Und es gibt ihn doch!
Zarathustra, Heraklit, Platon, Seneca und viele andere sagen, es gibt mehr als diese Welt. Dieses jahrtausendealte Menschheitswissen könne nicht ganz falsch sein, meint Johannes Huber. Der Glaube an Gott habe mindestens so viele Gründe wie der Atheismus.
ohannes Huber, Theologe und Mediziner, erforschte in seinem neuen Buch „Datenbank der Ewigkeit“die Weisheit der alten Denker über den Sinn des Lebens. Das Ergebnis ist die Ahnung von einer höheren Intelligenz. Im 19. Jahrhundert haben die Naturwissenschaften diese Weltsicht heftig bekämpft. Heute erhält sie nach Ansicht von Johannes Huber durch die Hirnforschung und die Quantenphysik neuen Aufschwung.
SN: Wie, meinen Sie, ist der Mensch auf die Idee gekommen, dass es da noch mehr gibt als nur diese Welt?
Johannes Huber: Ich versuche zwei Dinge zusammenzubringen. Wenn Sie bei ChatGPT fragen, wann das menschliche Gehirn entstanden sei, dann bekommen Sie in etwa die Antwort: Die ersten differenzierten Werkzeuge hat es in Afrika vor 1,7 Millionen Jahren gegeben. Daher nimmt man an, dass damals das menschliche Gehirn entstanden sei. Tatsächlich hat genau vor 1,7 Millionen Jahren ein Entwicklungssprung im Gehirn stattgefunden. Durch die Öffnung eines Kalziumkanals entstand eine Reaktion wie bei einem Krebsgeschwulst: Durch das vermehrte Kalzium werden die Stammzellen vermehrt und der Krebs wuchert.
Beim Gehirn hat dieses Geschwulst jedoch nicht gewuchert, sondern aufgehört zu wachsen. Übrig blieb der Mensch mit einem wesentlich größeren Gehirn. Das ist möglicherweise der Zeitpunkt, an dem die Menschheit zum ersten Mal die Erfahrung gemacht hat, dass es eine Intelligenz gibt, die jene des Menschen übersteigt.
SN: Wann hat diese Erkenntnis geistesgeschichtlich eingeschlagen?
Interessante Antworten auf die Frage nach dieser höheren Intelligenz, nach diesem Transzendenten gab es bereits in der Antike, etwa bei Heraklit oder Platon. Sie meinten, dass es eine andere Realität geben muss, die über unsere Sinneswahrnehmung hinausgeht. In der Antike und im Mittelalter wurde das zum Gemeingut. Das hat bis in die beginnende Renaissance und in die Neuzeit gehalten. Newton z. B. war ein zutiefst religiöser Mensch. Kepler war ein Theologe.
Im 19. Jahrhundert kam dann ein Einbruch, möglicherweise durch das verheerende Erdbeben von Lissabon, durch die falsche Interpretation von Darwin und durch die sehr materialistische Interpretation der Newton’schen Gravität. Ab jetzt wurden die Naturwissenschaften gegen die Transzendenz und eine höhere Intelligenz ins Feld geführt. Im 19. Jahrhundert wurden die Naturwissenschaften missbraucht, um gegen Gott zu argumentieren. Etwa in der berühmten Antwort des Mathematikers und Astronomen Laplace an Napoleon, wo Gott in seinem System sei: „Ich habe keinen Bedarf an einer solchen Hypothese.“
Durch die Quantenphysik haben sich die Naturwissenschaften massiv verändert. Hat das auch Auswirkungen auf den Glauben an eine Transzendenz?
SN:
Die Quantenphysik präsentiert uns Ergebnisse, die unseren Verstand und unseren Intellekt weit übersteigen. Das ist noch kein Gottesbeweis, selbstverständlich nicht. Aber Faktum ist, dass wir an den Grenzen unseres Verstehens angelangt sind, z. B. mit der Quantenverschränkung, für deren Nachweis Anton Zeilinger den Nobelpreis bekommen hat.
Genau dieser Nobelpreisträger würde sagen: Achtung, Herr Professor Huber! Sie dürfen die Quantenphysik nicht so interpretieren, dass sie eine höhere Intelligenz nachweisen würde.
