„Unsere Kinder sind noch immer bei uns“
Sebastian und Andrea haben zwei Kinder auf tragische Weise verloren. Nach Jahren voller Ungewissheit erfuhren sie heuer endlich die Ursache.
„Wir werden immer wieder gefragt, wie wir das durchgestanden haben. Ich weiß nicht, woher die Kraft kam“, sagt Sebastian Kostenzer und schaut zu seiner Frau Andrea. Während des Gesprächs schweifen die Blicke der beiden immer wieder über die Gedenkstätte auf der Eckbank und die Fotos an der Wand. Von diesen strahlen zwei blonde Kleinkinder herab – Sebastian und Helena. Der Bub verstarb plötzlich am 8. Dezember 2011 kurz nach seinem zweiten Geburtstag. 2017 erblickte Schwester Helena an seinem Todestag das Licht der Welt. Auch sie verstarb mit nur knapp zwei Jahren. Der zehnjährige Gabriel hat den Tod der kleinen Schwester miterlebt, die große Schwester Laura hat beide verstorbenen Geschwister in Erinnerung.
Andrea stammt aus Dreizehnlinden in Brasilien. Zahlreiche Tiroler emigrierten in den 1930er-Jahren dorthin – darunter viele aus der Wildschönau, dem Heimatort ihrer Großeltern. Als sie dort saisonal in der Gastronomie arbeitete, lernte sie Sebastian 2005 kennen und lieben. Noch im gleichen Jahr wurde Andrea schwanger. „Es ging schnell, aber wir waren uns sicher, dass wir zusammengehören“, betont sie. Im April 2006 heirateten die beiden standesamtlich in Brasilien, bevor Tochter Laura im Sommer auf die Welt kam. 2009 übernahm das Paar in siebter Generation den 400 Jahre alten Hörbighof in Thierbach von
Sebastians Eltern inklusive Milchbetrieb und Jausenstation. Im August machte der gleichnamige Sohn die Familie komplett. „Wir haben unbeschwert gelebt“, sagt der Vater.
Doch im Dezember 2011 stand die Welt plötzlich still. Das Paar besuchte mit beiden Kindern Andreas Familie in Brasilien. Aufgrund eines Krankheitsfalls daheim kehrten sie frühzeitig zurück. „Das war wie ein Zeichen“, meint Andrea. Am Morgen des 8. Dezember klagte Sohn Sebastian über Bauchschmerzen, minütlich wurde er schwächer. Beim Hausarzt wusste niemand, was dem Zweijährigen fehlte, auch der Notarzt war ratlos. Als der Hubschrauber kam, war Sebastian bereits ins Koma gefallen. „Fünf Stunden lang wurde reanimiert, aber nichts konnte ihn zurückholen“, erzählt der Vater.
Zurück blieben Fassungslosigkeit und ein unsäglicher Schmerz. „Wir haben uns solche Vorwürfe wegen der langen Reise gemacht“, sagt er. Herzmuskelentzündung mit anschließendem Organversagen lautete die damalige Diagnose. Die Eltern drohten in ein Loch zu fallen. „Aufgeben war nie eine Option, wir mussten für unsere Laura stark sein“, sagt die Mutter. Besonders der Glaube und die enge Dorfgemeinschaft spendeten der Familie Zuversicht. Sebastian halfen die Arbeit mit den Tieren und das Singen im Chor aus der Krise, für Andrea war der Austausch mit den Gästen eine Art Therapie. „Irgendwie haben wir den Alltag bewältigt, aber es war ein harter Weg“, sagt Sebastian. Für das Paar war dennoch klar: Sie möchten ein weiteres Kind. „Die Geburt hätte aber nicht auf Dezember fallen sollen. Das haben wir versucht zu planen“, erzählt Andrea. Im März 2013 kam Sohn Gabriel zur Welt. „Das war eine Art Neuanfang. Es war schön, dass die Familie wieder wächst“, sagt Sebastian. Die Eltern waren aber sehr ängstlich und fuhren wegen eines jeden Krankheitsanzeichens zum Arzt – das Trauma um Sohn Sebastian saß tief.
Beinahe schicksalhaft erblickte 2017 Helena am Todestag ihres Bruders das Licht der Welt. „Der 8. Dezember war immer ein Schreckenstag. Mit Helenas Geburt kam etwas Positives dazu, sie hat Sebastian abgetauscht“, ist sich der Vater sicher. Das Glück währte aber nicht lange. Mit identen Symptomen kam Helena am 8. Oktober 2019 ins Krankenhaus. „Ich habe eigenständig versucht, sie zu reanimieren, aber vergebens. Wieder Organversagen, hieß es“, erzählt er unter Tränen.
Erneut tappte die Pathologie im Dunkeln. „Es konnte nicht sein, dass zwei unserer Kinder unter denselben mysteriösen Umständen sterben“, so Sebastian. Im Jänner 2023 erfuhren sie endlich die Todesursache ihrer Kinder: Eine Spezialklinik stellte einen Gendefekt fest. Die Erleichterung über die Gewissheit sei enorm gewesen. „Die Wunde heilt langsam zu, aber der Schmerz, die Narbe bleibt für immer“, sagt der Vater. Sebastian und Helena sind nach wie vor ein wichtiger Teil der Familie, beim Essen schließen sie ihre Schutzengel ins Gebet ein. Und die Eltern spüren: „Die zwei sind immer bei uns.“