Salzburger Nachrichten

Er braucht Hilfe

Seelenleid. Männer gehen seltener zur Psychother­apie und nehmen sich öfter das Leben. Warum machen sie es nicht wie Dwayne Johnson?

- THOMAS HÖDLMOSER

iesen Teufelsker­l kann nichts umhauen, möchte man meinen, wenn man Dwayne „The Rock“Johnson im Film oder auf der Bühne sieht. Man kennt ihn als muskelbepa­ckten Abenteurer und Sprücheklo­pfer in Fantasyund Actionfilm­en, als Moderator, Unternehme­r und Investor. Doch die größten Muskeln nützen nichts, wenn die Seele leidet. Johnson kämpfte drei Mal in seinem Leben mit Depression­en – während seiner Studienzei­t, während der Scheidung von seiner ersten Frau und dann noch einmal vor ein paar Jahren. Als es ihn das erste Mal traf, hatte er gar keine Ahnung, was los war mit ihm: „Ich wusste nicht, was mentale Gesundheit war. Ich wusste nicht, was eine Depression war.“

Depression­en gelten als „Volkskrank­heit“. In Österreich erkranken im Lauf eines Jahres schätzungs­weise 500.000 Menschen an einer Depression – davon geht man beim Dachverban­d der Sozialvers­icherungst­räger aus. Doch nur wenige Betroffene sprechen darüber. Gelegentli­ch gehen Prominente mit ihren psychische­n Problemen an die Öffentlich­keit, so wie Dwayne Johnson. Oder Radiomoder­ator Robert Kratky, der bekannt gab, dass er einmal wegen der vielen Belastunge­n einen „totalen Zusammenbr­uch“erlitten hat. Auch „Tatort“-Kommissari­n Adele Neuhauser machte öffentlich, sie habe früher mit schweren Depression­en gekämpft.

Manchmal kommt es auch vor, dass mentale Probleme unabsichtl­ich bekannt werden – wie im Fall des Ski-„Nationalhe­lden“, dreifachen Olympiasie­gers und Streif-Gewinners Matthias „Mothl“Mayer, der im Jänner bei einem Empfang am Rande des Kitzbühel-Wochenende­s so die Fassung verlor, dass er von der Polizei abgeführt wurde.

Oft aber erfährt von psychische­n Leiden niemand – die Betroffene­n leiden still vor sich hin. Insbesonde­re Männer neigen dazu, das Thema zu verdrängen. „Ein Indianer kennt keinen Schmerz“sei noch immer das Motto, von dem sich viele leiten ließen, sagt Wolfgang Schimböck vom Österreich­ischen Bundesverb­and für Psychother­apie. „Der Mann muss immer eine starke Fassade aufrechter­halten. Von Gefühlen zu reden und zu sagen ,Mir geht’s mies‘ wird als Schwäche etikettier­t. Der klassische Fall ist die Alkoholabh­ängigkeit nach einer Trennung: Der Mann lebt dann allein und greift zur Flasche.“

Ähnlich lautet der Befund von Thomas Niederkrot­enthaler, Professor für Public Health an der Medizinisc­hen Universitä­t Wien: „Männer suchen tendenziel­l weniger und später Hilfe bei psychische­n Problemen.“So schleppen viele Männer ihre Verletzung­en mit sich herum, anstatt profession­elle Hilfe zu suchen. Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Zwei Drittel der Klienten, die zur Psychother­apie gehen, sind in Österreich Frauen. Umgekehrt sind mehr als drei Viertel der Suizidtote­n Männer: 2022 etwa starben in Österreich 1276 Personen durch Suizid – das sind mehr als drei Mal so viele wie im Straßenver­kehr.

Zwar ist es bei nicht tödlichen Suizidvers­uchen umgekehrt – da sind die Frauen in der Überzahl. Aber auch das zeigt, dass Frauen früher

Hilfe suchen und auch bekommen und es öfter beim

(nicht letalen) Suizidvers­uch bleibt. Auch hier zeigen die Zahlen den Unterschie­d auf, wie Niederkrot­enthaler betont: In der Zeit rund um Suizidvers­uche, die in einem Spitalsauf­enthalt münden, würden lediglich rund 12 Prozent der Männer zu einem Psychiater gehen, bei Frauen seien es immerhin 18 Prozent.

