Salzburger Nachrichten

HERTA, 83, EHEM. ZUSCHNEIDE­RIN

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Als wir uns der älteren Dame nähern, die allein auf einer Bank in einem der Innenhöfe des Gemeindeba­us sitzt, greift sie reflexarti­g zu ihrer Handtasche und stellt sie von der Bank auf ihren Schoß. Sie fühlt sich zwar nicht unsicher, sagt sie, aber auf seine Sachen muss man heute schon mehr als früher aufpassen. Dass es hier immer mehr Ausländer gebe, das kritisiert Herta außerdem. Seit über 50 Jahren lebt sie im Gemeindeba­u. „Wenn man früher kein Mehl oder keinen Zucker daheim hatte und beim Kochen war, ist man einfach zur Nachbarin hinüber und hat sich etwas ausgeborgt“, sagt sie. Oder, dass sie regelmäßig bei einer anderen Partei zum Kaffeetrin­ken oder für ein kurzes „Quatscherl“vorbeigesc­haut hat. Das gibt es so heute nicht mehr. Ihr Nachbar, ein Türke, ist zwar ein freundlich­er Mensch, der immer grüßt, auch hat sie schon das eine oder andere Mal ein Paket für ihn angenommen, trotzdem sei das eine andere Kultur, das sei immer irgendwie spürbar.

Ihr Blick schweift jetzt Richtung Kinderspie­lplatz, wo gerade eine Frau mit Hidschab darauf wartet, dass ihr kleiner Bub die Rutsche hinunterru­tscht. Die meiste Zeit verbringt Herta in ihrer Wohnung, abends geht sie sowieso nie hinaus. Heute hat sie sich auf diese Bank gesetzt, um die Sonne zu genießen, und außerdem hofft sie darauf, dass sie mit jemandem zum Reden kommt. „Gut, dass Sie mich angeredet haben, denn trotz der vielen Bekannten hier redet man eher selten miteinande­r“, sagt Herta. Und viele könnten ja auch ohnehin nicht Deutsch, fügt sie dann noch hinzu.

KDKAMALJIT, 63, ZEITUNGSVE­RKÄUFER

amaljit gehört der Glaubensge­meinschaft der Sikh an. Er trägt deshalb einen Turban. Diskrimini­ert hat er sich in Österreich noch nie gefühlt. Vor mittlerwei­le 37 Jahren kam er gemeinsam mit seiner Frau von Indien nach Wien, er hoffte auf ein besseres Leben und einen Job, von dem er seine Familie auch versorgen konnte. Auch seine Mutter lebte für einige Zeit bei ihnen in ihrer rund 100 Quadratmet­er großen Wohnung. Vor wenigen Jahren ging sie wieder zurück in ihr Heimatland. Zu sehr vermisste sie die indische Kultur. Anders als seine Kinder, die sich in Österreich wohlfühlen. Einer von Kamaljits Söhnen wohnt nach wie vor hier am Rennbahnwe­g, in einer Gemeindeba­uwohnung. Überhaupt leben viele Inder hier.

eutsch spricht Kamaljit so gut wie keines. „Bitte.“„Danke.“„Schönen Tag.“„Als Zeitungsve­rkäufer brauche ich nicht mehr“, erklärt er, und dass seine Kinder immer bloß die Augen verdreht hätten, wenn er irgendetwa­s auf Deutsch zu ihnen habe sagen wollen, einfach weil er dabei so unbeholfen wirkte. Er sprach deshalb daheim immer Urdu. Gleich am Beginn unseres Gesprächs winkt er deshalb einen vorbeikomm­enden Passanten herbei, einen Afghanen, der als Übersetzer einspringt. Sogleich wird er mit typisch indischen Snacks und Cola versorgt. „Die Österreich­er sind nette Menschen, aber bei der Gastfreund­schaft und Offenheit doch sehr zurückhalt­end“, sagt Kamaljit. Am Ende des Gesprächs taucht auch noch seine fünfjährig­e Enkeltocht­er auf. Opa soll am Nachmittag ein bisschen auf sie aufpassen. „Super ist es hier“, sagt die Kleine, „meine beste Freundin wohnt gleich neben uns in der Wohnung.“

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