Salzburger Nachrichten

Zurück in den Musiksaal

- Bernhard Flieher WWW.SN.AT/FLIEHER

In den vergangene­n Wochen begegnete mir sehr oft der Franz Kafka. 100. Todestag ist im Juni. Da wird in einer größeren Öffentlich­keit gefeiert, was sonst kaum Platz hat: ein überragend­er Schriftste­ller, ein Stilist, einer, der den Irrsinn so gut hinschreib­en konnte, dass sogar Situatione­n nach ihm benannt wurden. Es gibt auch viele neue Filme, hintergrün­dige Dokus und einige sehr, sehr empfehlens­werte Graphic Novels über diesen Mann. Wann immer mir Kafka – zuletzt etwa war das bei Stermann und Grissemann – unterkommt, weckt das bei mir den Drang, gleich und dauernd irgendjema­ndem zu sagen: Kafka gehört gelesen. Davon bin ich überzeugt, seit ich ihn das erste Mal gelesen habe. Verdammt lang her. Aber eine Sache ändert sich nie, wann immer ich eines der Bücher zur Hand nahm (oft auch um abzuschrei­ben): vor allem seinen Erzählunge­n liegt die sonst gern vergessene Gewissheit zugrunde, dass wir Wesen des Scheiterns sind, Wesen, die an eine Art unsichtbar­e Mauer stoßen, Wesen

(eher noch als Menschen), die an Gesetzen zerschelle­n. Da ist immer irgendetwa­s, das uns heimlich leitet oder verleitet. Das beschäftig­te mich beim Besuch im Schärdinge­r Bundesgymn­asium, meiner alten Schule. Ich saß im Musiksaal, in dem ich einst das Maturazeug­nis überreicht bekommen hatte. Ich sprach über die Zeitung, übers Schreiben, ich las Kolumnen und aus meinem Radbuch. Dann wollte eine Schülerin wissen, ob ich immer schon schreiben wollte, ob ich schon als Teenager wusste, dass ich das machen werde. Ich sagte schnell

Ja. Und dann kam mir in den Sinn, wie ich verleitet wurde zum Lesen. Man sagt ja gerne und vorschnell, dass die jungen Menschen nichts mehr lesen. Ich erinnere mich an mindestens zehn Schulkolle­gen, die auch nur lasen, was sie mussten. Aber ich meine das andere Lesen, das selbst gewählte. In der Schule hatte ich eine Lehrerin, der es leichtfiel – jedenfalls mir –, die Welt der Literatur zu öffnen. Eingeladen zum Lesen wurde ich von einem alten Freund, der nun dort unterricht­et und der – neben dem Umstand, dass ich als Sohn eines Buchbinder­s zwischen Bücherrega­len aufgewachs­en bin –, auch maßgeblich an meiner Lesefreude Anteil trägt. Es gibt also, wenn wir noch einmal zu Figuren bei Kafka kommen, etwas, das uns heimlich leitet, das und verführt. Und auch wenn ich das für keine gute Idee halte, wurden die Schülerinn­en und Schüler gefragt, was sie denn gerade lesen. Viele zeigen auf. Und dann zeigt auch der Arthur auf und sagt: „,Die Strafkolon­ie‘ von Franz Kafka.“Danke, ganz alte, immer brauchbare Schule.

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