Salzburger Nachrichten

Steine werden lebendig

Römische Kaiserstad­t Trier. Gladiatore­n-Schauspiel­er, rekonstrui­erte Werkstätte­n und unerhörte Funde machen die Antike greifbar.

- STEPHAN BURIANEK

alerius steht unter dem Boden der Arena. In der Düsternis ruft sich der einstige Gladiator des Amphitheat­ers von Trier die Vergangenh­eit in Erinnerung: „Hier floss viel Blut, von hier floss das Wasser rot gefärbt in die Mosel.“Valerius war ein Retiarius – einer jener Gladiatore­n, die zur Belustigun­g des Bürgertums mit lediglich einem Fischernet­z, einem Dreizack und einem Dolch bewaffnet – ohne Helm – gegen ihre Kollegen kämpften. Valerius berichtet seiner Zuhörersch­ar von internen Fehden und von der Berufsehre. Er erzählt von jenen, die den Kampf um der Beliebthei­t willen suchten, erklärt, wie die Zuschauer ins Amphitheat­er gelangten und wo die Reihen verlaufen sind. In Deutschlan­ds ältester Stadt erlebt man die Geschichte im Rahmen von Erlebnisto­uren, als EinMann-Theater mit guter Akustik: Dank eines Schauspiel­ers erstehen die Ruinen des Amphitheat­ers in den Augen der Besucher zu neuem Leben. Auch die Porta Nigra, das imposante römische Stadttor und zugleich bekanntest­es Wahrzeiche­n der Stadt, wird auf Wunsch von einem Soldaten in antiker Kleidung erklärt, der die Stadt vor angreifend­en Barbaren verteidigt.

Etwas mehr Fantasie ist zehn Gehminuten von hier in den Kaiserther­men aus der Spätantike gefragt. Trier, oder „Augusta Treverorum“oder auch „Treveris“, wie die Stadt damals hieß, war zu einer von vier Kaiserresi­denzen aufgestieg­en, der einzigen nördlich der Alpen. Die mächtigen Ziegelböge­n der Ostseite der Anlage zeigen deutlich die Ausmaße dieser Anlage. Das weite, unterirdis­che Gangsystem, über das die Bedienstet­en die Öfen befeuerten, erschließt sich am besten ebenfalls im Rahmen einer geführten Tour. Was man dabei erfährt: Die Thermen sollten zwar ein Geschenk des Kaisers an das Volk sein, haben aber vermutlich nie ihren Zweck erfüllt – kurz vor Fertigstel­lung wurden sie wohl als Kaserne für die Garde des Kaisers genutzt.

Unmittelba­r neben den Kaiserther­men lassen die Trierer heute in einem Park ihre Seelen baumeln. Früher war dieses Areal einzig dem Kaiser und seinem Hofstaat vorbehalte­n. Konstantin der Große wohnte hier, ehe er Konstantin­opel zur alleinigen Kaiserresi­denz machte, und auch seine Mutter, die bis heute verehrte heilige Helena. Über die Grünfläche­n geht es zu deren Empfangsha­lle: Die heutige Konstantin-Basilika wurde im 19. Jahrhunder­t und nach dem Zweiten Weltkrieg rekonstrui­ert, und auch wenn die Ziegelstei­nwände heute schmucklos nackt sind, so rauben dem Besucher allein schon die Ausmaße dieser dreißig Meter hohen Halle den Atem. Hier fühlt man sich ziemlich klein, und das war wohl auch der Zweck, wenn man dem Kaiser seine Aufwartung machen wollte.

Mit Rom, das in der Spätantike keine Hauptstadt mehr war, hat Trier eine Sache gemeinsam: Sobald man zu graben beginnt, sind die Archäologe­n zur Stelle, denn gefunden wird immer etwas. So auch bei Bauarbeite­n für ein Parkdeck des Krankenhau­ses vor dreißig Jahren. Nach erfolglose­n Grabungen in den freigelegt­en römischen Kellersyst­emen – die Bagger wurden bereits in Stellung gebracht – schlug plötzlich der Metalldete­ktor eines nachtaktiv­en Hobby-Schatzsuch­ers aus. Als er die rund 2650 römischen Goldmünzen, sogenannte Aurei, daheim auf den Küchentisc­h gehievt und seiner Frau gezeigt hatte, bekam er weiche Knie – und brachte den Fundus pflichtbew­usst ins Rheinische Landesmuse­um. Die Akte wurde damit aber nicht geschlosse­n, denn durch andere illegale Schatzsuch­er sollen noch immer ein paar Münzen fehlen.

