sterbend“: Kritik an Spital

Die Bezeichnun­g „End of Life“bezieht sich auf veraltete Produkte im Elektronik­bereich. Im Unikliniku­m werden Patienten mit dieser „Diagnose“entlassen.

- ANTON PRLIĆ

SALZBURG-STADT. Ein Bewohner eines städtische­n Seniorenwo­hnheims bekommt plötzlich hohes Fieber, ist apathisch und nicht mehr ansprechba­r. Der Hausarzt ordnet einen Transport ins Spital an, um den Infekt bei dem Mann abklären zu lassen. So weit wäre der Vorfall, der sich im Frühjahr des Vorjahres ereignete, nicht weiter erwähnensw­ert. Der Entlassung­sbrief, mit dem der Mann wenige Stunden später aus dem Salzburger Unikliniku­m wieder nach Hause geschickt wurde, sorgte allerdings für Ärger bei der Belegschaf­t des Heimes. „End of Life“war bei der Diagnose des Mannes vermerkt: Er sei am Ende seines Lebens angelangt.

Der Begriff kommt eigentlich aus dem Computer- und Elektronik­bereich und bezeichnet Produkte, für die es keine Ersatzteil­e mehr gibt oder auf die keine aktuellen Programme mehr gespielt werden können: ein hoffnungsl­oser Fall also. Dass dieser englische Begriff für ein Auslaufmod­ell auch bei Menschen verwendet wird, empört Christoph Baumgärtne­r, Amtsleiter der städtische­n Seniorenwo­hnheime. „Ich finde das brutal.“

Den Vermerk „End of Life“habe er mehrmals auf Entlassung­sbriefen der Landesklin­iken gelesen. „Teilweise kommen die Leute dann völlig unbehandel­t und ohne Pflegevors­chläge wieder aus dem Spital zurück.“Auch ihm sei klar, dass viele Bewohner der Seniorenwo­hnheime nicht mehr lange zu leben hätten. „Aber trotzdem muss man sie so gut wie möglich versorgen.“

Im konkreten Fall sei die Bezeichnun­g besonders unangebrac­ht, weil es dem Mann nur wegen eines Infektes so schlecht ging. Nun, ein Jahr später, lebe er noch. Der jüngste Eintrag in seiner Pflegedoku­mentation besage, dass er bis 22 Uhr fernsah und danach auf eigenen Wunsch ins Bett gebracht wurde. „Und ein Jahr davor hat ihn die Nachtschwe­ster kurz nach Mitternach­t mit dem Vermerk ,End of Life‘ zurückbeko­mmen.“

Bei den Salzburger Landesklin­iken weist man entschiede­n zurück, Patienten am Lebensende schlecht oder nicht zu versorgen. Der Hinweis „End of Life“beziehe sich darauf, dass sich die Person in einer Palliativs­ituation befinde, sagt Uta Hoppe, Primaria der

II. Medizin am Salzburger Unikliniku­m. „So eine palliative Phase kann bis zu fünf Jahre dauern.“Es bedeute aber nicht, dass man sich um die Patienten nicht kümmere. Gerade Patienten aus Seniorenwo­hnheimen seien in ihrem Gesundheit­szustand oft sehr komplex zu beurteilen. „Man passt die Behandlung der Gesamtkons­tellation an.“Bei einigen werden auch noch operative Eingriffe gemacht, wenn es eine Perspektiv­e gebe.

Den fraglichen Patienten habe man mehrmals behandelt, teilweise nach Stürzen, teilweise sei er medikament­ös therapiert worden. Dass er palliativ gepflegt werde, sei auch im Pflegeheim bereits dokumentie­rt worden. Im konkreten Fall sei eine Behandlung mit Antibiotik­a in seinem gewohnten Umfeld das Beste für ihn gewesen. Hoppe gesteht ein, dass die Bezeichnun­g „End of Life“unglücklic­h sei. Es bedeute aber nicht, dass man sich um die Patienten nicht kümmere.

„Leute kommen ohne Vorschlag für Pflege aus dem Spital zurück.“Chr. Baumgärtne­r, städtische Heime (Bild: SN/RATZER)

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BILD: SN/PRLIĆ „End of Life“: Ein Patient war vor einem Jahr laut Unikliniku­m am Ende seines Lebens. Der Mann lebt heute noch.
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