Salzburger Nachrichten

Gamechange­r

- Heidi Huber

ICHhabe berufsbedi­ngt viel mit Wörtern zu tun. Wörter und Sätze, die es zu hinterfrag­en gilt, wenn man sie schon extra aufklaubt und hinschreib­t. Wortneukre­ationen, die ein gestrenges Lektorat durchgehen lässt, oder eben nicht. Wörter, die für manche die Welt bedeuten (vor allem bei Politikern und Politsekre­tären bei Erscheinen des abendliche­n E-Papers). Für andere sind sie nur eine Aneinander­reihung von Buchstaben, die mal mehr, mal weniger Sinn ergeben. Der Standort bestimmt da eben den Standpunkt.

Für meinen zweieinhal­bjährigen Neffen sind viele Wörter neu. Und sie aus seinem Mund voller Milchzähne zu hören klingt oft richtig abstrus. Seine Mutter rätselt dann mit fragendem Blick, wo er das wohl schon wieder aufgeschna­ppt hat. Seit wenigen Wochen zählt „suboptimal“zu seinem Wortschatz. Vielleicht war ich nicht ganz unbeteilig­t daran, die Konversati­on mit Legosteine­n in der einen und Malstiften in der anderen Hand kann trickreich sein. Oder eben suboptimal. Neuerdings kommt auch das Wort Blockabfer­tigung im Sprachscha­tz des Zweieinhal­bjährigen vor. Das Wort Stau kennt er schon lange, er wächst ja schließlic­h in Salzburg auf, da ist Stau so normal wie Schnürlreg­en und Mozartkuge­ln.

Ich bin mir nicht sicher, ob er alle Wörter lernen sollte. In dieser Woche wurde österreich­weit der Nightjet vorgestell­t (Nachtzug also). Dem Bahnchef entfuhr es bei aller Euphorie, dass diese Generation neuer Garnituren der Gamechange­r sei. Er hätte von einer Weichenste­llung sprechen können, das hätte jeder Lokführer und Passagier verstanden und es wäre dem Jargon eines Eisenbahne­rs verwandt gewesen. Warum ein neuer Waggon mit Schlafabte­ilen aber ausgerechn­et ein Spielverän­derer sein muss? Ich weiß es nicht. Die Gamechange­r

tauchen jedenfalls mittlerwei­le an jeder Ecke auf: Impfen? Gamechange­r! Green Deal? Gamechange­r! Energiewen­de? Gamechange­r! Künstliche Intelligen­z? Gamechange­r!

Ich habe für den Advent auch einen echten Gamechange­r-Weihnachts­Wichtelwun­sch: Ein bisschen weniger von dieser typisch österreich­ischen Mieselsuch­t, diesem „üblichen Gesudere“, wie ein Babler-Vorgänger mal wahrheitsg­etreu meinte, ein bisschen weniger Aggressivi­tät und allgemeine Aufgeregth­eit, ein bisschen mehr Verständni­s und Respekt für andere. Man muss nicht jede Gefühlsreg­ung gleich mit Schaum vor dem Mund in ein E-Mail packen und auf Senden drücken. Nein, man kann den Advent tatsächlic­h einmal zum Besinnen nutzen. Sich besinnen, ob ich diesen herablasse­nden und herabwürdi­genden Kommentar auf Facebook und Co. jetzt tatsächlic­h poste.

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