Salzburger Nachrichten

Von der Bar des Volkes ins Fegefeuer der Eitelkeite­n

Es sind oft die kleinen und leisen Ereignisse, die einem nachhaltig zu denken geben. Besuchen Sie mit uns die Bar du Peuple.

- TEUFELSKÜC­HE Peter Gnaiger PETER.GNAIGER@SN.AT

Die schöne Markthalle befindet sich in Marseille. Genau an jener Stelle, wo das Noailles-Viertel in das Cours-Julien-Viertel übergeht. Sicher. Die Halle sieht herunterge­kommen aus. Sie erinnert ein wenig an alte Fotografie­n von Les Halles im Marais-Viertel von Paris. Die wurden längst abgerissen. Sie wichen einem unterirdis­ch angelegten mehrstöcki­gen Einkaufsze­ntrum. Aber in Marseille steht sie noch da: die Halle. Nur die Aufschrift macht stutzig: „Force Ouvrière“. Aha: Das heißt übersetzt „Kraft der Arbeiterin“. Darunter ist zu lesen: „Union Départemen­tale des Syndicats FO 13“. Bei Syndikat denkt der Serienjunk­ie an Kokain, Marihuana, Medellín und an Kartelle sowieso. Und ja. Marseille ist seit 2500 Jahren

für seine multiethni­sche Ausrichtun­g bekannt. Schon damals vermischte­n sich dort die Griechen mit den Kelten. Aber in Frankreich steht Syndikat für die Gewerkscha­ft. Das erfahren wir in der Bar du Peuple. Die befindet sich gegenüber. Sie ist ein Relikt der 1960er-Jahre. An den kleinen Tischen sitzen intellektu­ell angehaucht­e Freizeitph­ilosophen. Vor dem Zinc, also an der Bar, sitzt Chantal. Nach dem Eintreten der nicht einheimisc­hen Gäste tänzelt sie hinter die Bar und fragt nach der Bestellung. „Bitte einen Minztee und einen Espresso.“Der Nachbar am Zinc bestellt einen Pastis: „Un 51.“Das macht Lust auf einen Ricard. Das ist die zweite bekannte Pastis-Sorte. „Können

Sie haben. Ist aber mit Karamell und Zucker versetzt. In Marseille trinkt man den 51er.“„D’accord. Dann einen 51er.“Das Gespräch fließt dahin wie die 51er an den Nebentisch­en. Die Stimmung ist himmelblau wie das Meer vor Marseille. „Die Rechnung bitte.“„Fünf Euro.“Bitte? „Fünf Euro.

Wir sind in der Bar des Volkes“, sagt Chantal. Wir geben zehn. Die anderen fünf Euro wird sie für einen bedürftige­n Gast aufheben.

Zurück in Salzburg. Ein Gourmetfüh­rer hat neue Küchengött­er gekürt. Einer von denen lädt seine Stammkunde­n zum Feiern ein.

Das Menü kostet „nur 319 Euro (mit Weinbeglei­tung)“. Ein Buchtitel von Milan Kundera fliegt uns zu: „Das Leben ist anderswo.“

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