Er braucht Hilfe
Seelenleid. Männer gehen seltener zur Psychotherapie und nehmen sich öfter das Leben. Warum machen sie es nicht wie Dwayne Johnson?
iesen Teufelskerl kann nichts umhauen, möchte man meinen, wenn man Dwayne „The Rock“Johnson im Film oder auf der Bühne sieht. Man kennt ihn als muskelbepackten Abenteurer und Sprücheklopfer in Fantasyund Actionfilmen, als Moderator, Unternehmer und Investor. Doch die größten Muskeln nützen nichts, wenn die Seele leidet. Johnson kämpfte drei Mal in seinem Leben mit Depressionen – während seiner Studienzeit, während der Scheidung von seiner ersten Frau und dann noch einmal vor ein paar Jahren. Als es ihn das erste Mal traf, hatte er gar keine Ahnung, was los war mit ihm: „Ich wusste nicht, was mentale Gesundheit war. Ich wusste nicht, was eine Depression war.“
Depressionen gelten als „Volkskrankheit“. In Österreich erkranken im Lauf eines Jahres schätzungsweise 500.000 Menschen an einer Depression – davon geht man beim Dachverband der Sozialversicherungsträger aus. Doch nur wenige Betroffene sprechen darüber. Gelegentlich gehen Prominente mit ihren psychischen Problemen an die Öffentlichkeit, so wie Dwayne Johnson. Oder Radiomoderator Robert Kratky, der bekannt gab, dass er einmal wegen der vielen Belastungen einen „totalen Zusammenbruch“erlitten hat. Auch „Tatort“-Kommissarin Adele Neuhauser machte öffentlich, sie habe früher mit schweren Depressionen gekämpft.
Manchmal kommt es auch vor, dass mentale Probleme unabsichtlich bekannt werden – wie im Fall des Ski-„Nationalhelden“, dreifachen Olympiasiegers und Streif-Gewinners Matthias „Mothl“Mayer, der im Jänner bei einem Empfang am Rande des Kitzbühel-Wochenendes so die Fassung verlor, dass er von der Polizei abgeführt wurde.
Oft aber erfährt von psychischen Leiden niemand – die Betroffenen leiden still vor sich hin. Insbesondere Männer neigen dazu, das Thema zu verdrängen. „Ein Indianer kennt keinen Schmerz“sei noch immer das Motto, von dem sich viele leiten ließen, sagt Wolfgang Schimböck vom Österreichischen Bundesverband für Psychotherapie. „Der Mann muss immer eine starke Fassade aufrechterhalten. Von Gefühlen zu reden und zu sagen ,Mir geht’s mies‘ wird als Schwäche etikettiert. Der klassische Fall ist die Alkoholabhängigkeit nach einer Trennung: Der Mann lebt dann allein und greift zur Flasche.“
Ähnlich lautet der Befund von Thomas Niederkrotenthaler, Professor für Public Health an der Medizinischen Universität Wien: „Männer suchen tendenziell weniger und später Hilfe bei psychischen Problemen.“So schleppen viele Männer ihre Verletzungen mit sich herum, anstatt professionelle Hilfe zu suchen. Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Zwei Drittel der Klienten, die zur Psychotherapie gehen, sind in Österreich Frauen. Umgekehrt sind mehr als drei Viertel der Suizidtoten Männer: 2022 etwa starben in Österreich 1276 Personen durch Suizid – das sind mehr als drei Mal so viele wie im Straßenverkehr.
Zwar ist es bei nicht tödlichen Suizidversuchen umgekehrt – da sind die Frauen in der Überzahl. Aber auch das zeigt, dass Frauen früher
Hilfe suchen und auch bekommen und es öfter beim
(nicht letalen) Suizidversuch bleibt. Auch hier zeigen die Zahlen den Unterschied auf, wie Niederkrotenthaler betont: In der Zeit rund um Suizidversuche, die in einem Spitalsaufenthalt münden, würden lediglich rund 12 Prozent der Männer zu einem Psychiater gehen, bei Frauen seien es immerhin 18 Prozent.