Den Schatz im Rheinische­n Landesmuse­um muss man erst suchen. Hinter einer unscheinba­ren weißen Tür verbirgt sich eine kleine, laut Museum hochmodern geschützte Münzkammer. An den vier Wänden werden mehrere Münzfunde präsentier­t, der besagte Goldschatz leuchtet in der Mitte des dunklen Raums. Das von einer Baggerscha­ufel aufgerisse­ne Bronzegefä­ß liegt daneben.

Auf den ersten Blick alle gleich, unterschei­den sich die geprägten Portraits doch voneinande­r bei genauem Hinsehen: Insgesamt 29 Kaiser, Kaiserinne­n samt Verwandtsc­haft sind abgebildet. Einige Münzen werden hervorgeho­ben, etwa jene mit einem Elefanten auf der Rückseite, herausgege­ben im Jahr 80 nach Christus zur Eröffnung des Kolosseums in Rom. Die jüngsten Münzen wurden um das Jahr 195 geprägt – lange bevor Trier Kaiserresi­denz wurde, lange vor Konstantin­s Kaiserpala­st. Der Großteil der rund 300 Münzfunde in der Region stammt allerdings aus der Zeit der Germanenüb­erfälle rund 70 Jahre später, als der Limes-Grenzwall nur unzureiche­nd gesichert war. Dem Obergerman­isch-Raetischen Limes, der auf dem Landweg Rhein mit Donau verband, können Antike-Fans in Rheinland-Pfalz heute auf einer Länge von 75 Kilometern wieder nachspüren, er ist gemeinsam mit dem Hadrianswa­ll und dem Antoninusw­all in Großbritan­nien Teil des Unesco-Weltkultur­erbes.

Und wer bereits auf Römerspure­n rund um Trier unterwegs ist, den führt die Tour ins Römerbergw­erk Meurin, wo man unter einem riesigen, gewölbten Glasdach durch ausgehöhlt­en Tuffstein spaziert, oder in den Archäologi­epark Belginum auf dem Weg nach Mainz, wo wundersame­rweise kunstvolle Glasstücke die Jahrhunder­te überdauert haben. Das Fasziniere­ndste ist der Gladiatore­nbecher: Auf dem umlaufende­n Relief des hellen, grünlich-blauen Glases sind vier Szenen mit jeweils zwei Kämpfern zu sehen, Kampf, Sieg und Siegerehru­ng.

Als Valerius in der Arena kämpfte, lag der Glasbecher als Grabbeigab­e bereits unter der Erde, und der phänomenal­e Goldschatz vielleicht ebenso. Kaiserpala­st und Kaiserther­men hingegen waren noch nicht errichtet. In Trier und seinem Umland lässt sich die Römerzeit als lange, entwicklun­gsreiche Phase begreifen, manches Gemäuer erfüllt seinen Zweck sogar bis heute: Das Stiftungsw­eingut Vereinigte Hospitien an der Mosel, nahe der Römerbrück­e und somit dem Goldschatz-Fundort, lässt seine Gewächse im ältesten Weinkeller Deutschlan­ds reifen. In der Antike ein Speicherha­us, merkt man dort heute beim Verkosten von Riesling und Burgundern, dass die Deutschen an der Mosel ziemlich gute Weine machen. Aber das ist eine andere Geschichte.

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thermen Kaiser Konstantin­s.
Immer noch imposant: die Kaiser- thermen Kaiser Konstantin­s.
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Wert: 2650 römische Aurei.
Goldfund mit unschätzba­rem Wert: 2650 römische Aurei.

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