Falscher Dampfer
Der Klimawandel heizt die Migration an. Europa überlegt, wer kommen darf. Doch was ist mit dem Recht, in der Heimat zu bleiben?
Die Flut in Pakistan im Sommer 2022 forderte mehr als 1700 Tote. Die Luftaufnahmen der überschwemmten und unbewohnbar gewordenen Gebiete gingen damals um die Welt. Und trotzdem: „Sogar die betroffenen Pakistaner, die um Asyl in den Nachbarländern ansuchen wollten, hatten es schwer“, weist Klimawissenschafterin Mana Omar auf ein Problem hin, das nicht nur ein politisches ist.
Weil der Begriff des Klimaflüchtlings nicht existiert – weder in europäischen noch in internationalen Konventionen –, können die Menschen, die vor den Folgen des Klimawandels fliehen, nicht erfasst werden. „Ohne eine genaue Terminologie existieren sie in rechtlicher Sicht nicht“, erklärt Diogo Andreola Serraglio, der zu internationaler Klimapolitik und Migration forscht, derzeit am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Zwar gebe es eine Reihe von Prinzipien, die auch auf Klimaflüchtlinge angewendet werden könnten, „aber das ist viel weiches Recht, es gibt keine effektive Antwort“, sagt der Wissenschafter.
Noch stärker als jene Flüchtlinge, die über Grenzen auswandern, bekommen sogenannte Binnenflüchtlinge diese Probleme zu spüren. „Niemand macht sich Gedanken über sie. Sie sind ja zu Hause, sie werden schon zurechtkommen“, sagt die ugandische Klimaschutz-Aktivistin Rose Kobusinge und bringt damit auf den Punkt, wie die internationale Gemeinschaft Binnenvertriebene wahrnimmt – nämlich in der Regel gar nicht oder nur am Rande.
Tatsächlich macht diese Form der Migration aber den größten Teil aus. Laut dem Internal Displacement Monitoring Center (IDMC), einer 1998 gegründeten internationalen Forschungsstelle, gab es im Jahr 2022 71,1 Millionen sogenannte Intern Vertriebene weltweit. Der Großteil davon flüchtete vor Konflikten und Gewalt, aber 8,7 Millionen Menschen mussten aufgrund von Naturkatastrophen ihre Heimat verlassen. Tendenz steigend. 2019, im ersten Jahr, in dem das Zentrum die Unterscheidung nach diesen Fluchtgründen traf, waren es noch 4,4 Millionen Desaster-Flüchtlinge.
Die Klimaforscherin Mana Omar beschäftigt das nicht nur auf theoretischer Ebene. Sie ist Geschäftsführerin der NGO Sasal (Spring of the arid and semi-arid lands), die mit Hirtengemeinschaften in Kenia zusammenarbeitet, um deren Widerstandsfähigkeit gegen den Klimawandel zu stärken. Durch die Dürren müssten die Gemeinschaften mit ihren Ziegen, Kühen und Schafen über immer weitere Strecken ziehen. „Das bringt eine Reihe von Problemen mit sich, die vor allem Frauen und Kinder betreffen“, berichtet sie. Frauen müssten weiter zu Wasserstellen gehen, was nicht nur körperlich anstrengend sei. Es birgt auch eine höhere Gefahr von Überfällen und Übergriffen. Kinder kämen oft nicht mehr in die Schulen. Zudem gäben die Tiere weniger Milch wegen der Dürren. „Die Frauen müssen oft weit gehen, um die wenige Milch zu verkaufen und um vom Erlös Essen zu kaufen“, beschreibt Omar die ganz unmittelbaren Folgen des Klimawandels auf viele Menschen in Afrika.
Für viele ergibt sich daraus die Frage: Bleiben oder gehen? Das Vienna International Dialogue Center (VIDC) in Wien stellte diese Überlegung in einen internationalen Kontext und machte daraus die Frage „Das Recht zu gehen und das Recht zu bleiben?“. Dazu diskutieren in dieser Woche Klimaforscherin Omar, Migrationsforscher Serraglio und Klimaaktivistin Kobusinge.
Für Mana Omar ist zumindest in Hinblick auf Frauen die Antwort klar: „Frauen und Mädchen brauchen beides. Das Recht zu bleiben und das Recht zu gehen.“Um zu bleiben, bräuchten Frauen Unterstützung. In der Realität hätten sie daher oft gar keine Wahl. Auf der Flucht werde geschlechterspezifische Gewalt dann für viele ein Thema.
Diogo Andreola Serraglio berichtet aus seinen Forschungsergebnissen, dass vielen Menschen gar nicht klar ist, dass sie vom Klimawandel betroffen sind. „Sie wissen nur, dass sich ihre Lebensumstände ändern“, sagt er. Und sie versuchten, sich anzupassen. Oft passiere dabei aber eine Fehlanpassung, wie der Migrationsexperte sagt. Denn während die Männer in die urbanen Räume umziehen, um Geld zu verdienen – was sie dann oft nur in informellen Jobs können –, bleiben die Frauen zurück mit den Kindern. Mit den bekannten, von Mana Omar geschilderten Problemen.
Trotzdem gehen viele, vor allem junge Menschen, weg aus ihrer ursprünglichen Heimat. „Die meisten von uns sind abhängig von der Landwirtschaft“, erklärt Klimaforscherin Rose Kobusine. „Eine Zukunft ist da unmöglich. Sogar die Gegenwart ist vielen unmöglich“, sagt sie und berichtet von einem Trend in Uganda, dass junge Menschen zum Arbeiten nach Saudi-Arabien auswandern. „Viele haben keine Dokumente oder wissen nicht, wo sie sie herbekommen. Sie begeben sich in die Hände von Schleppern. Es gibt viele junge Menschen, die durch die Wüste wandern – die dort verhungern und verdursten. Wir haben viele Tote“, erzählt die Klimaaktivistin Kobusine.
Tatsächlich, sagt die junge Frau, hätten die Menschen in der Klimakrise oft kein Recht zu bleiben, weil die Katastrophe zu schnell komme. Und sie hätten kein Recht zu gehen. „Migration muss geplant werden. Wir müssen handeln“, sagt sie – auch an die Adresse der anstehenden Klimakonferenz COP28, die ab Ende November in Dubai stattfindet.