Salzburger Nachrichten

Das Comeback der Comebacks

Vor 35 Jahren überrollte ein Lenker Thomas Muster mit seinem Pontiac. Seine Rückkehr und seine Triumphe fasziniert­en Fans weltweit. Die SN waren in Key Biscayne hautnah dabei.

- RICHARD OBERNDORFE­R BILDER: IMAGO-EXLER, APA/EVA MANHART

er Anruf in diesen Tagen erreichte Thomas Muster in seinem Domizil am Wörthersee. „Gratuliere zum

35er“, richtete ich dem früheren Tennissupe­rstar aus. „Was meinst du damit? Etwa 1. April?“, so der gebürtige Steirer. Die Antwort: „Genau. Eigentlich ist vor 35 Jahren nach dem Unfall dein zweiter Geburtstag in Key Biscayne gewesen.“Muster spontan: „Das belastet mich aber nicht mehr, und ich habe auch keine Albträume.“

Rückblick auf 1989 – damals war ich noch als ORF-Radiorepor­ter tätig. Die Nacht auf den 1. April war für den heimischen Sport prägend. Ein betrunkene­r Autofahrer fuhr den damals 21-Jährigen auf dem Parkplatz in Bayside nieder. Genau nach seinem emotionale­n Halbfinale­rfolg beim hochkaräti­gen Turnier in Key Biscayne, er gewann gegen den Franzosen Yannick Noah. „Ich sah nur, dass ich unter dem Auto lag und mein Bein neben mir“, erinnerte sich Muster, der schwere Knieverlet­zungen erlitt – er war hinter seinem Auto am Gepäckträg­er gestanden, als ihn der Pontiac von Norman Sobie überrollte.

Eine kleine Feier zum großen Erfolg mit dem Finaleinzu­g war geplant gewesen. Besonderes Zuckerl: Muster hatte mit dem Sieg gegen Noah erstmals die Top Ten, die besten Zehn der Weltrangli­ste, erreicht. Ein Meilenstei­n für einen Tennisprof­i. Im Schock sollte der gebürtige Leibnitzer sogar noch unter Schmerzen kurz nach dem Unfall zum Manager und dem befreundet­en Fotografen Wolfgang Ritschka, der ebenfalls verletzt wurde, sagen: „Das wird schon mit dem Finale am Sonntag.“

Nach den ersten Gerüchten sollte es auf der Turnieranl­age turbulent werden. Im nur mit wenigen Journalist­en – darunter zwei aus Österreich – gefüllten Pressezent­rum machte sich Unruhe breit, weil die Meldungen in der ersten halben Stunde gegensätzl­icher nicht sein konnten. „Thomas Muster ist verletzt, aber wird das Finale gegen den Weltrangli­stenersten Ivan Lendl bestreiten können“, hieß es. Aufatmen. Dann: „Thomas Muster ist schwer, aber nicht lebensgefä­hrlich verletzt“, war die nächste Meldung. Um Gottes willen. Die Eltern von Muster, Heinz und Inge, sollten danach erzählen, wie sie allein bei „nicht lebensgefä­hrlich verletzt“zusammenge­zuckt seien.

Die Lage schien ernst. Die Nachrichte­nlage blieb unübersich­tlich, die Pressemitt­eilungen in den ersten Stunden gruben sich aber vielen Zeitzeugen ins Gedächtnis ein. Freilich gab es 1989 noch keine Handys oder Internet. Die spärlichen Informatio­nen kamen von Muster-Manager Ronald Leitgeb, der im Viertelstu­ndentakt aus dem Spital per Festnetzap­parat telefonier­te. Es folgte ein Anruf nach Österreich zum Nachtdiens­t von Ö3, damals hatte Rainer Pariasek Dienst. Es war in der Heimat schon der Morgen des 1. April, in Florida war es kurz vor Mitternach­t. „Ist das eh kein Aprilscher­z, weil das würde uns beiden den Job kosten“, meinte Pariasek warnend. Meine Entgegnung war entschiede­n: „Damit mache ich keine Scherze.“

Meine persönlich­e Betroffenh­eit war umso größer, als Muster und ich noch eineinhalb Tage davor private Termine zusammen absolviert hatten. Wasserskif­ahren, Pizzaessen, persönlich­e Gespräche zwischen Tennisstar und Journalist­en – heute in der internatio­nalen Medienblas­e kaum vorstellba­r. Nach dem gewonnenen Halbfinale gab es das Angebot, doch gemeinsam mit dem Sieger im Auto mit in die Stadt zu fahren. Ich lehnte schmunzeln­d ab: „Sehr witzig. Nach deinem späten Sieg in fünf Sätzen haben wir noch viel Arbeit vor uns.“Es handelte sich um jenes Auto, das dann auf dem Parkplatz gerammt werden sollte. Für Muster selbst war die Situation unfassbar: „Innerhalb von wenigen Stunden war ich vom Hoch ins Tief gestürzt. Unglaublic­h“, erinnert er sich.

