Demokratie in der Krise
Rechtsextreme drängen auf die politische Bühne. Auf dem Vormarsch sind die Vertreter eines „autoritären Nationalradikalismus“. Das zeigt der Aufstieg der deutschen AfD. Wie lassen sich die Freiheitsfeinde stoppen? Die Bürger müssen dringend dagegen mobil
Manès Sperber, Feind des Totalitarismus. Er war Marxist, doch Gewaltexzesse machten ihn zum Antikommunisten. Erschütternd aktuell sind seine Ansichten zu totalitären Regimes – und wie man mit ihnen umgeht: Europa brauche Rüstung, sagte er. Obwohl er doch ein Kriegsgegner war.
ANTON THUSWALDNER
lanz und Elend liegen auch beim jüngsten Kapitel deutscher Demokratiegeschichte nah beieinander. Mit einer friedlichen Revolution haben die Ostdeutschen 1989 die DDR-Diktatur gestürzt. Doch in wenigen Jahrzehnten ist aus der demokratischen Mobilisierung einer sich selbst befreienden Gesellschaft das Terrain für eine antidemokratische Revolte geworden.
Die zusehends rechtsextrem auftretenden Rechtspopulisten von der Alternative für Deutschland (AfD) verzeichnen hier immer größere Wahlerfolge. Das politische Berlin zittert deshalb geradezu vor den ostdeutschen Landtagswahlen in diesem Herbst. Mit Schaudern liest man Berichte, dass in manchen Gegenden die Radikalen schon derart dominieren, dass sich demokratisch gesinnte Bürger kaum noch zu Demonstrationen auf die Straße trauen.
Das Protest-Phänomen gibt es auch im Westen. Aber im „problematischen Osten“ist es viel stärker ausgeprägt. Allzu pauschal klingt die These, dass sich manche Ostdeutsche aufgrund der doppelten Diktatur-Erfahrung mit NS-Staat und DDR-Regime eben nicht für die Demokratie gewinnen ließen. Abgenützt hat sich auch das Argument, dass sich hier in erster Linie die „Abgehängten“artikulierten. Plausibler ist die Erklärung, dass die Ostdeutschen nach den Umbrüchen in den 1990er-Jahren durch die multiplen Krisen unserer Zeit in besonderem Maße verunsichert werden. Zutreffend ist zudem, dass sich viele Menschen mit ihren Interessen im politischen und gesellschaftlichen Leben der Republik noch immer nicht genügend vertreten fühlen.
Die Gründe für die Demokratie-Distanz ortet die Historikerin Christina Morina in ihrem Buch „Tausend Aufbrüche“(SiedlerVerlag, München 2023) in politischer Frustration. Im Revolutionsherbst 1989 haben viele Ostdeutsche basis- und direktdemokratische Vorstellungen vorgetragen. Demwieder“, nach sollte auf sämtlichen Ebenen die „wahre Demokratie“erst geschaffen werden. Jeder Einzelne sollte für das große Ganze verantwortlich sein. Nicht im Konflikt, sondern möglichst im Konsens sollte alles entschieden werden. Doch die hochfliegenden Erwartungen wurden enttäuscht. Weder gab es wie erhofft die Ausarbeitung einer neuen, gesamtdeutschen Verfassung noch wurden plebiszitäre Elemente wie gefordert in das bestehende System der repräsentativen Demokratie der Bundesrepublik aufgenommen.
Bis heute sind im deutschen Osten die Zahl der Parteimitgliedschaften und der Grad an gewerkschaftlicher Organisation deutlich geringer als im Westen. So sehen offensichtlich zahlreiche Menschen keine Vermittlungsinstanzen für eine demokratische Kompromissfindung, stattdessen erwarten sie von der Politik, dass das jeweils eigene Anliegen „direkt und ungefiltert“durchgesetzt wird. Protest bricht sich Bahn, sobald das nicht erfüllt wird. Demokratische Freiheit bedeute auch mitzumachen, sich einzubringen, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel drei Jahrzehnte nach der „Wende“. Zum ersten Mal in ihrer Amtszeit nahm sie dezidiert Stellung, als sie danach gefragt wurde, warum es im Osten eine geringere Zustimmung zur Demokratie und stärkere Stimmergebnisse für die AfD gebe. Ihre Kernaussage: „Vielleicht hatten manche Menschen auch
Scheu vor einem Engagement, weil es in der DDR so viel Zwang zum Mitwirken gab.“
Mit Angela Merkel stand 16 Jahre lang eine Ostdeutsche am Regierungsruder. Aber auf ihre ostdeutsche Herkunft kam diese Kanzlerin selten zu sprechen – statt diese Biografie in die öffentliche Waagschale zu werfen und solcherart die Politik zu sensibilisieren für die besondere Befindlichkeit der Ostdeutschen. s ist eine wunderbare Fügung, dass der wichtigste Literaturpreis im deutschen Sprachraum im Namen von Georg Büchner vergeben wird. Einst als Staatsfeind ins französische Exil gedrängt, wird er heute als Vorkämpfer für Demokratie geschätzt. Wer mit diesem Preis ausgezeichnet wird, steht in dieser Tradition, zu der in den Dankreden Bezug genommen wird. 1975 wurde dem österreichisch-französischen Schriftsteller Manès Sperber (1905–1984) diese Ehre zuteil, der in seinem Werk ausführlich vor der Bedrohung autoritärer Systeme warnte. Beglaubigt ist seine Haltung durch biografische Erfahrungen, die ihn vom Kommunisten unter dem Eindruck der stalinistischen Säuberungen zum scharfen Kritiker werden ließen.
