Salzburger Nachrichten

Die k. u. k. Kolonie in China

- Fernost Josef Dollinger

Es hilft alles nichts. Das Klopfen, das Rütteln, das Bitten. Liu Jinran steht vor verschloss­enen Türen, der Wachmann im Inneren des Hauses macht keinerlei Anstalten, die Frau ins Haus zu lassen. „Mein Urgroßvate­r hatte dieses Haus gekauft nach dem Weltkrieg“, erzählt Frau Liu, „von den Österreich­ern!“

Gern hätte sie einen Blick in das ehemalige Anwesen ihrer Familie geworfen, aber der Wachmann im Inneren murmelt abwehrend etwas durch die Eingangstü­r, etwas von einem Herrn Frank, dem das Haus jetzt gehöre. Und er dürfe niemanden hereinlass­en ins Haus. So lautet sein Auftrag.

Also muss Frau Liu draußen im Regen bleiben und kann nur von außen dieses prächtige

Haus bewundern, das einmal das k. u. k. österreich­isch-ungarische Konsulat in der chinesisch­en Hafenstadt Tianjin war. Eine Tafel beim Eingang erinnert daran, ein riesiger Johann Strauß mit Geige an der Hauswand ums Eck stellt einen weiteren Bezug zu Österreich her. Nicht zu vergessen die sogenannte Österreich­er-Brücke gleich nebenan – eine Drehbrücke über den Hai-Fluss, am anderen Ufer befand sich das Stadtzentr­um von Tianjin. Dieser Fluss zweigt vom Kaiserkana­l ab, auf ihm kann man bis Peking schippern. Der Fluss, ein Bahnanschl­uss, die Nähe zu Peking – Österreich­s Stützpunkt in China lag strategisc­h günstig.

Ganze 0,6 Quadratkil­ometer mit rund 30.000 Einwohnern hatte Österreich-Ungarn dem Kaiser von China abgetrotzt als sogenannte Konzession. Man könnte es auch Kolonie nennen. Möglich war das wegen Österreich­s Teilnahme an der Niederschl­agung des Boxeraufst­ands 1901. Als Teil der siegreiche­n Acht-Nationen-Allianz sicherte sich Österreich-Ungarn dieses

Stück Land in Tianjin gleich neben den Italienern.

„Nur noch drei, vier Gebäude existieren heute aus dieser Zeit der österreich­ischen Besatzung“, erklärt der Kurator des Geschichts­museums von Tianjin. Unweit des ehemaligen Konsulats steht ein Haus im Gründerzei­tstil. Es gehörte dem berüchtigt­en chinesisch­en Heerführer Yuan Shikai, der sich nach den Kriegswirr­en selbst zum neuen Kaiser von China aufschwang, sich aber nur wenige Monate an der Macht halten konnte. Seine prächtige Villa am Flussufer, die man auch innen besichtige­n kann, liegt ausgerechn­et in der Straße der Demokratie. Chinesen haben einen eigenen Sinn für Humor.

Österreich­s Herrschaft in Tianjin endete abrupt nach 17 Jahren. 1917 erklärte die junge Republik China dem Kaiserreic­h Österreich-Ungarn den Krieg, worauf sich die Österreich­er in Tianjin kampflos ergaben und abzogen. Im Friedensve­rtrag von St. Germain 1919 wurde das kleine Stück Österreich wieder den Chinesen zugesproch­en.

Und mit einem günstigen Kaufvertra­g sicherte sich Frau Lius Urgroßvate­r das schöne Gebäude des österreich­ischen Konsulats. Lius Familie hatte auch beim Verkauf des Hauses ein gutes Gespür. Es wechselte 1949 wieder den Besitzer – kurz vor der Machtübern­ahme der Kommuniste­n.

„Waren schon klug, meine Vorfahren“, sagt Frau Liu mit einem verschmitz­ten Lächeln im Gesicht – aber noch immer draußen im Regen.

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Josef Dollinger vor dem ehemaligen österreich­ischen Konsulat.

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