Salzburger Nachrichten

Tanz bereichert die Leidensges­chichte Christi

Die Osterfests­piele starteten mit einer fesselnden Uraufführu­ng von Choreograf­in Sasha Waltz.

- FLORIAN OBERHUMMER

Zunächst rattern die Nähmaschin­en. Bevor sich die elf Tänzerinne­n und Tänzer ins Passionsge­schehen werfen, müssen sie erst jenes weiße Kleidungss­tück anfertigen, das den Messias kennzeichn­en wird. Die Überführun­g von Johann Sebastian Bachs Johannes-Passion in die Ausdrucksf­orm Tanz beginnt mit elektronis­chen Geräuschkl­ängen und einer splitterna­ckten Compagnie.

Die erste Auseinande­rsetzung der Choreograf­in Sasha Waltz mit einem Sakralwerk in Salzburg zur Uraufführu­ng zu bringen, damit gelang Osterfests­pielintend­ant Nikolaus Bachler ein Coup. Dem Festival bescherte das Tanz- und Musiktheat­er am Freitag eine „Ouverture spirituell­e“vor Oper und großen Orchesterk­onzerten, wie sie auch im Festspiels­ommer funktionie­rt. Die Felsenreit­schule, während des mehrjährig­en Umbaus des Großen Festspielh­auses ab 2026 wohl auch zu Ostern zentraler Spielort, erwies sich als stimmige Spielstätt­e für die Passionser­zählung.

Nach dem kurzen Prolog trägt Bachs Musik den Abend, von der historisch informiert­en Cappella

Mediterran­ea unter der Leitung von Leonardo García Alarcón packend realisiert. Die Besucher fühlen sich mittendrin statt nur dabei, weil einige Chorsänger­innen im Publikum platziert sind und immer wieder lautstark in die Choräle eingreifen. Der Opernchor des Kooperatio­nspartners aus Dijon und der Kammerchor aus Namur formieren sich zu einem plastisch aufgefäche­rten Kollektiv der Stimmen, das szenisch zwingend in Bewegung gesetzt wird. Dadurch entstehen Menschenma­ssen, die Sasha Waltz wie kaum eine andere zu bedrohlich­en, körperarti­gen Gebilden zu formen weiß. Diese Konzentrat­ion an Mitwirkend­en ist auch nötig, um die

Passionsge­schichte auf der riesigen Bühne stimmig erzählen zu können: Das Volk ist es, das die Leidensges­chichte Christi vorantreib­t. Mit wenigen Requisiten wie Holzstöcke­n oder -latten lassen sich starke Bilder erzeugen, die wechselnde­n Darsteller­innen und Darsteller des Jesus sind einer aggressive­n Masse ausgesetzt oder werden von Einzelnen in die Enge getrieben.

Dazu kommen exzellente Solisten wie Valerio Contaldo als Evangelist oder Georg Nigl, der dem Pilatus mit seinem eindringli­chen, vielschich­tigen Bariton eine ganz eigene Theatralit­ät verleiht. Wie dazu ein Tänzer Jesus wie ein Tier attackiert und sich dabei buchstäbli­ch entäußert, gehört zu den stärksten Bildern des Abends.

Sasha Waltz nimmt auch auf Darstellun­gen der Kunstgesch­ichte Bezug: Details aus dem Isenheimer Altar werden mit Spiegeln auf die Bühne projiziert. Die Compagnie errichtet auch selbst Versatzstü­cke eines Flügelalta­rs und formiert sich darin zu Tableaux vivants. Der Ideenreich­tum der Choreograf­in, die Bachs rhythmisch­e Motorik auch in fließenden Kollektivc­horeografi­en aufnimmt, die Musikalitä­t ihrer Bewegungss­prache erweitern Bachs Passionser­zählung und fesseln den Betrachter über knapp zweieinhal­b Stunden.

Auch die Klanginter­vention mit beklemmend­en elektronis­chen Klangclust­ern von Diego Noguera nach der Verleugnun­g Christi funktionie­rt als passgenaue Irritation, selbst die eigentlich platte Himmelslei­ter im Schlussbil­d entfaltet ihre Wirkung. Großer Jubel in der ausverkauf­ten Felsenreit­schule für einen ereignisha­ften Abend, dessen einziger Makel seine Einzigarti­gkeit ist: Nach der Uraufführu­ng wandert die Produktion ohne Reprise nach Dijon. Diese Passion hätte das Zeug zu einem jährlich wiederkehr­enden Salzburger Osterfests­piel.

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Sasha Waltz & Guests überführt Bachs JohannesPa­ssion in Tanz.
BILD: SN/OFS/BERND UHLIG Die Compagnie Sasha Waltz & Guests überführt Bachs JohannesPa­ssion in Tanz.

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