SN:
Das ist schon richtig. Aber die Naturwissenschaft kann uns Indizien dafür geben, dass es nicht unvernünftig ist, sondern intellektuell redlich, in einer persönlichen Entscheidung an diese höhere Intelligenz zu glauben. Wenn die Quantenphysik von Phänomenen spricht, in denen es weder Raum noch Zeit gibt, dann kann ich das als Indiz dafür sehen, dass es im Universum etwas gibt, was über die Raum-Zeit hinausgeht. Für mich persönlich ist das etwas, in dem ich mich geborgen fühle und an das ich glaube.
SN: Was sind Ihre wichtigsten Gründe dafür?
Es gibt unter unserem Dasein im Körper ein anderes Dasein im subatomaren Bereich, wo es weder Raum noch Zeit gibt, wo alles ewig ist und die Materie nicht so existiert, wie wir uns das vorstellen. Die modernen Naturwissenschaften untermauern bis zu einem gewissen Grad, dass es so etwas wie Ewigkeit geben kann.
SN:
Die großen Religionskritiker entgegnen, der Mensch habe es nicht ausgehalten, allein zu sein. Daher habe er Gott erfunden.
Das sagen sie, ja. Aber ich halte es mit dem berühmten 95-jährigen Psychiater Otto Kernberg. Der sagt, es gibt zwei Hypothesen:
Die eine ist, der Mensch hat Gott erfunden, die andere ist, der Mensch hat Gott entdeckt. Feuerbach ist mit seiner Religionskritik ein Kronzeuge der ersten These: Gott ist eine Projektion des Menschen. Kernberg tendiert dagegen zur zweiten Variante: Der Mensch habe durch sein größeres Gehirn Gott entdeckt. Möglicherweise hat Feuerbach recht, möglicherweise hat Kernberg recht. Es steht 1:1.
SN: Wer ist für Sie der Kronzeuge für einen Glauben an eine Transzendenz?
Platon mit seinem Höhlengleichnis: Menschen gleichen in Höhlen angeketteten Wesen, die die Wirklichkeit nie gesehen haben und auch nicht sehen können. Das ist genau das Bild, wovon ich rede: Wir sind an unsere Sinneswelt gekettet, die uns nicht erlaubt, die Welt dahinter zu sehen. Wenn nun aber über Jahrtausende die Idee da ist, dass es etwas außerhalb von uns, etwas über uns gibt, dann darf man das als Indiz werten, dass das nicht ganz falsch sein kann.
SN: Sie führen dafür profane Stimmen aus mehreren Tausend Jahren an – alles Zeitzeugen, die unverdächtig sind, dass sie im Sold des Papstes stünden.
Ja, das ist mir sehr wichtig, diese ganz profanen Zeugen für die Idee der Transzendenz anzuführen. Ich bin überzeugt, dass das für viele Menschen ein leichterer Zugang ist, als wenn ich mit einem kirchlichen Dogma daherkomme.
SN: Sie sehen in Ägypten eine wichtige Region für Ihre Weltsicht. Sie meinen sogar, Jesus habe in der Bibliothek von Alexandrien studiert …
Das kann man beim Kirchenlehrer Origenes in seinem Werk „Gegen Celsus“nachlesen. Celsus hatte behauptet, Jesus habe seine Wunder nicht deshalb wirken können, weil er der Sohn Gottes gewesen sei, sondern weil er das in Alexandrien gelernt habe. Origenes hielt dagegen, Jesus könne trotzdem der Sohn Gottes gewesen sein, ganz unabhängig davon, was er möglicherweise in der berühmten Bibliothek von Alexandrien gelernt habe …
Im SN-Saal: Der Autor des Buches „Die Datenbank der Ewigkeit. Was die alten Denker über den Sinn des Lebens wussten“ist am Mittwoch, 22. November, zu Gast im SN-Saal. Ab 19 Uhr Vortrag mit anschließender Diskussion und Möglichkeit, Bücher signieren zu lassen. Eintritt frei, Reservierung: