Jasmina, einstiges Kriegskind aus Sarajevo
Jasmina (44) hat den Bosnienkrieg von 1992 bis 1995 in ihrer Heimatstadt Sarajevo erlebt. Heute lebt sie mit ihrer Familie in Salzburg.
Zerbombte Häuser, Menschen, die zum Schutz vor Angriffen in Keller flüchten oder für Grundnahrungsmittel anstehen müssen: Wenn Jasmina im Fernsehen aktuelle Aufnahmen aus der Ukraine sieht, tut ihr das weh, Erinnerungen an ihre eigene Kindheit und Jugend kommen hoch. Sie hat vier Jahre lang den Bosnienkrieg in ihrer Heimatstadt Sarajevo erlebt. Fast 100.000 Menschen verloren zwischen 1992 und 1995 ihr Leben. Mit dem Krieg am Balkan waren auch viele österreichische Kinder direkt konfrontiert, als in fast jeder Schulklasse Flüchtlingskinder aus dem ehemaligen Jugoslawien auftauchten.
Jasmina war keines davon, sie ist in Bosnien geblieben, mit ihrer jüngeren Schwester und der Mutter, die als Krankenschwester arbeitete. „Mein Vater ist damals in die Armee eingezogen worden, er konnte nicht weg. Als Zwölfjährige habe ich mir noch keine so großen Gedanken gemacht, ob der Krieg für ihn gefährlich sein könnte. Er ist regelmäßig vom Kriegseinsatz heimgekommen, wie nach einer Schichtarbeit. Wir wollten ihn nicht allein hier lassen“, erinnert sich Jasmina.
Der Krieg sei nicht von heute auf morgen dahergekommen. Ein oder zwei Jahre vorher sei die Frage, auch zwischen den Kindern, immer wieder aufgetaucht: „Bist du Muslimin? Bist du Serbin oder Kroatin? Davor war das für mich nie ein Thema. Jeder war einfach der, der er war.“
Doch irgendwann sei es dann losgegangen mit der Belagerung der Stadt, den Schüssen, Granateneinschlägen, mit dem ständigen Schutzsuchen im Keller. Der Vater stolperte eines Tages mit einer Schussverletzung am Bein in die Wohnung, er hatte Glück.
„Den täglichen Beschuss hört man irgendwann gar nicht mehr“, sagt Jasmina. Man könne sich an so ein neues Normal sogar langsam gewöhnen. Dass im ersten Jahr die Schule komplett ausfiel und danach allmählich hin und wieder in kleineren Gruppen mit Lehrern Unterricht stattfand, fanden die Kinder zunächst super. „Wir waren die meiste Zeit draußen unterwegs, wir haben schnell herausgefunden, wo die sicheren und wo die unsicheren Plätze waren. Aber langsam wurde uns ohne Schule langweilig.“Jasmina sagt, sie habe zwei Schulfreundinnen im Krieg verloren. „Einmal gab es einen Granateneinschuss auf dem Weg von zu Hause zur Schule, ein gleichaltriges Mädchen wurde getroffen, aber so, dass sie nicht mehr zu identifizieren war. Meine Mutter hat das erfahren und in der Schule angerufen, ob es mir gut geht. Ja, ich war da.“
Der Krieg sei eine schlimme Zeit gewesen, „aber auch eine, in der wir trotzdem Spaß hatten, viel gelacht haben, Geburtstage gefeiert haben. Wir haben nicht nur gelitten, weil es nie genug zu essen gab, sondern trotzdem auch gelebt.“Einmal habe es spontan in einem Kino Strom gegeben und die Kinder wurden eingeladen zum Filmschauen. „Das habe ich mir gemerkt.“In den Kriegswintern habe die Familie immer nur in einem Zimmer gewohnt, weil es nicht genug Holz gab, um alle Räume zu heizen.
Jasminas Zuhause überstand den Krieg fast unbeschadet, die Granaten waren aber stets dicht dran: einen Meter neben der Eingangstür, im Innenhof und im Garten.
Nach dem Krieg machen die Läden wieder auf, manche Familien kehren heim, viele bleiben im Ausland. Jasmina geht wieder regelmäßig zur Schule, sie maturiert, studiert, „im Frieden“. Der Vater findet keine Arbeit mehr. Spuren von Granateneinschlägen sind heute noch im Stadtbild von Sarajevo zu sehen. „Heute ist es wieder eine wunderschöne Stadt, mein Herz hängt sehr daran“, sagt Jasmina. Bosnien-Herzegowina könnte sogar künftig Teil der EU werden, „was eine Riesenchance für die heutigen Kinder meines Heimatlandes wäre“.
Über gemeinsame Bekannte hat Jasmina vor Jahren ihren Mann kennengelernt, der als 15-Jähriger aus Serbien nach Salzburg geflüchtet war. Sie führen eine Fernbeziehung, heiraten 2011 in Sarajevo, im Jahr darauf zieht Jasmina zu ihm in die Mozartstadt. Regelmäßig reisen sie mit ihren drei Kindern nach Sarajevo, auch jetzt zu Ostern. „Ich hätte nie gedacht, dass ich von meiner Heimat weggehe. Die Kinder wachsen zweisprachig auf.“Heute hat sie eine Ahnung davon, welche schrecklichen Ängste ihre Eltern in all den Kriegsjahren durchmachen mussten. Viel gesprochen wird daheim nicht über den Krieg. „Das Leben ist einfach weitergegangen.“