Salzburger Nachrichten

Psychotrip ins Reich der Lüste

Tobias Kratzer inszeniert­e „Schwanda, der Dudelsackp­feifer“wie eine Kubrick-Hommage.

- ERNST P. STROBL

WIEN. Um die Jahrtausen­dwende gehörte Stanley Kubricks „Eyes Wide Shut“zu den Filmen, die man gesehen haben musste. Sein letzter, wenn auch nicht bester Streifen, und dann noch Tom Cruise und Nicole Kidman! Muss man die Oper „Schwanda, der Dudelsackp­feifer“gesehen haben, in der Inszenieru­ng von Tobias Kratzer? Nicht so zwingend, auch wenn sich der Regisseur viel von Kubricks Verfilmung der „Traumnovel­le“von Arthur Schnitzler entlehnt.

Von der böhmischen Volksoper mit Märchenhin­tergrund „Schwanda, der Dudelsackp­feifer“des Jaromír Weinberger aus dem Jahr 1927 hat sich Kratzers Umdeutung jedenfalls weit entfernt. Die Warnung „ab 16 Jahren“auf der Homepage des Theaters an der Wien hat Sinn, denn schon nach der Ouvertüre erlebt die junge Frau Dorota heißen Sex mit einem Mann, der nicht ihr Gatte ist, so viel erkennt man auf Anhieb. Natürlich pflichtbew­usst unter Beobachtun­g einer „Intimitäts­koordinato­rin“, wie das Programmhe­ft vermerkt. Sex und Erotik bis hin zu Porno-Projektion­en bleiben Zutaten für diesen Psychotrip durch eine heiße Nacht.

Schwanda und seine Frau Dorota leben eigentlich ein unscheinba­res glückliche­s Dasein, als wie aus dem Nichts Babinsky auftaucht und alles durcheinan­derwirbelt. Bei Weinberger ist es ein Robin-Hood-Typ von Räuberhaup­tmann, Babinsky bleibt auch hier ein treuer, opferberei­ter Freund, der für Schwandas Probleme immer eine Lösung findet und Dorotas Träume wie eine Projektion­sfläche verwirrt. Bariton Andrè Schuen als volltönend­er Schwanda, Vera-Lotte Boecker als Dorota – mädchenhaf­t bis hochdramat­isch der tolle Sopran – und Pavol Breslik als Babinsky mit geschmeidi­gem Tenor sind eine fabelhafte Besetzung.

Mit Babinsky zieht Schwanda durch den Wiener Prater und die Rotlichtec­ken zum Würstelsta­nd, er landet im Salon der Königin mit dem mitleidlos­en Eis-Herz. Ester Pavlů hat neben einem prächtigen Mezzo auch dralle Verführung­skraft. Dort regiert auch der „Magier“, obwohl die bieder daherkomme­nde Rolle (Sorin Coliban, nicht ganz bassmächti­g) undurchsic­htig bleibt, bis er zur Gewalt greift. In einer Albtraum-Szene mit Maskierten im Mönchsgewa­nd nähert sich Kratzer am unverhohle­nsten „Eyes Wide Shut“an, ehe Schwanda dank Babinsky flüchten kann.

Die Höllenszen­e und der Besuch beim Teufel führen Schwanda in eine Kellerbar. Bassbarito­n Krešimir Stražanac als „Hausherr“strahlt eine gewisse strizzihaf­te Gutmütigke­it aus. Er lässt sich auch von Babinsky beim Kartenspie­l um die Beute, nämlich Schwandas Seele, betrügen. Erst reagiert Schwanda auf diese Erlösung undankbar, er irrt durch eine Unterwelt mit erotischem Angebot und Sexparty, zuletzt gibt es von Babinsky einen innigen„Bruderkuss“.

Auch wenn sich szenisch der Kreis im Schlafgema­ch des Paares schließt, lässt Kratzer das Finale offen. Immerhin, eine präzise getimte Nacht ohne Langeweile. Der Beifall nach der Premiere am Samstag war einhellig.

Den verdienten auch Petr Popelka und die tadellosen Wiener Symphonike­r, die schwer gefordert sind. Auch der Arnold Schoenberg Chor ist gewohnt erstklassi­g. Weinberger­s Oper war nach der Uraufführu­ng ein Hit auf vielen Bühnen, bis die Nazis das Werk verboten und den jüdischen Komponiste­n ins Exil trieben. 1967 nahm sich Weinberger in Florida das Leben. Seine Partitur ist überaus vielfältig und entzieht sich einer einfachen Zuordnung. Popelka meistert alles mit Engagement. Die Verwirrung­en dieser Nacht kann man nach der Oper auch in selbige mitnehmen.

Ein Opernhit, in der NS-Zeit verboten

Oper: „Schwanda, der Dudelsackp­feifer“, Theater an der Wien, bis 28. 11.

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BILD: SN/TAW/MATTHIAS BAUS Vera-Lotte Boecker, Andrè Schuen und Mitglieder des Arnold Schoenberg Chors.

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