„Die Gleichgültigkeit ist allgegenwärtig. Jeder Gewaltherrschaft ist sie die sicherste Stütze. (…) Die Gleichgültigkeit ist so furchtbar in ihren Folgen und so mörderisch wie die furchtbarste Gewalt“, so Sperber in seiner Dankrede zum Büchner-Preis. An der Gleichgültigkeit sieht er die Ambitionen Georg Büchners, einen menschengerechten Staat zu schaffen, zerschellen. Die „extremistischen Opportunisten“sieht er als die eigentlichen Feinde der Gesellschaft, die er in den westlichen Ländern um 1975 in Charakteren ausmachte, die „ihren seelischen und geistigen Komfort (…) in der unmittelbaren Nachbarschaft der Extremisten von rechts und links“suchen.
Aus Manès Sperbers Werk spricht der enttäuschte Linke, dem der Verlauf der Geschichte gezeigt hat, wie die Sache der Demokratie zuschanden geschlagen wurde.
„Als ich mit dem Kommunismus endgültig, unwiderruflich brach, gewann ich mühelos die Freiheit des Erkennens und des Urteilens
heißt es in „Bis man mir Scherben auf die Augen legt“, dem dritten Band des umfangreichen Erinnerungswerks „All das Vergangene …“. Zu den Studentenprotesten von 1968 ging Sperber, der längst geläuterte Marxist, auf Distanz, weil er Gewalt ablehnte. Das brachte ihm nur Häme und Spott ein. Vorerst! Später bekannten so prominente Wortführer wie Daniel Cohn-Bendit und Joschka Fischer, dass ihnen die Arbeit Sperbers die Augen geöffnet habe.
Dabei war der durch und durch politisch imprägnierte kritische Schriftsteller kein Pazifist. Das brachte ihn in Verruf bei der Friedensbewegung, für die 1983 Demonstrationen gegen die Nato-Nachrüstung zur Pflicht gehörten. Sperber, gerade mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet, warnte dagegen eindringlich vor der Selbstentwaffnung Europas und davor, sich dem aggressiven Imperialismus der Sowjetunion zu ergeben. „Jeder aber sollte wissen“, erklärte er in seiner Rede, „dass Erpresser um so mehr verlangen und um so bedrohlicher werden, je öfter man ihnen nachgegeben hat. (…) Wer jedoch glaubt und glauben machen will, dass ein waffenloses, neutrales, kapitulierendes Europa für alle Zukunft des Friedens sicher sein kann, der irrt sich und führt andere in die Irre.“Er kam zum Schluss: „Wir alten Europäer aber, die den Krieg verabscheuen, wir müssen leider selbst gefährlich werden, um den Frieden zu wahren.“Nach zwei mörderischen Kriegen war Sperber vehementer Kriegsgegner – und ein leidenschaftlicher Verteidiger der Demokratie, die er bedroht sah, wie er nicht aufhörte zu betonen. Er war überzeugt davon, „dass ein totalitäres Regime sich gefährdet sieht, solange es nicht seine grenzenlose Macht über die unmittelbaren und mittelbaren Nachbarn – und eines Tages über den ganzen Planeten – ausbreitet“.
Der Sonderzahl-Verlag in Wien legt ausgewählte Werke Manès Sperbers wieder auf. Im Herbst erschienen seine Lebenserinnerungen „All das Vergangene …“, im Frühjahr folgen ein Band mit Essays und die Romantrilogie „Wie eine Träne im Ozean“.