Zungenbrecher als Alkotest
KI-basierte Sprachanalysen erkennen Alkoholisierung mit hoher Genauigkeit. Die EU plant fixe Alkotestgeräte in Neufahrzeugen – erste Gesetzesgrundlage ab 2024.
Das klingt nach einem sinnvollen Anwendungsgebiet für künstliche Intelligenz: Wie betrunken man ist, könnte künftig nicht nur durch Blut- oder Atemanalysen, sondern mithilfe eines ausgeklügelten Algorithmus auch per Sprachanalyse ermittelt werden.
Forscher an den medizinischen Fakultäten der Universitäten Stanford und Toronto haben dazu eine Studie durchgeführt. An der Untersuchung nahmen 18 Erwachsene über 21 Jahre teil. Dabei erhielten sie unter Aufsicht eine gewichtsbasierte Dosis Alkohol und wurden dann nach Zufallsprinzip gebeten, eine Reihe von Zungenbrechern aufzusagen. Ein Zungenbrecher war dabei vor dem Alkoholkonsum zu absolvieren, danach je einer pro Stunde, und das bis zu sieben Stunden danach. Die Probandinnen und Probanden wurden gebeten, die Zungenbrecher laut vorzulesen. Dabei wurde ein Smartphone auf einem Tisch platziert, mit dem die Stimmen aus einer Entfernung von rund 30 bis 60 Zentimetern aufgenommen wurden. Ein Sprachanalyseprogramm isolierte die Stimmen der sprechenden Personen, teilte sie in Stücke mit einer Länge von einer Sekunde auf und analysierte in der Folge bestimmte Parameter wie Frequenzen und Tonhöhe. Begleitend wurde die Alkoholkonzentration in der Atemluft zu
Beginn der Studie sowie sieben Stunden lang erneut alle 30 Minuten gemessen.
Beim Vergleich mit den Ergebnissen der Atemalkoholkonzentration konnten die Forscher anhand der Stimmmuster die Alkoholisierung mit einer Genauigkeit von 98 Prozent bestimmen. „Die Genauigkeit unseres Modells hat mich wirklich überrascht“, so der leitende Wissenschafter Brian Suffoletto. Der Professor für Notfallmedizin an der Stanford University führt die hohe Genauigkeit auf die enormen Fortschritte in der Signalverarbeitung, der akustischen Analyse und im maschinellen Lernen zurück.
Das große Ziel sei nun die Entwicklung eines Interventionssystems, das letztlich dazu beitragen könnte, Leben zu retten oder schwere Verletzungen infolge eines Verkehrsunfalls unter Alkoholeinfluss zu vermeiden.
Die praktikabelste Möglichkeit sieht der Wissenschafter in der Entwicklung einer Smartphone-App, mit der man selbst niederschwellig überprüfen könnte, ob man zu betrunken ist, um ein Fahrzeug zu steuern. In Österreich gab es bereits den zeitlich begrenzten Versuch mit der sogenannten Alko-LockTechnologie: Alkolenker, die ihren Führerschein für einen Zeitraum von mindestens vier Monaten wegen Trunkenheit am Steuer verloren hatten, konnten sich ein Alkotestgerät auf freiwilliger Basis ins Auto einbauen lassen. Fiel der Test negativ aus, durfte man das Fahrzeug dennoch benutzen. Voraussetzung dafür war auch ein dementsprechender Vermerk im Führerschein. Der 2017 gestartete Versuch ist allerdings bereits 2022 ausgelaufen. Auf EU-Ebene gibt es seit Jahren Bestrebungen, technisch fix im Fahrzeug verbaute Alkoholkontrollen gesetzlich zu verpflichten. Tatsächlich tritt Anfang 2024 ein EU-weites Gesetz in Kraft, durch das Hersteller dazu verpflichtet sind, Neufahrzeuge mit einer neuen Schnittstelle auszurüsten. Diese soll die technische Basis dafür bilden, Alkoholmessgeräte nachträglich einzubauen.
„Das wurde bereits vor Jahren beschlossen. Allerdings handelt es sich dabei um eine sehr vage Vorgabe, wonach die Autohersteller die technischen Voraussetzungen schaffen müssen“, so der Leiter der Rechtsabteilung beim Kuratorium für Verkehrssicherheit, Armin Kaltenegger. „In der Praxis bedeutet das nicht einmal, dass es einen genormten Stecker geben muss – lediglich die Information, wie man so ein Gerät einbauen könnte, muss vorhanden sein.“Bis zu einem gesetzlich verpflichtenden, fix verbauten Alkoholtestgerät werden demnach noch viele Jahre vergehen.