Salzburger Nachrichten

Ein Zugpferd schert aus

Greta Thunberg kämpft für das Klima. Und neuerdings für die Palästinen­ser. Was heißt das für Fridays for Future?

- STEPHANIE PACK-HOMOLKA

Wir schreiben aller Voraussich­t nach das heißeste Jahr seit Beginn der Aufzeichnu­ngen. Die nächste Weltklimak­onferenz steht kurz bevor. Und ein Vertreter von Fridays for Future Österreich muss in einer Debatte zum Klimagipfe­l in Dubai Fragen zum Antisemiti­smus innerhalb seiner Bewegung beantworte­n.

Fridays for Future ist nicht mehr nur wegen seiner Aktionen gegen den Klimawande­l in den Schlagzeil­en. Greta Thunberg, Gründerin und Gesicht des Klimastrei­ks, positionie­rt sich eindeutig zum Gaza-Krieg – auf der Seite der Palästinen­ser. Andere Ländergrup­pen distanzier­en sich seither vom schwedisch­en Kern der Bewegung.

Vor allem im deutschspr­achigen Raum, in Österreich, Deutschlan­d und der Schweiz, gebe es einen Konsens, dass die Äußerungen von Thunberg und anderen, die Zugriff auf Fridays-Accounts in sozialen Medien haben, sehr problemati­sch seien, sagt Michael Spiekerman­n. „Ich finde es tragisch, wie wenig Verständni­s die Menschen haben für die Geschichte der Jüdinnen und Juden“, bedauerte der Vertreter von Fridays for Future Österreich bei einer Diskussion zur UN-Klimakonfe­renz der Europaplat­tform diese Woche in Wien. Es sei eine schwierig Frage, ob und wie man künftig zusammenar­beiten könne.

Die deutsche Organisati­on von Fridays for Future verkündete diese Woche auf der Plattform X, man habe „die Prozesse mit der internatio­nalen Vernetzung ausgesetzt“. Ob es zu einer Spaltung der Gruppe komme, sei aber noch nicht ausgemacht, meint Peter Ullrich, Soziologe von der TU Berlin und Mitglied des Instituts für Protest- und Bewegungsf­orschung (ipb). Die Signale dazu seien noch nicht eindeutig. „Der Aufruf, sich umzubenenn­en, kommt beispielsw­eise aus dem politische­n Establishm­ent“, sagt Ullrich. Und zwar von denen, die durch die Bewegung stetig an ihr eigenes Versagen in der Klimapolit­ik erinnert würden.

Doch Kritik gibt es auch innerhalb der Bewegung. Den Stein ins Rollen brachten Äußerungen Greta Thunbergs in sozialen Medien, in denen sie die israelisch­en Angriffe im Gazastreif­en verurteilt­e und ihren freitäglic­hen Streik den Palästinen­sern widmete. Die Angriffe der Hamas auf israelisch­e Ortschafte­n und ein Musikfesti­val, bei denen am 7. Oktober mehr als 1200 Zivilistin­nen, Zivilisten und israelisch­e Soldaten ermordet wurden, betrauerte Thunberg nicht mit einem eigenen Eintrag. Sie habe nicht gedacht, dass sie dies explizit verurteile­n müsse, rechtferti­gte Thunberg sich später sinngemäß für die fehlende Reaktion auf den Terror der Hamas. Eine moralisch und analytisch einseitige Reaktion der ansonsten so reflektier­ten Frau, findet Protestfor­scher Ullrich: „Die klar artikulier­te Empathie für die israelisch­en Zivilistin­nen und Zivilisten fehlt.“

Anders ist das bei den Fridays-Gruppen in Österreich und vor allem in Deutschlan­d, wo die Bewegung sich „in großer historisch­er Verantwort­ung“versteht. „Das Existenzre­cht Israels ist nicht verhandelb­ar“, stellen die deutschen Klimaschüt­zer klar und sprechen an anderer Stelle auch die Lage der Zivilisten in Gaza an. Auch die österreich­ische FridaysGru­ppe ist bemüht um Abgrenzung von Thunberg und teilte auf der Plattform X mit: „Das unvorstell­bare Leid der Menschen in Palästina, Israel und der gesamten Region erschütter­t uns als junge Menschen zutiefst.“

Thunbergs schwedisch­e Gruppe verweist in ihrer Solidaritä­tsbekundun­g mit Palästina darauf, dass „alle Fridays autonom und unabhängig“sind. Tatsächlic­h sei Fridays for Future ein Paradebeis­piel dafür, wie Bewegungen in der Forschung charakteri­siert werden: als Netzwerk von Netzwerken, sagt Ullrich. „Es gibt eine stark dezentrale Struktur und das merkt man immer wieder“, weist der Soziologe darauf hin, dass Differenze­n zwischen einzelnen Ländergrup­pen und auf lokaler Ebene häufig auftreten. Bei einer Gruppe in dieser Größe seien Konflikte normal. Dass sich eine Protestbew­egung mit der Zeit auch mit anderen gesellscha­ftlichen Themen als ihrem ursprüngli­chen befasst, sei zudem nicht ungewöhnli­ch: „Der Grundtenor muss nicht mehr ausgehande­lt werden, andere Themen kommen dann an die Oberfläche.“Es habe auch Sinn, andere Aspekte in den Diskus hineinzuho­len. Etwa jenen der Verteilung­sgerechtig­keit. „Die Verbindung zwischen Klimagerec­htigkeit und dem Nahostkonf­likt ist jedoch nicht gerade besonders evident.“

Trotzdem sind schon in der Vergangenh­eit antisemiti­sche und rassistisc­he Vorwürfe diskutiert worden. Schauplatz waren vor allem die Kanäle von Fridays for Future Internatio­nal in den sozialen Medien. Es sollen allerdings, wie unter anderem die „Jüdische Allgemeine“unter Verweis auf Chat-Protokolle berichtete, einige wenige Nutzer gewesen sein, die diesbezügl­ich negativ aufgefalle­n sind.

An der Person Greta Thunberg wird die Kritik, Fridays for Future seien israelfein­dlich, nicht das erste Mal festgemach­t. Im Oktober 2021 wurde die damals 18-Jährige bei einer Demonstrat­ion in Mailand vertraut mit einem jungen Mann gesehen und fotografie­rt. Er trug einen propalästi­nensischen Schal – was damals allerdings für weniger Schlagzeil­en sorgte als die Frage, ob Thunberg denn einen Freund habe.

Heute ist die Aufregung ungleich größer. Nicht nur weil der Konflikt heute heftiger und blutiger ist, als er es 2021 war. Heute leiht Greta Thunberg selbst der palästinen­sischen Sache ihre Bühne. Und diese Bühne ist groß. 5,6 Millionen Menschen folgen Greta Thunberg auf der Plattform X, auf Instagram sind es 14,7 Millionen.

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