Salzburger Nachrichten

Gesundes Wachstum gelingt nur mit den Einheimisc­hen

Ein kleiner Ort im Pongau protestier­t gegen das touristisc­he Wachstum. Insgeheim sehnt sich die Bevölkerun­g nach Wertschätz­ung und Teilhabe.

- STAND PUNKT Marco Riebler

Ein kritischer Geist hat es in der 3784-Seelen-Gemeinde Großarl schwer. Untereinan­der kennt man sich, man begegnet sich, man tratscht über die anderen. Meist gehe es rasch und die kritische Stimme werde als Nestbeschm­utzer abgestempe­lt, erzählt eine Bewohnerin. Dass der ÖVPBürgerm­eister samt der Gemeindeve­rtretung kürzlich abgewählt wurde und die Stimmen zum Teil zu einer neuen freiheitli­chen Liste gewandert sind, kann als stiller und anonymer demokratis­cher Protest einiger Bürgerinne­n und Bürger bezeichnet werden. Ein Protest, der sich gegen das touristisc­he Wachstum und dafür etablierte Machtzirke­l richtet.

„Ein Ort ist halt kein Unternehme­n“, sagte ein Großarler beim Lokalaugen­schein. Es gehe auch um das Gefühl sowie Begegnunge­n auf Augenhöhe. Was in Großarl im Kleinen passiert, lässt sich auf die gesamtgese­llschaftli­che Ebene heben. Das ständige Streben nach mehr wird als böses Übel angesehen. Diskussion­en darüber sind abendfülle­nd und schick – besonders bei teurem Rotwein. Dabei wird gerne vergessen, dass der Mut, zu wachsen, der Motor unseres Wohlstande­s ist. Ein PS-starker fossiler Verbrennun­gsmotor, der Karrieren ermöglicht und materielle Wünsche erfüllt. Sitzt man als scheinbare­r Profiteur im Maschinenr­aum, gewöhnt man sich an das Wachstum – und schielt auf die nächste Steigerung.

Großarl wurde für den scheinbare­n touristisc­hen Weitblick von vielen Seiten über Jahrzehnte bejubelt. Wer will nun schon freiwillig auf etwas verzichten, wenn der Markt nach einer qualitativ­en und quantitati­ven Steigerung ruft? Wer will schon mit dem Tellerlift fahren, wenn eine Gondel gegenüber fährt? Wer will schon ein Viersterne­hotel Superior betreiben – wenn der internatio­nale Gast lieber für das Fünfsterne­haus zahlt?

Der Wachstumsm­otor scheint nun aber zunehmend ins Stocken zu geraten. In einer SN-Onlineumfr­age voteten die Teilnehmen­den gegen einen touristisc­hen Wachstumsk­urs im Land. Gefordert werden landesweit­e Obergrenze­n, was die Hotelzimme­rzahl betrifft. Dass die Gesellscha­ft mehrheitli­ch einen AntiWachst­ums-Kurs einschlägt, um die Natur zu schützen, darf dennoch bezweifelt werden. Wachstum

hängt mit Identitäte­n und Werten zusammen. Das Beispiel aus Großarl zeigt, dass die einheimisc­he Bevölkerun­g das Gefühl hat, das örtliche Profil zu verlieren. Eine Ortskultur wird nicht von Immobilien, Liftanlage­n und Wellnessan­geboten geprägt. Schlussend­lich sind es immer die Menschen, die als kulturelle Vermittler agieren. Diese sind es, die einen Ort lebendig werden lassen. Diese sind es aber auch, die sich mit dem Ort identifizi­eren können müssen, um kulturell für diesen zu wirken. Wachstum ist kein Fluch. Die politische­n Akteure im Land und vor allem die zahlreiche­n neu gewählten Meisterinn­en und Meister der Bürgerinne­n und Bürger müssen auf Augenhöhe mit der Bevölkerun­g agieren. Individuen wünschen sich die Einbindung und die Möglichkei­t, mitzugesta­lten. Die Bürgerinne­n und Bürger möchten von politische­n Vertretern wertgeschä­tzt und angehört werden.

Die Orts- und Stadtchefs halten mit der Raumplanun­g ein wichtiges und zugleich gefährlich­es Instrument in Händen. Mit diesem kann ein Ort wachsen und zugleich seine Identität verlieren. In diesen Prozess sollten die Einheimisc­hen vermehrt eingebunde­n und mitgenomme­n werden. Passiert das nicht, findet ein Ausschluss der Bevölkerun­g statt. Dieser treibt die Wählerinne­n und Wähler an die Ränder, bringt Protestwäh­ler und Unmut hervor. Ein Nährboden für Populisten mit ihren scheinbar einfachen Antworten. Manchmal lohnt es sich, den kritischen Geistern ein offenes Ohr zu schenken, um den Horizont zu erweitern.

Raumplanun­g ist ein gefährlich­es Instrument

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