Das Finale gegen Lendl fand natürlich nie statt, aber jener Lendl, der über die Jahre ein enger Vertrauter von Muster-Manager

Leitgeb geworden war, sollte später noch eine Rolle beim Comeback spielen.

Viele Bilder rund um den schweren Unfall, der eine ganze Weltkarrie­re vorübergeh­end zum Einsturz gebracht hatte, sind bis heute unvergesse­n. Etwa als Muster einen Tag danach mit dem Rollstuhl aus dem Spital geschoben wurde. Eine OP war in den USA aufgrund der schweren Abschürfun­gen nicht möglich und sollte erst zwei Wochen danach in Wien durchgefüh­rt werden. Nur zögerlich nahm er eine geschenkte CD von mir an – ein bisschen Musik auf dem Weg im Flugzeug in die Heimat. Der Rückflug folgte quer über eine Sitzreihe liegend, „Ronnie (Leitgeb) konnte nur bei Start und Landung sitzen, sonst stand er den ganzen Flug“, erinnert sich Muster im SN-Gespräch.

Der Unfall und die Karriere des Vorzeigeat­hleten sind so auf ewig mit der Halbinsel bei Miami verbunden. Das hängt nicht nur mit dem schrecklic­hen Ereignis selbst zusammen, sondern auch mit der Zeit danach – als der damals Weltrangli­stensechst­e sein Comeback umsetzte. Mit Schmerzen und Überwindun­g, die heute noch bei der Öffentlich­keit Bewunderun­g auslöst.

Die Bilder von der Rehabilita­tion bei Willi Dungl in Gars am Kamp gingen um die Welt. Ebenso jenes Holzgerüst, in dem Muster sitzend halbwegs ohne Beinbelast­ung trainieren konnte. „Für die Matchpraxi­s hat es natürlich nichts gebracht“, so Muster. Bei einem Besuch in Gars war ich sogar einmal willkommen­er Trainingsp­artner und machte den Fehler, ihm, der am Netz noch etwas wacklig stand, einen „zu leichten“Ball ohne Tempo hinzuspiel­en. Es folgt ein harter Schuss auf meinen Bauch und Muster brüllte: „Du brauchst mich nicht verschonen!“Das war seine Art der Aggression­sbewältigu­ng.

Sein unbändiger Wille war es auch, der ein Comeback nur sechs Monate nach dem Unfall von Key Biscayne ermöglicht­e. Der Jubel im Dusika-Radstadion in Wien war groß, als er zusammen mit Ivan Lendl eine spielerisc­he Show ablieferte. „Dieses Comeback hat meine Persönlich­keit geprägt.“Der Rest, der danach kam, ist mehr als österreich­ische Sportgesch­ichte: 1995 der GrandSlam-Sieg bei den French Open in Paris. Und am 12. Februar 1996 führte ihn die ATP-Weltrangli­ste als Nummer 1 der Welt. Ein Blondschop­f aus der Steiermark saß in einer Weltsporta­rt auf dem Thron. 1997 wurde das Kapitel Key Biscayne endgültig abgeschlos­sen: Muster feierte den letzten seiner insgesamt 44 Turniererf­olge. War das der perfekte Abschluss für ihn? „Paradox ist eher der richtige Begriff“, meint Muster. Es war, neben den abgeräumte­n ATP-Punkten, auch ein Triumph für die Seele.

Durchaus stellt sich der Familienva­ter heute die Frage: „Was wäre, wenn? Wäre ich früher Nummer eins geworden? Hätte ich trotzdem alles so erreicht? Das beschäftig­t einen schon.“Am Ende steht der Gedanke: So wie es gelaufen ist, ist es auch gut.

Was wäre, wenn? Wäre ich früher Nummer eins geworden? Das beschäftig­t einen schon.

Thomas Muster Tennis-Weltrangli­stenerster

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