„Ich habe 50.000 Euro an Automaten verzockt“
Ein Mann rutschte in die Spielsucht. Nach Feierabend verzockte er sein Geld an illegalen Automaten. Jetzt hofft er, die Sucht endlich zu besiegen.
SALZBURG. Ein Monatslohn ist schnell weg. Hunderte Euro verzockt, verloren in Minuten. Gerade lief es noch gut, dann war es vorbei. Sitzplatzwechsel, an einem anderen Automaten klappt es sicher. Sind keine Scheine mehr in der Tasche, ist der nächste Bankomat nicht weit. „Alkohol hat mich mutig gemacht“, erzählt der Mann, Ende 50, freundliches Gesicht, Raucherstimme.
Angefangen habe alles vor 20 Jahren. „Zum ersten Mal hat mich ein Freund in ein Spiellokal mitgenommen.“Damit tauchte er in eine Welt ein, in der es Zehntausenden Spielern in Österreich so leichtfällt, das Leben draußen zu vergessen. „Lass uns ins Casino gehen“, habe der Bekannte damals zu ihm gesagt. Gemeint war jedoch eines jener unscheinbaren Lokale um den Hauptbahnhof in Salzburg. Illegale Spielsalons, getarnt als Sonnenstudios, Nagelsalons oder Friseure. Räume ohne Tageslicht hinter verklebten Fensterscheiben, an denen Hunderte Passanten täglich vorbeieilen, ohne ahnen zu können, was sich nur wenige Meter entfernt von ihnen abspielt.
Den meisten Menschen bleibt die Welt hinter diesen Fensterscheiben verborgen. Und auch der Vater zweier Kinder hat das Verlangen nach dem vermeintlichen Glück lange im Griff gehabt, so erzählt er es. „Ein paar Mal habe ich gespielt. Meiner Frau hat das gar nicht gefallen.“
Doch vor drei Jahren habe sich dies schlagartig geändert. „Da ist meine Frau gestorben. Mit ihrem Tod ging es so richtig los.“Fast jeden Tag, immer nach Dienstschluss, besuchte er eines der Spiellokale. An Angebot mangle es in Salzburg nicht. „Ich schätze, dass es 20 sind. Ich war aber immer nur in fünf oder sechs davon.“Wird ein Salon von der Finanzpolizei aufgedeckt und geschlossen, taucht an anderer Stelle ein neues Angebot auf. „Manchmal war es auch so, dass nach einer Kontrolle im selben Lokal eine Woche später wieder neue Automaten standen.“Die Betreiber kontaktieren die Spieler telefonisch, um ihnen die neuen Standorte mitzuteilen, wie der Salzburger erzählt. Zwei Mal sei er selbst bei einer Razzia der Behörden vor Ort gewesen. „Plötzlich wird die Tür aufgebrochen und die Polizei steht im Raum.“
Auch diese hätten zu jenen Momenten gehört, in denen er ans Aufhören gedacht habe. „So oft habe ich mir gedacht: Jetzt lass ich es.“Doch dann sei da auch immer wieder die Hoffnung gewesen, doch irgendwann das große Geld zu gewinnen. Der Witwer erzählt davon, wie einsam er sich nach dem Tod seiner Frau fühlte. Sich mit seinem ebenfalls spielsüchtigen Freund zu verabreden sei ihm oft als Alternative zum Alleinsein vorgekommen. Gemeinsam seien sie erst wieder frühmorgens aus den Lokalen gekommen. „Das ist wie eine Spirale. Wenn man 500 Euro reingeworfen und 200 Euro gewonnen hat, dann hörst du nicht auf. Dann geht es erst richtig los.“Innerhalb von drei Jahren habe er 50.000 Euro verspielt. Geld habe er sich bei Bekannten ausgeliehen oder er habe neue Kredite beantragt, bis sich die Bank schließlich weigerte und Freundschaften in die Brüche gingen.
Lange habe er gehofft, seine Sucht nach dem täglichen Risikospiel in den Griff zu bekommen. Seit vier Wochen schöpft er nun Zuversicht, dies zu schaffen. „Seitdem war ich nicht mehr in einem Lokal und werde auch nie mehr hineingehen.“Mit Ende 50 habe er nun eine Therapie begonnen, einen Finanzplan erstellt und den Kontakt zu Bekannten abgebrochen, die spielsüchtig sind. Auch wenn vier Wochen Abstinenz im Vergleich zu den Jahren zuvor gering erscheinen, sei er fest davon überzeugt, den Absprung geschafft zu haben.
Wie viele Spielsüchtige es in Österreich gibt, lässt sich nur schätzen. Etwa ein Prozent der Bevölkerung ist betroffen, sagen Experten. „Es gibt aber keine validen Daten. Das ist das große Problem“, sagt Hermann Kuschej,
Soziologe am Institut für Höhere Studien. Er beziffert die Kosten der Spielsucht in Österreich auf 280 Millionen Euro, die sich unter anderem aus Arbeitsausfällen, Beratungs- und Strafverfolgungskosten ergeben. Kuschej kritisiert den „regulatorischen Wildwuchs“. Jedes Bundesland legt fest, welche Regeln im Bereich des Glücksspiels gelten. Die Salzburger Landesregierung kün
digte nun an, das „kleine Glücksspiel“(im Gesetz offiziell Landesausspielungen genannt) erlauben zu wollen. „Mit Legalisierungen bläst man das Problem noch weiter auf“, meint der Soziologe.
Die größte Suchtklinik in Österreich ist das Anton-ProkschInstitut in Wien. Dort gibt es zehn bis zwölf stationäre Behandlungsplätze für Spielsüchtige. Die meisten Patienten seien nach dem Automatenspiel und Sportwetten süchtig, sagt Psychologe Oliver Scheibenbogen. „Landesausspielungen sind ein zweischneidiges Schwert.“Problematisch seien vor allem einzelne Automaten in Lokalhinterzimmern oder Tankstellen. In legalen Spielsalons werde mehr auf den Spielerschutz geachtet.
Der Mann, der in der kleinen Wohnung in einem Salzburger Mehrparteienhaus sitzt und von den Folgen seiner Spielsucht erzählt, hat eine klare Meinung zu diesem Thema: Wenn es nach ihm gehe, sollte das Automatenspiel in Salzburg illegal bleiben. „Auf gar keinen Fall bin ich dafür. So rutschen nur noch mehr Leute da rein.“
Landesausspielungen sind ein zweischneidiges Schwert. Oliver Scheibenbogen, Psychologe Anton-Proksch-Institut