Ein Zugpferd schert aus
Greta Thunberg kämpft für das Klima. Und neuerdings für die Palästinenser. Was heißt das für Fridays for Future?
Wir schreiben aller Voraussicht nach das heißeste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen. Die nächste Weltklimakonferenz steht kurz bevor. Und ein Vertreter von Fridays for Future Österreich muss in einer Debatte zum Klimagipfel in Dubai Fragen zum Antisemitismus innerhalb seiner Bewegung beantworten.
Fridays for Future ist nicht mehr nur wegen seiner Aktionen gegen den Klimawandel in den Schlagzeilen. Greta Thunberg, Gründerin und Gesicht des Klimastreiks, positioniert sich eindeutig zum Gaza-Krieg – auf der Seite der Palästinenser. Andere Ländergruppen distanzieren sich seither vom schwedischen Kern der Bewegung.
Vor allem im deutschsprachigen Raum, in Österreich, Deutschland und der Schweiz, gebe es einen Konsens, dass die Äußerungen von Thunberg und anderen, die Zugriff auf Fridays-Accounts in sozialen Medien haben, sehr problematisch seien, sagt Michael Spiekermann. „Ich finde es tragisch, wie wenig Verständnis die Menschen haben für die Geschichte der Jüdinnen und Juden“, bedauerte der Vertreter von Fridays for Future Österreich bei einer Diskussion zur UN-Klimakonferenz der Europaplattform diese Woche in Wien. Es sei eine schwierig Frage, ob und wie man künftig zusammenarbeiten könne.
Die deutsche Organisation von Fridays for Future verkündete diese Woche auf der Plattform X, man habe „die Prozesse mit der internationalen Vernetzung ausgesetzt“. Ob es zu einer Spaltung der Gruppe komme, sei aber noch nicht ausgemacht, meint Peter Ullrich, Soziologe von der TU Berlin und Mitglied des Instituts für Protest- und Bewegungsforschung (ipb). Die Signale dazu seien noch nicht eindeutig. „Der Aufruf, sich umzubenennen, kommt beispielsweise aus dem politischen Establishment“, sagt Ullrich. Und zwar von denen, die durch die Bewegung stetig an ihr eigenes Versagen in der Klimapolitik erinnert würden.
Doch Kritik gibt es auch innerhalb der Bewegung. Den Stein ins Rollen brachten Äußerungen Greta Thunbergs in sozialen Medien, in denen sie die israelischen Angriffe im Gazastreifen verurteilte und ihren freitäglichen Streik den Palästinensern widmete. Die Angriffe der Hamas auf israelische Ortschaften und ein Musikfestival, bei denen am 7. Oktober mehr als 1200 Zivilistinnen, Zivilisten und israelische Soldaten ermordet wurden, betrauerte Thunberg nicht mit einem eigenen Eintrag. Sie habe nicht gedacht, dass sie dies explizit verurteilen müsse, rechtfertigte Thunberg sich später sinngemäß für die fehlende Reaktion auf den Terror der Hamas. Eine moralisch und analytisch einseitige Reaktion der ansonsten so reflektierten Frau, findet Protestforscher Ullrich: „Die klar artikulierte Empathie für die israelischen Zivilistinnen und Zivilisten fehlt.“
Anders ist das bei den Fridays-Gruppen in Österreich und vor allem in Deutschland, wo die Bewegung sich „in großer historischer Verantwortung“versteht. „Das Existenzrecht Israels ist nicht verhandelbar“, stellen die deutschen Klimaschützer klar und sprechen an anderer Stelle auch die Lage der Zivilisten in Gaza an. Auch die österreichische FridaysGruppe ist bemüht um Abgrenzung von Thunberg und teilte auf der Plattform X mit: „Das unvorstellbare Leid der Menschen in Palästina, Israel und der gesamten Region erschüttert uns als junge Menschen zutiefst.“
Thunbergs schwedische Gruppe verweist in ihrer Solidaritätsbekundung mit Palästina darauf, dass „alle Fridays autonom und unabhängig“sind. Tatsächlich sei Fridays for Future ein Paradebeispiel dafür, wie Bewegungen in der Forschung charakterisiert werden: als Netzwerk von Netzwerken, sagt Ullrich. „Es gibt eine stark dezentrale Struktur und das merkt man immer wieder“, weist der Soziologe darauf hin, dass Differenzen zwischen einzelnen Ländergruppen und auf lokaler Ebene häufig auftreten. Bei einer Gruppe in dieser Größe seien Konflikte normal. Dass sich eine Protestbewegung mit der Zeit auch mit anderen gesellschaftlichen Themen als ihrem ursprünglichen befasst, sei zudem nicht ungewöhnlich: „Der Grundtenor muss nicht mehr ausgehandelt werden, andere Themen kommen dann an die Oberfläche.“Es habe auch Sinn, andere Aspekte in den Diskus hineinzuholen. Etwa jenen der Verteilungsgerechtigkeit. „Die Verbindung zwischen Klimagerechtigkeit und dem Nahostkonflikt ist jedoch nicht gerade besonders evident.“
Trotzdem sind schon in der Vergangenheit antisemitische und rassistische Vorwürfe diskutiert worden. Schauplatz waren vor allem die Kanäle von Fridays for Future International in den sozialen Medien. Es sollen allerdings, wie unter anderem die „Jüdische Allgemeine“unter Verweis auf Chat-Protokolle berichtete, einige wenige Nutzer gewesen sein, die diesbezüglich negativ aufgefallen sind.
An der Person Greta Thunberg wird die Kritik, Fridays for Future seien israelfeindlich, nicht das erste Mal festgemacht. Im Oktober 2021 wurde die damals 18-Jährige bei einer Demonstration in Mailand vertraut mit einem jungen Mann gesehen und fotografiert. Er trug einen propalästinensischen Schal – was damals allerdings für weniger Schlagzeilen sorgte als die Frage, ob Thunberg denn einen Freund habe.
Heute ist die Aufregung ungleich größer. Nicht nur weil der Konflikt heute heftiger und blutiger ist, als er es 2021 war. Heute leiht Greta Thunberg selbst der palästinensischen Sache ihre Bühne. Und diese Bühne ist groß. 5,6 Millionen Menschen folgen Greta Thunberg auf der Plattform X, auf Instagram sind es 14,7 Millionen.