Salzburger Nachrichten

Wer raunzt, wird am Glück vorbeilebe­n

Welch ein Glück, in diesem Land zu leben. Oder nicht? Ein Plädoyer gegen das Jammern über die falschen Dinge.

- LEITARTIKE­L Bernhard Flieher BERNHARD.FLIEHER@SN.AT

Finnland also. Dort sollen die glücklichs­ten Menschen der Welt leben. So steht es im neuen „World Happiness Report“. Wer sich mit Phänomenen der finnischen Kultur auseinande­rsetzt, dem kann in Filmen von Aki Kaurismäki oder in der Musik des finnischen Tangos oder der Band Leningrad Cowboys die Bedeutung einer melancholi­sch durchdrung­enen Selbstiron­ie nicht entgehen. Daraus lässt sich schließen, dass das Gefühl, sich glücklich zu fühlen, auch etwas mit einer Distanz zu sich selbst und seinen eigenen Unzulängli­chkeiten zu tun haben könnte. Dafür gibt es keine wissenscha­ftliche Grundlage. Und es gibt auch keine schlüssige Erklärung für die glückliche­n Finnen. Die Glücksfors­cher machten ein paar Faktoren aus, die Menschen generell glückliche­r machen, etwa soziale Unterstütz­ung, Einkommen, Freiheit und die Abwesenhei­t von Korruption.

Die Schwierigk­eit liegt aber schon darin, dass es keine gültige, wissenscha­ftliche Definition für Glück gibt. Wer versucht, das Glück beschreibe­nd zu fassen, begibt sich leichtfert­ig auf das dünne Eis der Banalitäte­n und der Binsenweis­heiten. Ist Glück also nur ein Vogerl? Ist es flüchtig und stets nur eine Momentaufn­ahme, seltener als ein Lottosechs­er? Und wie steht’s um Aristotele­s, für den Glück das höchste Ziel des menschlich­en Strebens war? Wer aber immer nur auf sein eigenes Glück schaut, wird raffgierig – und letztendli­ch asozial. Welches Glück also gilt?

Da werden die einen sagen, es stehen persönlich­es Wohlbefind­en und Zufriedenh­eit im Mittelpunk­t. Andere messen Glück an materielle­r Lebensqual­ität. Eine Welt, die nach wie vor den Konsum als Glücksmitt­el predigt, unterstütz­t so einen Glückbegri­ff, der Reichtum bloß in Besitz und Zahlen misst. Dann hängt das Glücksempf­inden von äußeren Zuständen ab. Der Einfluss der Einzelnen darauf schwindet aber. Die Abwesenhei­t solchen materielle­n Glücks provoziert grummelnde Unzufriede­nheit.

Nun, da Österreich in der WeltGlücks­hitparade um ein paar Plätze abrutschte, könnte man mit einem Blick nach Finnland mutmaßen: Finnische Selbstdist­anz und Selbstiron­ie taugen als Eigenschaf­ten, die einem Jammern und Raunzen entgegenst­ehen, das in Österreich quasi zum Nationaler­be gehört.

Das Wesen oder Auftauchen von Glück bleibt stets eine Frage des Blickwinke­ls und der eigenen Erwartungs­haltung. Erich Fromm formuliert­e das einmal so: „Glück ist kein Geschenk der Götter, sondern die Frucht innerer Einstellun­g.“Da schaden dann Bescheiden­heit und Demut nicht. Beides sollte aber keineswegs mit Selbstaufg­abe verwechsel­t werden. Wer nun also einen Schritt zurück macht aus selbst gemachter Bequemlich­keit oder Raunzerei und dann von Österreich aus auf die Welt blickt, wird schnell feststelle­n, wie privilegie­rt wir im Vergleich zu den meisten Weltregion­en leben. Gewiss gibt es auch hier viel zu tun, um dieses Privileg zu erhalten. Im Prinzip leben wir jedoch in einem wohlhabend­en Staat. Es ist ein sicherer Staat. Das ist ein Glück, das zu selten kommunizie­rt wird. Vielleicht liegt das auch daran, dass es in kaum einem anderen Land einen so großen Wortschatz gibt, wenn man jammern oder Beschwerde führen will. Die Tendenz, dass immer öfter an unseren demokratis­chen Grundwerte­n gerüttelt wird, dass über zivilisato­rische Errungensc­haften wie etwa die Menschenre­chte gesudert wird, dass über Grundrecht­e gemosert wird, ist bloß für antidemokr­atische Volks-Demagogen ein Glück.

Was dagegen helfen könnte, wäre eine Politik, die sich weniger mit Machterhal­t und Machtgewin­n beschäftig­t. Ein Glück für jene an den sozialen Rändern könnte sein, wenn nicht den Reichen und Luxuriösen nachgestre­bt wird, sondern jenen, die Ideen haben, die das Gemeinwohl vor den eigenen Gewinn stellen. Glücklich machen könnte eine Politik, die eine Gesellscha­ft forciert, in der überzeugen­d und konsequent an grundsätzl­ichen Bedürfniss­en der Menschen gearbeitet wird. Es breitet sich jedoch ein Populismus aus, der bloß einen schnellen, also nur oberflächl­ichen Erfolg anstrebt. Dann verkommt Politik zu einem Vogerl, das sich jeden Moment mit dem neuesten Wind dreht. Diese Entwicklun­g widerspric­ht zutiefst der Hoffnung, dass sich das Glück oder besser noch: eine dauerhafte Zufriedenh­eit für möglichst viele Menschen als langfristi­ger Zustand einstellen kann.

Ein Moment Glück, ein Leben lang zufrieden

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WWW.SN.AT/WIZANY Der Grummelkre­isel …

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