Gesundes Wachstum gelingt nur mit den Einheimischen
Ein kleiner Ort im Pongau protestiert gegen das touristische Wachstum. Insgeheim sehnt sich die Bevölkerung nach Wertschätzung und Teilhabe.
Ein kritischer Geist hat es in der 3784-Seelen-Gemeinde Großarl schwer. Untereinander kennt man sich, man begegnet sich, man tratscht über die anderen. Meist gehe es rasch und die kritische Stimme werde als Nestbeschmutzer abgestempelt, erzählt eine Bewohnerin. Dass der ÖVPBürgermeister samt der Gemeindevertretung kürzlich abgewählt wurde und die Stimmen zum Teil zu einer neuen freiheitlichen Liste gewandert sind, kann als stiller und anonymer demokratischer Protest einiger Bürgerinnen und Bürger bezeichnet werden. Ein Protest, der sich gegen das touristische Wachstum und dafür etablierte Machtzirkel richtet.
„Ein Ort ist halt kein Unternehmen“, sagte ein Großarler beim Lokalaugenschein. Es gehe auch um das Gefühl sowie Begegnungen auf Augenhöhe. Was in Großarl im Kleinen passiert, lässt sich auf die gesamtgesellschaftliche Ebene heben. Das ständige Streben nach mehr wird als böses Übel angesehen. Diskussionen darüber sind abendfüllend und schick – besonders bei teurem Rotwein. Dabei wird gerne vergessen, dass der Mut, zu wachsen, der Motor unseres Wohlstandes ist. Ein PS-starker fossiler Verbrennungsmotor, der Karrieren ermöglicht und materielle Wünsche erfüllt. Sitzt man als scheinbarer Profiteur im Maschinenraum, gewöhnt man sich an das Wachstum – und schielt auf die nächste Steigerung.
Großarl wurde für den scheinbaren touristischen Weitblick von vielen Seiten über Jahrzehnte bejubelt. Wer will nun schon freiwillig auf etwas verzichten, wenn der Markt nach einer qualitativen und quantitativen Steigerung ruft? Wer will schon mit dem Tellerlift fahren, wenn eine Gondel gegenüber fährt? Wer will schon ein Viersternehotel Superior betreiben – wenn der internationale Gast lieber für das Fünfsternehaus zahlt?
Der Wachstumsmotor scheint nun aber zunehmend ins Stocken zu geraten. In einer SN-Onlineumfrage voteten die Teilnehmenden gegen einen touristischen Wachstumskurs im Land. Gefordert werden landesweite Obergrenzen, was die Hotelzimmerzahl betrifft. Dass die Gesellschaft mehrheitlich einen AntiWachstums-Kurs einschlägt, um die Natur zu schützen, darf dennoch bezweifelt werden. Wachstum
hängt mit Identitäten und Werten zusammen. Das Beispiel aus Großarl zeigt, dass die einheimische Bevölkerung das Gefühl hat, das örtliche Profil zu verlieren. Eine Ortskultur wird nicht von Immobilien, Liftanlagen und Wellnessangeboten geprägt. Schlussendlich sind es immer die Menschen, die als kulturelle Vermittler agieren. Diese sind es, die einen Ort lebendig werden lassen. Diese sind es aber auch, die sich mit dem Ort identifizieren können müssen, um kulturell für diesen zu wirken. Wachstum ist kein Fluch. Die politischen Akteure im Land und vor allem die zahlreichen neu gewählten Meisterinnen und Meister der Bürgerinnen und Bürger müssen auf Augenhöhe mit der Bevölkerung agieren. Individuen wünschen sich die Einbindung und die Möglichkeit, mitzugestalten. Die Bürgerinnen und Bürger möchten von politischen Vertretern wertgeschätzt und angehört werden.
Die Orts- und Stadtchefs halten mit der Raumplanung ein wichtiges und zugleich gefährliches Instrument in Händen. Mit diesem kann ein Ort wachsen und zugleich seine Identität verlieren. In diesen Prozess sollten die Einheimischen vermehrt eingebunden und mitgenommen werden. Passiert das nicht, findet ein Ausschluss der Bevölkerung statt. Dieser treibt die Wählerinnen und Wähler an die Ränder, bringt Protestwähler und Unmut hervor. Ein Nährboden für Populisten mit ihren scheinbar einfachen Antworten. Manchmal lohnt es sich, den kritischen Geistern ein offenes Ohr zu schenken, um den Horizont zu erweitern.
Raumplanung ist ein gefährliches Instrument