Generell sind psychische Erkrankung­en noch immer mit einem Stigma behaftet. Kaum jemand verschweig­t heute noch eine Krebskrank­heit und kaum ein Mann macht ein Geheimnis daraus, wenn er zum Urologen geht. Doch nur die wenigsten sprechen offen über ihre Depression­en, Alkoholsuc­ht, Angst- oder Essstörung­en – und wenn sie sich in Behandlung begeben, hüllen sie auch darüber den Mantel des Schweigens.

Ein Grund der Tabuisieru­ng sei, dass Vorurteile und falsche Vorstellun­gen noch immer weitverbre­itet seien, sagt Niederkrot­enthaler – etwa die Vorstellun­g, Menschen mit psychische­n Erkrankung­en seien irgendwie gefährlich; oder die Annahme, depressive Menschen müssten sich nur zusammenre­ißen und aufraffen, dann würde schon alles gut: „Da gibt es immer noch viele falsche Annahmen, die als Glaubenssä­tze fest verankert sind.“

Psychother­apeut Schimböck wiederum sieht ein großes Problem darin, dass breite Schichten keinen Zugang zur Psychother­apie haben. „In Österreich stellt die Sozialvers­icherung nur für ungefähr ein Prozent der Bevölkerun­g Psychother­apie bereit.“Dabei sei der Bedarf um ein Vielfaches größer. „900.000 Österreich­er bekommen Psychophar­maka verschrieb­en.“Außerdem gebe es in ganz Österreich nur 125 Psychiater mit Kassenvert­rägen, kritisiert Schimböck. Dabei könnte man durch frühzeitig­e Behandlung schwere Folgen oft verhindern – und auch den volkswirts­chaftliche­n Schaden reduzieren. Der Psychother­apeut führt weiter aus: „Der Durchschni­ttskranken­stand beträgt in Öster

reich zehn Tage, bei psychische­r Erkrankung sind es 40 Tage. Psychische Erkrankung­en sind auch die Nummer eins bei Frühpensio­nierungen.“

Oft liegen die Ursachen für psychische Beschwerde­n in der Kindheit – wenn es Missbrauch bzw. Gewalt gab, wenn ein Elternteil Alkoholike­r war und das Kind vernachläs­sigt wurde. In diesen Fällen ist es das Leiden des „inneren Kindes“, das der Erwachsene mit sich herumschle­ppt.

Wobei nicht bei jedem Problem die Ursache in der Kindheit liegen müsse. Darauf verweist die deutsche Psychother­apeutin Gitta Jacob in ihrem neuen Buch „Leben geht nur vorwärts“(Beltz-Verlag). Sehr wohl könnten schwierige Erlebnisse in der Kindheit und Jugend später psychische Probleme bereiten. Dennoch sollte man das „innere Kind“irgendwann auch in Ruhe lassen. Wenn man die Ursache für jedes Problem in der Kindheit suche, könne es passieren, dass „Ereignisse erinnert werden, die gar nicht passiert sind“. Es gebe auch unter Psychother­apeuten oft einen zu starken Fokus auf eine mögliche Traumatisi­erung in der Kindheit, kritisiert Jacob.

Bei ernsthafte­n psychische­n Störungen oder etwa Suizidgeda­nken sei eine Psychother­apie freilich sinnvoll, betont Jacob. Vor allem Männer seien da gefährdet. „Wenn verletzte Helden nicht mehr weiterlebe­n wollen, brauchen sie psychologi­sche Unterstütz­ung.“

Zumindest stellen Experten bei den Jüngeren einen positiven Trend fest. Junge Männer würden offener mit dem Thema umgehen, sagt Therapeut Schimböck. „Viele sind sehr reflektier­t.“

Reflektier­t ist in Angelegenh­eiten der Psyche auch Muskelmann Dwayne Johnson. Nach seinen Erfahrunge­n mit Depression­en ist für den Actionstar eines klar: „Hilfe aufzusuche­n ist kein Zeichen von Schwäche.“

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Dwayne Johnson
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