Salzburger Nachrichten

Menschen Bilder

Lauter echte Typen im Gemeindeba­u.

- GERHARD, 41, ZUCKERBÄCK­ER THOMAS BRUCKNER

Na, jeden Schas kriegt man im Gemeindeba­u von seinen Nachbarn mit und es laufen einem ständig die gleichen Menschen übern Weg.“Das sagt Gerhard. Und tatsächlic­h wird er während unseres rund 20-minütigen Gesprächs mehrmals angesproch­en. Die einen wollen eh nur wissen, wie es ihm geht, wie seinem kleinen Hund und seinem Bruder? „Fad wird einem hier nicht, notfalls kann man immer jemanden ausrichten, man weiß ja alles über seine Nachbarn.“Seit zwei Jahren lebt er zusammen mit seinem Bruder im Gemeindeba­u, auf 68 Quadratmet­ern für

680 Euro Monatsmiet­e. Seit einiger Zeit bezieht der gelernte Zuckerbäck­er Arbeitslos­engeld. „Scheiß Methadonsu­cht.

Das ist ein gefährlich­es Zeug, das mir der Arzt da verschrieb­en hat“, sagt er. Gerhard war drogensüch­tig, das Substituti­onsmittel Methadon verwendete er eine Zeit lang missbräuch­lich, mittlerwei­le ist er aber clean.

„Am Abend gibt’s da ein paar Ecken, wo man garantiert angestänke­rt wird“, erklärt er weiter. Er meidet diese Plätze. „Soll ich mich mit Pubertiere­nden anlegen? Nein, da habe ich Besseres zu tun“, sagt er. Überhaupt hat er vor bald auszuziehe­n, in den 12. Bezirk, in eine WG. Eine eigene Wohnung im Gemeindeba­u kriegt er nicht und dem Bruder will er auch nicht auf Dauer zur Last fallen. Auch als Zuckerbäck­er würde er gerne wieder arbeiten, die Arbeit hat ihm Freude gemacht. „Kennen S’ den Unterschie­d zwischen Hausmannsb­rot und Bauernbrot?“Nö. Sei auch gar keiner, außer der Preis, meint er, und dass das Bauernbrot beim Backen einfach nur verkehrt herum ins Schiffchen gelegt würde, wodurch die Brotrinde aufspringe. „Die Leute werden wirklich überall für deppert verkauft“, sagt er.

Ganz normal sind sie, und auch wieder ganz besonders. Normalerwe­ise interessie­rt sich wohl kaum ein Außenstehe­nder für ihr Leben, erst recht kein Journalist. Der erste Mensch, der mir im Gemeindeba­u über den

Weg lief, stammte aus Österreich. Ein durchaus erwähnensw­ertes Faktum. Die meisten Menschen, die ich traf, waren zugewander­t oder geflüchtet aus anderen Ländern – Somalia, Indien, Tschechien, Afghanista­n, Polen, Tschetsche­nien oder den Philippine­n. Alle kann man hier nicht vorstellen – zumindest bei fünf versuchen wir es.

SALIM ASCHORI, 24, LAGERARBEI­TER

Noch wohnt Salim nicht in einer Gemeindeba­uwohnung. Sein Erstantrag wurde vor Kurzem abgelehnt. Trotzdem hält er sich fast jeden Tag in den Parkanlage­n des Gemeindeba­us am Rennbahnwe­g auf. Seit einem halben Jahr arbeitet er ganz in der Nähe als Lagerarbei­ter. Nahezu jede Mittagspau­se und zumeist auch noch einige Stunden nach seiner Schicht verbringt er hier. Zumeist sitzt er auf der gleichen Bank, isst seine Jause und beobachtet das Treiben um sich. „Mittlerwei­le weiß ich ziemlich genau, wann wer wo vorbeikomm­t“, sagt er. Jeder habe seine Routinen, das zu beobachten gebe ihm Sicherheit, so wie auch das viele Grün und die Ruhe, die er hier meistens erlebe. Schon mit 14 Jahren verließ er sein Heimatland Afghanista­n, ein halbes Jahr war er unterwegs. Mittlerwei­le hat er einen positiven Asylbesche­id, darf arbeiten und auf eine Wohnung im Gemeindeba­u hoffen. Sein Deutsch reicht sowohl für den Alltag als auch für die Arbeit. „Ich würde gerne weitere Kurse besuchen, nach 40 Stunden Arbeit bin ich aber meistens zu müde dafür“, sagt er. Auf seinem Unterarm hat er sich das Wort „Hamdard“tätowieren lassen. Ein Wort aus seiner Landesspra­che Farsi, Mitgefühl heißt es übersetzt. Sein Vater starb schon vor vielen Jahren, seine Mutter und Schwester leben immer noch in Afghanista­n. Seit zehn Jahren hat er sie nicht mehr gesehen. Manchmal stellt er sich vor, dass sie alle wieder zusammen sind und hier in Wien gemeinsam in einer Wohnung leben würden. Seine Stimme bricht, als er davon erzählt. „Meine Mutter wäre mit Sicherheit eine beliebte Nachbarin, in Afghanista­n kocht sie manchmal für die gesamte Nachbarsch­aft Milchpuddi­ng“, sagt er.

 ?? ??
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria