Warum hat Putin die Warnung ignoriert?
Die US-Regierung zeigt sich über den Anschlag in Moskau entsetzt, überraschend kam er für sie nicht. Man hatte Hinweise über einen geplanten Anschlag und diese mit Moskau geteilt, das sie ignorierte. Russland-Kenner Gerhard Mangott über ein tödliches Versäumnis.
SN: Terrorexperten sind sich einig: Hinter dem Anschlag steckt ein IS-Ableger. Putin sagt, die Spur führe in die Ukraine. Wem glaubt die russische Bevölkerung?
Gerhard Mangott: Das ist schwer zu sagen, weil wir keine Meinungsumfragen dazu haben. Aber ich denke, dass die offizielle Erzählung sicher bei den Menschen verfängt, die ausschließlich russisches Staatsfernsehen sehen. Und das sind nach Umfragen circa 60 bis 62 Prozent, die ihre Informationen nahezu ausschließlich aus den staatlichen Fernsehanstalten beziehen.
Das heißt – so zynisch das ist –, dass der Anschlag am Ende dem russischen Regime hilft bei einer neuen Mobilmachung.
SN:
Die Bevölkerung stellt schon Fragen. Warum konnte der Anschlag nicht verhindert werden, wo Russland doch so einen großen Sicherheitsapparat hat? Aber letztlich wird das der Führung nicht schaden. Sie könnte diesen Terroranschlag nutzen, um die Gesellschaft emotional zu mobilisieren und in geraumer Zeit auch wieder Rekruten zu mobilisieren.
Putin ist relativ vorsichtig, anders als andere Politiker. Er hat gesagt, nach vorläufigen Angaben hätten die ukrainischen Grenzbeamten einen Fluchtkorridor bereitgehalten für diese Terroristen, die eben, so sagt er, von Brjansk aus die Grenze übertreten wollten. Nach vorläufigen Angaben. Will heißen: Es könnte noch mehr Informationen geben. Er hat noch nicht explizit gesagt, die Ukraine habe diese Terroristen beauftragt. Das könnte noch kommen.
SN: Die USA haben Russland vor einem geplanten Terroranschlag gewarnt. Die Warnung war sehr konkret, sogar von geplanten Angriffen auf Konzerte war die Rede. Warum hat Putin die Warnung in den Wind geschlagen?
Das hängt natürlich mit einem extremen Misstrauen zusammen, das zwischen den Amerikanern und den Russen herrscht. Das färbt auf die Nachrichtendienste ab, sodass man einander nicht mehr wirklich glaubt, wenn eine Angabe kommt, wie sie die US-Botschaft gemacht hat. Auf der anderen Seite muss man die Frage stellen: Wenn man schon nicht auf diese Warnung gehört hat, warum war der eigene Inlandsgeheimdienst FSB nicht in der Lage, diese Terrorzelle aufzustöbern? Natürlich ist das keine leichte Aufgabe. Aber wenn es die Amerikaner schaffen, in Russland Informationen zu bekommen, dass ein solcher Anschlag bevorsteht, dann sollte die russische Seite dazu auch in der Lage sein.
Die Angriffe im Osten der Ukraine wurden am Wochenende verstärkt, es gab eine Verletzung des polnischen Luftraums. Was bedeutet der Anschlag für den Kriegsverlauf?
SN:
Die Anschläge auf ukrainische Infrastruktur gab es auch vor dem Wochenende schon. Das wird jetzt sicherlich intensiviert, einfach um der eigenen Bevölkerung zu signalisieren: Wir nehmen das nicht einfach hin. Wir rächen uns dafür.