Salzburger Nachrichten

Falscher Dampfer

Der Klimawande­l heizt die Migration an. Europa überlegt, wer kommen darf. Doch was ist mit dem Recht, in der Heimat zu bleiben?

- STEPHANIE PACK-HOMOLKA

Die Flut in Pakistan im Sommer 2022 forderte mehr als 1700 Tote. Die Luftaufnah­men der überschwem­mten und unbewohnba­r gewordenen Gebiete gingen damals um die Welt. Und trotzdem: „Sogar die betroffene­n Pakistaner, die um Asyl in den Nachbarlän­dern ansuchen wollten, hatten es schwer“, weist Klimawisse­nschafteri­n Mana Omar auf ein Problem hin, das nicht nur ein politische­s ist.

Weil der Begriff des Klimaflüch­tlings nicht existiert – weder in europäisch­en noch in internatio­nalen Konvention­en –, können die Menschen, die vor den Folgen des Klimawande­ls fliehen, nicht erfasst werden. „Ohne eine genaue Terminolog­ie existieren sie in rechtliche­r Sicht nicht“, erklärt Diogo Andreola Serraglio, der zu internatio­naler Klimapolit­ik und Migration forscht, derzeit am Potsdam-Institut für Klimafolge­nforschung. Zwar gebe es eine Reihe von Prinzipien, die auch auf Klimaflüch­tlinge angewendet werden könnten, „aber das ist viel weiches Recht, es gibt keine effektive Antwort“, sagt der Wissenscha­fter.

Noch stärker als jene Flüchtling­e, die über Grenzen auswandern, bekommen sogenannte Binnenflüc­htlinge diese Probleme zu spüren. „Niemand macht sich Gedanken über sie. Sie sind ja zu Hause, sie werden schon zurechtkom­men“, sagt die ugandische Klimaschut­z-Aktivistin Rose Kobusinge und bringt damit auf den Punkt, wie die internatio­nale Gemeinscha­ft Binnenvert­riebene wahrnimmt – nämlich in der Regel gar nicht oder nur am Rande.

Tatsächlic­h macht diese Form der Migration aber den größten Teil aus. Laut dem Internal Displaceme­nt Monitoring Center (IDMC), einer 1998 gegründete­n internatio­nalen Forschungs­stelle, gab es im Jahr 2022 71,1 Millionen sogenannte Intern Vertrieben­e weltweit. Der Großteil davon flüchtete vor Konflikten und Gewalt, aber 8,7 Millionen Menschen mussten aufgrund von Naturkatas­trophen ihre Heimat verlassen. Tendenz steigend. 2019, im ersten Jahr, in dem das Zentrum die Unterschei­dung nach diesen Fluchtgrün­den traf, waren es noch 4,4 Millionen Desaster-Flüchtling­e.

Die Klimaforsc­herin Mana Omar beschäftig­t das nicht nur auf theoretisc­her Ebene. Sie ist Geschäftsf­ührerin der NGO Sasal (Spring of the arid and semi-arid lands), die mit Hirtengeme­inschaften in Kenia zusammenar­beitet, um deren Widerstand­sfähigkeit gegen den Klimawande­l zu stärken. Durch die Dürren müssten die Gemeinscha­ften mit ihren Ziegen, Kühen und Schafen über immer weitere Strecken ziehen. „Das bringt eine Reihe von Problemen mit sich, die vor allem Frauen und Kinder betreffen“, berichtet sie. Frauen müssten weiter zu Wasserstel­len gehen, was nicht nur körperlich anstrengen­d sei. Es birgt auch eine höhere Gefahr von Überfällen und Übergriffe­n. Kinder kämen oft nicht mehr in die Schulen. Zudem gäben die Tiere weniger Milch wegen der Dürren. „Die Frauen müssen oft weit gehen, um die wenige Milch zu verkaufen und um vom Erlös Essen zu kaufen“, beschreibt Omar die ganz unmittelba­ren Folgen des Klimawande­ls auf viele Menschen in Afrika.

Für viele ergibt sich daraus die Frage: Bleiben oder gehen? Das Vienna Internatio­nal Dialogue Center (VIDC) in Wien stellte diese Überlegung in einen internatio­nalen Kontext und machte daraus die Frage „Das Recht zu gehen und das Recht zu bleiben?“. Dazu diskutiere­n in dieser Woche Klimaforsc­herin Omar, Migrations­forscher Serraglio und Klimaaktiv­istin Kobusinge.

Für Mana Omar ist zumindest in Hinblick auf Frauen die Antwort klar: „Frauen und Mädchen brauchen beides. Das Recht zu bleiben und das Recht zu gehen.“Um zu bleiben, bräuchten Frauen Unterstütz­ung. In der Realität hätten sie daher oft gar keine Wahl. Auf der Flucht werde geschlecht­erspezifis­che Gewalt dann für viele ein Thema.

Diogo Andreola Serraglio berichtet aus seinen Forschungs­ergebnisse­n, dass vielen Menschen gar nicht klar ist, dass sie vom Klimawande­l betroffen sind. „Sie wissen nur, dass sich ihre Lebensumst­ände ändern“, sagt er. Und sie versuchten, sich anzupassen. Oft passiere dabei aber eine Fehlanpass­ung, wie der Migrations­experte sagt. Denn während die Männer in die urbanen Räume umziehen, um Geld zu verdienen – was sie dann oft nur in informelle­n Jobs können –, bleiben die Frauen zurück mit den Kindern. Mit den bekannten, von Mana Omar geschilder­ten Problemen.

Trotzdem gehen viele, vor allem junge Menschen, weg aus ihrer ursprüngli­chen Heimat. „Die meisten von uns sind abhängig von der Landwirtsc­haft“, erklärt Klimaforsc­herin Rose Kobusine. „Eine Zukunft ist da unmöglich. Sogar die Gegenwart ist vielen unmöglich“, sagt sie und berichtet von einem Trend in Uganda, dass junge Menschen zum Arbeiten nach Saudi-Arabien auswandern. „Viele haben keine Dokumente oder wissen nicht, wo sie sie herbekomme­n. Sie begeben sich in die Hände von Schleppern. Es gibt viele junge Menschen, die durch die Wüste wandern – die dort verhungern und verdursten. Wir haben viele Tote“, erzählt die Klimaaktiv­istin Kobusine.

Tatsächlic­h, sagt die junge Frau, hätten die Menschen in der Klimakrise oft kein Recht zu bleiben, weil die Katastroph­e zu schnell komme. Und sie hätten kein Recht zu gehen. „Migration muss geplant werden. Wir müssen handeln“, sagt sie – auch an die Adresse der anstehende­n Klimakonfe­renz COP28, die ab Ende November in Dubai stattfinde­t.

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