Generell sind psychische Erkrankungen noch immer mit einem Stigma behaftet. Kaum jemand verschweigt heute noch eine Krebskrankheit und kaum ein Mann macht ein Geheimnis daraus, wenn er zum Urologen geht. Doch nur die wenigsten sprechen offen über ihre Depressionen, Alkoholsucht, Angst- oder Essstörungen – und wenn sie sich in Behandlung begeben, hüllen sie auch darüber den Mantel des Schweigens.
Ein Grund der Tabuisierung sei, dass Vorurteile und falsche Vorstellungen noch immer weitverbreitet seien, sagt Niederkrotenthaler – etwa die Vorstellung, Menschen mit psychischen Erkrankungen seien irgendwie gefährlich; oder die Annahme, depressive Menschen müssten sich nur zusammenreißen und aufraffen, dann würde schon alles gut: „Da gibt es immer noch viele falsche Annahmen, die als Glaubenssätze fest verankert sind.“
Psychotherapeut Schimböck wiederum sieht ein großes Problem darin, dass breite Schichten keinen Zugang zur Psychotherapie haben. „In Österreich stellt die Sozialversicherung nur für ungefähr ein Prozent der Bevölkerung Psychotherapie bereit.“Dabei sei der Bedarf um ein Vielfaches größer. „900.000 Österreicher bekommen Psychopharmaka verschrieben.“Außerdem gebe es in ganz Österreich nur 125 Psychiater mit Kassenverträgen, kritisiert Schimböck. Dabei könnte man durch frühzeitige Behandlung schwere Folgen oft verhindern – und auch den volkswirtschaftlichen Schaden reduzieren. Der Psychotherapeut führt weiter aus: „Der Durchschnittskrankenstand beträgt in Öster
reich zehn Tage, bei psychischer Erkrankung sind es 40 Tage. Psychische Erkrankungen sind auch die Nummer eins bei Frühpensionierungen.“
Oft liegen die Ursachen für psychische Beschwerden in der Kindheit – wenn es Missbrauch bzw. Gewalt gab, wenn ein Elternteil Alkoholiker war und das Kind vernachlässigt wurde. In diesen Fällen ist es das Leiden des „inneren Kindes“, das der Erwachsene mit sich herumschleppt.
Wobei nicht bei jedem Problem die Ursache in der Kindheit liegen müsse. Darauf verweist die deutsche Psychotherapeutin Gitta Jacob in ihrem neuen Buch „Leben geht nur vorwärts“(Beltz-Verlag). Sehr wohl könnten schwierige Erlebnisse in der Kindheit und Jugend später psychische Probleme bereiten. Dennoch sollte man das „innere Kind“irgendwann auch in Ruhe lassen. Wenn man die Ursache für jedes Problem in der Kindheit suche, könne es passieren, dass „Ereignisse erinnert werden, die gar nicht passiert sind“. Es gebe auch unter Psychotherapeuten oft einen zu starken Fokus auf eine mögliche Traumatisierung in der Kindheit, kritisiert Jacob.
Bei ernsthaften psychischen Störungen oder etwa Suizidgedanken sei eine Psychotherapie freilich sinnvoll, betont Jacob. Vor allem Männer seien da gefährdet. „Wenn verletzte Helden nicht mehr weiterleben wollen, brauchen sie psychologische Unterstützung.“
Zumindest stellen Experten bei den Jüngeren einen positiven Trend fest. Junge Männer würden offener mit dem Thema umgehen, sagt Therapeut Schimböck. „Viele sind sehr reflektiert.“
Reflektiert ist in Angelegenheiten der Psyche auch Muskelmann Dwayne Johnson. Nach seinen Erfahrungen mit Depressionen ist für den Actionstar eines klar: „Hilfe aufzusuchen ist kein Zeichen von Schwäche.“