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Lauter echte Typen im Gemeindebau.
Na, jeden Schas kriegt man im Gemeindebau von seinen Nachbarn mit und es laufen einem ständig die gleichen Menschen übern Weg.“Das sagt Gerhard. Und tatsächlich wird er während unseres rund 20-minütigen Gesprächs mehrmals angesprochen. Die einen wollen eh nur wissen, wie es ihm geht, wie seinem kleinen Hund und seinem Bruder? „Fad wird einem hier nicht, notfalls kann man immer jemanden ausrichten, man weiß ja alles über seine Nachbarn.“Seit zwei Jahren lebt er zusammen mit seinem Bruder im Gemeindebau, auf 68 Quadratmetern für
680 Euro Monatsmiete. Seit einiger Zeit bezieht der gelernte Zuckerbäcker Arbeitslosengeld. „Scheiß Methadonsucht.
Das ist ein gefährliches Zeug, das mir der Arzt da verschrieben hat“, sagt er. Gerhard war drogensüchtig, das Substitutionsmittel Methadon verwendete er eine Zeit lang missbräuchlich, mittlerweile ist er aber clean.
„Am Abend gibt’s da ein paar Ecken, wo man garantiert angestänkert wird“, erklärt er weiter. Er meidet diese Plätze. „Soll ich mich mit Pubertierenden anlegen? Nein, da habe ich Besseres zu tun“, sagt er. Überhaupt hat er vor bald auszuziehen, in den 12. Bezirk, in eine WG. Eine eigene Wohnung im Gemeindebau kriegt er nicht und dem Bruder will er auch nicht auf Dauer zur Last fallen. Auch als Zuckerbäcker würde er gerne wieder arbeiten, die Arbeit hat ihm Freude gemacht. „Kennen S’ den Unterschied zwischen Hausmannsbrot und Bauernbrot?“Nö. Sei auch gar keiner, außer der Preis, meint er, und dass das Bauernbrot beim Backen einfach nur verkehrt herum ins Schiffchen gelegt würde, wodurch die Brotrinde aufspringe. „Die Leute werden wirklich überall für deppert verkauft“, sagt er.
Ganz normal sind sie, und auch wieder ganz besonders. Normalerweise interessiert sich wohl kaum ein Außenstehender für ihr Leben, erst recht kein Journalist. Der erste Mensch, der mir im Gemeindebau über den
Weg lief, stammte aus Österreich. Ein durchaus erwähnenswertes Faktum. Die meisten Menschen, die ich traf, waren zugewandert oder geflüchtet aus anderen Ländern – Somalia, Indien, Tschechien, Afghanistan, Polen, Tschetschenien oder den Philippinen. Alle kann man hier nicht vorstellen – zumindest bei fünf versuchen wir es.
SALIM ASCHORI, 24, LAGERARBEITER
Noch wohnt Salim nicht in einer Gemeindebauwohnung. Sein Erstantrag wurde vor Kurzem abgelehnt. Trotzdem hält er sich fast jeden Tag in den Parkanlagen des Gemeindebaus am Rennbahnweg auf. Seit einem halben Jahr arbeitet er ganz in der Nähe als Lagerarbeiter. Nahezu jede Mittagspause und zumeist auch noch einige Stunden nach seiner Schicht verbringt er hier. Zumeist sitzt er auf der gleichen Bank, isst seine Jause und beobachtet das Treiben um sich. „Mittlerweile weiß ich ziemlich genau, wann wer wo vorbeikommt“, sagt er. Jeder habe seine Routinen, das zu beobachten gebe ihm Sicherheit, so wie auch das viele Grün und die Ruhe, die er hier meistens erlebe. Schon mit 14 Jahren verließ er sein Heimatland Afghanistan, ein halbes Jahr war er unterwegs. Mittlerweile hat er einen positiven Asylbescheid, darf arbeiten und auf eine Wohnung im Gemeindebau hoffen. Sein Deutsch reicht sowohl für den Alltag als auch für die Arbeit. „Ich würde gerne weitere Kurse besuchen, nach 40 Stunden Arbeit bin ich aber meistens zu müde dafür“, sagt er. Auf seinem Unterarm hat er sich das Wort „Hamdard“tätowieren lassen. Ein Wort aus seiner Landessprache Farsi, Mitgefühl heißt es übersetzt. Sein Vater starb schon vor vielen Jahren, seine Mutter und Schwester leben immer noch in Afghanistan. Seit zehn Jahren hat er sie nicht mehr gesehen. Manchmal stellt er sich vor, dass sie alle wieder zusammen sind und hier in Wien gemeinsam in einer Wohnung leben würden. Seine Stimme bricht, als er davon erzählt. „Meine Mutter wäre mit Sicherheit eine beliebte Nachbarin, in Afghanistan kocht sie manchmal für die gesamte Nachbarschaft Milchpudding“, sagt er.